Erinnerungskultur: »Das sind universelle Denkmäler«

Mara Puškarević über Bildungsreisen, Erinnerungsarbeit und die Geschichte des ehemaligen Jugoslawiens

  • Interview: Joel Schmidt
  • Lesedauer: 7 Min.
Mara Puškarević organisiert Bildungsreisen und vermittelt ihren Teilnehmer*innen dabei Wissen über das ehemalige Jugoslawien.
Mara Puškarević organisiert Bildungsreisen und vermittelt ihren Teilnehmer*innen dabei Wissen über das ehemalige Jugoslawien.

Frau Puškarević, in den Staaten des ehemaligen Jugoslawien soll es bis zu 15 000 Denkmäler geben, die an die Partisanen und den Kampf gegen die deutsche Besatzung im Zweiten Weltkrieg erinnern. Stimmt das?

Es ist gut möglich, dass es Hunderte von Denkmälern auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens gibt. Die ersten sind von Familien, Dachverbänden oder Dorfgemeinschaften errichtet worden. Dafür jetzt eine konkrete Zahl zu nennen, ist gar nicht so leicht. Einige werden gepflegt und bleiben erhalten, andere wiederum nicht, weshalb sie im Laufe der Zeit verfallen. Und manche werden auch einfach irgendwann abgerissen. Daneben gibt es die vom Staat erbauten Denkmäler wie zum Beispiel in Kozara, an der Neretva oder in Mostar, die auch wichtig waren für das Gründungsnarrativ Jugoslawiens. Die großen, vom Staat gebauten Denkmäler sind im Laufe der 60er Jahre entstanden und bis zu den 70er Jahren gebaut worden.

Interview

Mara Puškarević lebt in Berlin und ist Mitherausgeberin des Sammelbandes »Mythos Partizan«. Unter dem Namen Praxis-Reisen bietet sie Bildungsreisen zur Geschichte Jugoslawiens an.

Was ist das Besondere an diesen Denk-
mälern?

Da muss man ein bisschen zurückgehen. Die jugoslawischen Partisanen haben sich ja selbst befreit – was historisch betrachtet schon etwas relativ Besonderes ist – und was 1948 dann auch zum Bruch mit Stalin geführt hat. Bis dahin war Tito überzeugter Stalinist, aber er wollte nicht, dass Jugoslawien zu einem weiteren Satellitenstaat der Sowjetunion wird. Er hatte ein starkes Argument: Wir haben uns ohne eure Hilfe und selbst befreit. Daher gründen wir unseren eigenen Staat. Dafür musste die damalige Führung sich aber überlegen, wie ein kommunistischer Staat in Abgrenzung zur Sowjetunion aussehen sollte. Im Zuge dessen hat sich ein undogmatischer humanistischer Marxismus entwickelt, wo eben der Mensch im Mittelpunkt steht und nicht die Ideologie.

Und das schlägt sich auch in der Architektur nieder?

Genau. Wenn man sich diese Denkmäler anschaut – und gerade wenn man sie mit denen aus realsozialistischen Ländern vergleicht – fällt schnell auf, dass sie sehr abstrakt sind und dass man zum anderen auch keine politischen Zeichen an ihnen entdecken wird. Diese Denkmäler sind so gestaltet, dass man seine eigene Geschichte in sie hineininterpretieren kann, das macht sie universell.

Welche Bedeutung kommt den Denkmälern heute zu?

Für die unterschiedlichen Regierungen sind sie mittlerweile zu einer Art Fremdkörper geworden. Statt wie ursprünglich intendiert an den gesamtjugoslawischen Kampf der Partisanen zu erinnern, wird die Geschichte vielerorts umgedeutet und vermittelt, dass mit dem Denkmal nur noch an eine bestimmte Personengruppe erinnert werden soll. Etwa nur noch die kroatischen Partisanen. Gleichzeitig gibt es natürlich auch immer Historiker*innen und andere aktive Menschen, die sich für die Instandhaltung der Denkmäler einsetzen und sie bewahren wollen. Aber zumindest von den einzelnen Regierungen wird das nicht mehr aktiv betrieben. Früher gab es im Umfeld dieser Denkmäler eine richtige Infrastruktur mit Hotels, wo es zu bestimmten Daten und Jahrestagen große Feste gab. Sie waren auch Lernorte, in die Schulklassen gefahren sind, um etwas über die Geschichte Jugoslawiens zu lernen. Aber das ist heute längst nicht mehr so.

Woher rührt Ihr Interesse für den Balkan?

Meine Eltern sind in Jugoslawien geboren, genauer gesagt in Serbien. Ich selber bin in der Nähe von Stuttgart aufgewachsen, zur Zeit des Jugoslawienkrieges war ich in der Grundschule, in der sogenannten Ausländerklasse. In dieser Klasse waren unter anderem Schüler*innen aus Nordmazedonien, aus Bosnien und mein bester Freund war Kroate. Als Kind habe ich schon früh erfahren, dass es da auf einmal diese Trennung gab – auch wenn ich die damals noch nicht verstanden habe. Plötzlich durfte ich nicht mehr mit meinem kroatischen Freund spielen, weil seine Eltern das nicht mehr wollten. Als 1999 dann Serbien bombardiert wurde, habe ich es abgelehnt, weiterhin die serbische Sprache zu sprechen.

Warum das?

Mit den Bombardierungen ging damals eine spürbare Verschärfung des Nationalismus sowohl in Serbien als auch in der Diaspora einher. Es gab kaum Menschen, mit denen ich die Sprache weiterhin sprechen wollte. Erst nach dem Abitur bin ich dann im Rahmen des European Volunteer Service in der nordserbischen Stadt Novi Sad gelandet. Im Zuge dessen habe ich auch die gesamte Region besser verstehen und kennenlernen können. Zudem habe ich Gleichgesinnte kennengelernt, mit denen ich mich gerne auf »Naški«, unserer Sprache, verständige.

Sie sind Mitherausgeberin des Buches »Mythos Partizan«, in dem es um die jugoslawische Linke geht. Was macht Jugoslawien für Linke so spannend?

Zuallererst ist es mal diese unheimliche Kraft, sich gegen den Faschismus erfolgreich zu wehren. Ich meine, die Startbedingungen sind eigentlich ziemlich schlecht gewesen – und trotzdem haben die Partisanen es irgendwie geschafft, sich etwas aufzubauen. Und damit meine ich jetzt nicht nur, zu kämpfen und ein Gebiet zu befreien. Sondern auch, etwas Neues zu schaffen, das im Vergleich zum Vorherigen eine befreite Gesellschaft bedeutet hat. Frauen kam in Jugoslawien zum Beispiel eine ganz andere Rolle zu, sie waren nicht nur diejenigen, die die Verwundeten gepflegt haben, sondern sie waren als Kämpferinnen längst in allen militärischen Rängen vertreten. Zudem gab es in den befreiten Gebieten einen hohen Grad der Alphabetisierung, Kunst und Kultur haben wieder eine größere Rolle gespielt – und das alles schon ab dem Jahr 1943, also zu einer Zeit in der der Krieg ja in vielen Bereichen noch überhaupt nicht zu Ende gewesen ist.

Und nach dem Ende des Zweiten Welt-
krieges?

Da war es auf jeden Fall die Idee der Selbstverwaltung. Es gab die Idee der Vergesellschaftung, auch in Abgrenzung zu der in der Sowjetunion und anderen sozialistischen Ländern praktizierten Verstaatlichung. Großen Eindruck hat bei mir immer hinterlassen, was ich aus den Gesprächen mit Zeitzeugen erfahren habe. Etwa was die Bezahlung angeht. Der Unterschied zwischen dem, was eine Reinigungskraft und ein Direktor verdient haben, war im Vergleich zu heute total gering. Während es heute sicherlich mehr als das Zehnfache ist, war in Jugoslawien das höchste Gehalt maximal dreimal mehr als das geringste Gehalt.

Unter dem Namen Praxis-Reisen haben Sie auch mehrere Bildungsreisen ins ehemalige Jugoslawien organisiert. Was gefällt Ihnen daran?

Ich mag die Vermittlungsarbeit, die auf solchen Reisen stattfindet. Also diese Weitergabe von Informationen und Wissen, das Kennenlernen von Orten, die in der Regel kaum bekannt sind. Was mir bei den Reisen immer gefallen hat, ist, dass sich vorher unbekannte Menschen plötzlich die Möglichkeit bekommen haben, sich nicht nur untereinander näher kennenzulernen, sondern dabei auch noch das Land und dessen Leute. Dabei entstehen oftmals spannende Synergien.

Und was hat es mit dem Namen Praxis-Reisen auf sich?

Der Name geht auf eine Gruppe ganz unterschiedlicher Philosoph*innen aus Jugoslawien zurück, die von 1964 bis 1975 eine Zeitschrift herausgegeben haben, in der über die Idee eines humanistischen Marxismus nachgedacht wurde. Diese Praxis-Gruppe hat einmal im Jahr eine Sommerschule ausgerichtet. Und das Besondere daran war, dass bei dieser Veranstaltung Philosoph*innen aus dem Westen wie aus dem Osten zusammenkommen und weiter gemeinsam nachdenken konnten.

Während der Pandemie konnten Ihre Reisen nicht stattfinden. Werden Sie damit wieder anfangen?

Während der Coronakrise war ich vom Berufsverbot betroffen. In dieser Zeit habe ich keinerlei Solidarität erfahren, anders als einige Clubs zum Beispiel, für die Spendengelder gesammelt wurden. Zudem hatte ich die staatlichen Maßnahmen kritisch hinterfragt. Deshalb habe ich von zahlreichen Genoss*innen viel Ablehnung erfahren. Dieses Jahr findet eine fünftägige Bildungsreise nach Belgrad statt, in meine Lieblingsstadt. Es soll sowohl um die Studierendenproteste in den 60er Jahren, Geschichtsrevisionismus im Zuge des Zerfalls Jugoslawiens sowie die Transformation zum Kapitalismus gehen. Und ganz aktuell auch um die prekäre Situation von Wohnungslosen und das Problem der vielen Zwangsräumungen in Belgrad.

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