Kritische Soziale Arbeit: Kündigungen sind kein Einzelfall

Prozess einer Schulsozialarbeiterin deutet auf Lücken in den Arbeitsstandards in der Branche

Solidarität in Rot: Unterstützer*innen vor dem Berliner Arbeitsgericht am Mittwoch
Solidarität in Rot: Unterstützer*innen vor dem Berliner Arbeitsgericht am Mittwoch

Noch immer wartet Inés Heider auf eine Antwort: Hält das Gericht ihre Kündigung für rechtmäßig? Kann sie bald wieder als Schulsozialarbeiterin an der Kepler-Oberschule in Neukölln arbeiten? Neun Monate ist es nun her, dass ihr Arbeitgeber, die Technische Jugendfreizeit- und Bildungsgesellschaft (TFJBG), ihr gekündigt hatte.

Am Mittwoch wurde Heiders Fall vorerst letztmalig vor dem Arbeitsgericht Berlin verhandelt. Mit einer Kündigungsschutzklage stemmt sich Heider gegen die Begründung des Arbeitsgebers: Heider habe in einer E-Mail über die Kanäle des Arbeitgebers ihre Mitarbeiter*innen zum Vertragsbruch und »wilden Streik« aufgerufen sowie Rufmord begangen, fasst Richter Thomas Kühn zusammen. Als wilder Streik wird eine Arbeitsniederlegung bezeichnet, zu der nicht von einer Gewerkschaft aufgerufen wurde. Heider hatte geplante Sparmaßnahmen des Bezirks Neukölln als »menschenverachtend« bezeichnet. Deswegen wirft ihr die TFJBG Rufmord vor.

Heider hatte es gegenüber »nd« so formuliert: Sie habe in einer Mail ihre 1500 Kolleg*innen auf die Sparpläne und laufenden Protest dagegen hingewiesen. Zudem habe sie auf die GEW-Streiks für kleinere Schulklassen aufmerksam gemacht. Jedoch sei das Vorhaben der GEW auf Lehrkräfte beschränkt gewesen. Sozialarbeiter*innen und Erzieher*innen seien leider nicht aufgerufen und so gegeneinander ausgespielt worden, schrieb Heider. Sie habe die Position vertreten, dass auch diese Berufsgruppen an den Streiks teilnehmen sollten, schließlich würde sich auch die Mehrheit der Lehrer*innen einen gemeinsamen Streik wünschen. In der Folge habe Heider die Kündigung erhalten.

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Vor dem Kammertermin am Mittwoch war die TFJBG dazu verpflichtet worden, dem Gericht die E-Mail vorzulegen. Bereits vor der Urteilsverkündung ließ Richter Kühn durchblicken, dass ein Aufruf zum wilden Streik daraus schwerlich abzuleiten sei. Im Gegenteil: Der Wortlaut »Lasst uns der Führung unserer Gewerkschaft zeigen, dass wir mitstreiken wollen« lasse eher vermuten, dass eine Teilnahme als Teil der Gewerkschaft erreicht werden sollte. Auf den Vorwurf des Rufmords ging Kühn während des kurzen Termins gar nicht ein. Stattdessen sei zu prüfen, ob die Gewerkschaftswerbung einen hinreichenden Grund für eine außerordentliche Kündigung darstelle. Als Mitglied des Wahlvorstands für einen Betriebsrat genoss Heider besonderen Kündigungsschutz, der eine ordentliche Kündigung ausschließt.

Heiders Anwalt Timo Winter sagte im Anschluss, dass die Kammer die Gewerkschaftswerbung entlang der eigenen Rechtsprechung prüfe. Er habe der Akte ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts beigefügt, aus dem hervorgeht, dass Gewerkschaftswerbung selbst dann möglich sein muss, wenn eine Betriebsvereinbarung dies untersagt. »Wenn das Arbeitsgericht dem nicht folgt, werden wir das nicht hinnehmen und durchfechten«, kündigte Winter an.

Für Heider und ihre Unterstützer*innen scheint die Sache klar: Ihre Kündigung sei Union Busting, also der Versuch von Arbeitgeber*innen, die Organisierung von Arbeiter*innen zu unterbinden. 50 Personen, von denen viele die roten Farben der GEW tragen, haben sich am Mittwoch vor dem Gericht im Ortsteil Tiergarten zu einer Kundgebung versammelt. »Inés ist kein Einzelfall!«, skandieren sie.

Es sprechen unter anderem zwei weitere ehemalige Beschäftigte der TFJBG. Sie äußern Kritik an ihrem früheren Arbeitgeber. Beiden hätten letztendlich selbst gekündigt. »Wer uns loswerden will, sieht uns wieder«, sagt eine von ihnen.

Die TFJBG wollte sich aufgrund der laufenden Gerichtsverhandlung nicht öffentlich zum Sachverhalt äußern. Der Behauptung, es handele sich nicht um einen Einzelfall, widersprach die TFJBG allerdings entschieden.

Ruth Kreuzer war wie Heider im betrieblichen Wahlvorstand der TFJBG, heute ist sie Betriebsrätin, hatte deswegen auch mit Heiders Kündigung zu tun. Auf der Kundgebung spricht sie als Unterstützerin von Heider. »Wir haben als Betriebsrat der Kündigung nicht zugestimmt«, sagt Kreuzer. Und: »Ich habe das Gefühl, dass es kein Einzelfall ist.« Sie wünsche sich, Heider bald wieder als Kolleg*in in der TFJBG zu wissen.

»Die Kündigung sollte zeigen, ›Gewerkschaftliche Orientierung hat hier keinen Raum‹«, sagt Heider selbst, die an ihrer alten Schule gegenwärtig befristet als Lehrerin arbeitet. Kritische Stimmen sollten eingeschränkt werden. Das sei auch innerhalb der Sozialen Arbeit kein Einzelfall. »Befristungen, keine Anbindungen an Tarifverträge oder Union Busting sind Merkmale von neoliberalen sozialen Trägern«, ergänzt eine Aktivist*in der Berliner Aktion gegen Arbeitgeberunrecht.

Das Urteil des Gerichts wird für Donnerstag erwartet.

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