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Pessach: Viertausend Fragen

Warum gibt es in der jüdischen Welt mehr Fragen als Antworten?

Was war zuerst? Das Loch oder der Bagelteig?
Was war zuerst? Das Loch oder der Bagelteig?

Zu Pessach, am Sederabend, da stellt man bei den Juden vier Fragen. Wobei es eigentlich fünf Fragen sind, weil alle vier Fragen zu einer ersten Frage gehören. Und das ist natürlich schon die sechste Frage – warum es heißt: vier Fragen, obwohl es eigentlich fünf sind.

Die fünfte Frage, die eigentlich die erste ist, aber zur sechsten führt, lautet: »Was unterscheidet diese Nacht von allen anderen Nächten?« Manche denken, die Antwort sei: Dass man so viele Fragen stellt, nämlich ganze vier, wenn nicht sogar fünf. Die richtige Antwort aber ist: Dass man nur so viele Fragen stellt, also nicht mehr als vier, auch wenn es eigentlich fünf sind. Denn an jedem anderen Abend stellt man noch viel mehr Fragen, und zwar beinah nicht viel weniger als viertausend.

Ezzes von Estis

Alexander Estis, freischaffender Jude ohne festen Wohnsitz, schreibt in dieser Kolumne so viel Schmonzes, dass Ihnen die Pejes wachsen.

Eine davon ist: Wenn man am Sederabend vier Fragen stellt, warum stellt man dann an jedem anderen Abend noch viel mehr Fragen? Die Antwort ist: Am Sederabend werden die Fragen von Sohn Motjka gestellt. Beseder, in Ordnung. Aber an jedem anderen Abend werden Fragen an Sohn Motjka gestellt, und zwar von Mutter Maja und von Vater Morduch und von Bruder Chaim und von Onkel Avrum und von Schwester Mona und von Tante Sara und von Großmutter Riwa und von Urgroßmutter Lija und von Nachbar Jankel und von Rabbi Lazar und sogar noch vom Kater Schlojmo. Wie werden die Fragen gestellt von Kater Schlojmo? Das ist darüber hinaus auch noch eine Frage.

Doch die wichtigere Frage ist: Warum stellt man so viele Fragen? Die Antwort ist: Weil es mindestens so viele Fragen gibt wie keine Antworten.

Daraus folgt beinah schon ziemlich logisch, dass es in der Welt überhaupt weniger Antworten gibt als viel mehr Fragen. Denn es gibt Fragen mit Antwort und Fragen ohne Antwort, genauso wie es Löcher gibt mit bejgelach (Jiddisch: Bagel, Anmerk.d.Red.) drumherum und Löcher ohne bejgelach drumherum; aber es gibt keine Antworten ohne Fragen, ebenso wenig wie es bejgelach gibt ohne Löcher.

Das bedeutet: Nicht auf jede Frage gibt es eine Antwort, aber auf jede Antwort gibt es mindestens eine Frage, besonders wenn man es mit dem kleinen Motjka zu tun hat, weil der kleine Motjka zum Beispiel fragt: Warum gibt es Löcher ohne bejgelach, aber keine bejgelach ohne Löcher?

Jedenfalls: In der Welt gibt es mehr Fragen als Antworten, und in der jüdischen Welt gibt es sogar noch mehr Fragen als in der sonstigen Welt, obwohl die sonstige Welt mehr Fragen hat an die jüdische als die jüdische an die sonstige. Was wiederum dazu führt, dass die jüdische Welt eine Frage hat an die sonstige.

Aber warum gibt es in der jüdischen Welt mehr Fragen als in der sonstigen? Erstens weil es in der jüdischen Welt auch zweitens noch Fragen gibt, und drittens weil man nicht weiß, was viertens sein wird. Denn in der jüdischen Welt sind fünftens alle Gewissheiten ungewiss.

Vor allem aber gibt es in der jüdischen Welt mehr Fragen, weil einige von ihnen Antworten sind. Wie man weiß, antworten Juden gern mit Gegenfragen. Juden fragen gern zurück – und besonders gern, indem sie zurückfragen, was dieses Klischee soll.

Daher frage ich eigentlich viel lieber vor als zurück, denn wenn man immer zurück fragt, kann es passieren, dass man ganz hinten ankommt.

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