Italien - Das Fest, das kein Spaziergang ist

Leitartikel des Direktors der Tageszeitung »il manifesto« vom 25. April 2024

  • Andrea Fabozzi
  • Lesedauer: 6 Min.
Die linke Tageszeitung »il manifesto« hatte für den 25. April, Tag der Befreiung Italiens vom Nazifaschismus, zu einer machtvollen Demo nach Mailand aufgerufen: über 100 000 folgten dem Appell.
Die linke Tageszeitung »il manifesto« hatte für den 25. April, Tag der Befreiung Italiens vom Nazifaschismus, zu einer machtvollen Demo nach Mailand aufgerufen: über 100 000 folgten dem Appell.

Wir wollen, dass eine große Demonstration stattfindet, größer als sonst», schrieben wir vor einem Monat in dem Aufruf, der dazu aufforderte, am 25. April, dem Tag der Befreiung vom Nazifaschismus, nach Mailand zu kommen. (...)

Im Mittelpunkt unseres 25. Aprils steht die vordringliche Mobilisierung gegen die extreme Rechte in Italien und Europa, die mittlerweile Prinzipien und Rechte infrage stellt oder abschafft, welche als selbstverständlich erschienen. Und in der Bevölkerung gibt es Widerstand gegen den Krieg, der von den höchsten EU-Institutionen mittlerweile als Programmpunkt behandelt wird. Waffenstillstand und Nein zur Aufrüstung sind die Parolen für die einzige Option, die uns bleibt: Frieden.

In voller Übereinstimmung mit dem Erbe des Widerstands, der ebenfalls dafür gekämpft hat, den Krieg aus Europa zu verbannen, wird die heutige Veranstaltung auch die große pazifistische Demonstration sein, auf die wir seit langem gewartet haben – für eine Verhandlungslösung des Konflikts in der Ukraine mehr als zwei Jahre nach der russischen Aggression und um die EU und die europäischen Staaten zum Handeln aufzufordern, um das Blutbad Israels in Gaza zu stoppen. Wir müssen damit aufhören, Netanjahus Vorgehen – de facto – zu billigen, weil es geeignet ist, die Solidarität, die Israel nach dem 7. Oktober erfahren hatte, zu zerstören und es unter einem Berg aus Trümmern und palästinensischen Leichen zu begraben.

Dann gibt es da noch die Meloni-Regierung, die dem Antifaschismus täglich Argumente und aktuelle Ereignisse zuträgt: Verachtung gegenüber Migranten, Wut auf die Armen und Ärmsten, Schlagstöcke gegen Studenten, Verengung der Räume für Pluralismus, Angriff auf Frauenrechte.

Die Liste ist lang und beschreibt ein Regierungsmodell und ein Machtsystem, das sicherlich keine Neuauflage des Faschismus darstellt, dem aber ein sehr ähnlicher autoritärer Antrieb zugrunde liegt. Zu glauben, dass diese «Abstammung» durch eine Erklärung der Premierministerin oder einer ihrer Gefolgsleute am Tag der Befreiung ausgelöscht werden kann, ist, gelinde gesagt, naiv.

Dass unsere Rechte nicht präsentabel ist, ist kein Problem, das mit gelegentlichem guten Benehmen und ein paar sorgfältig gewählten Worten an offiziellen Feiertagen gelöst werden kann. Der 25. April wird für unsere Rechte immer unangenehm sein, nicht aus zufälligen Gründen, bestimmt von der Taktik des Augenblicks dieses oder jenes Vertreters von «Fratelli d‹Italia».

Denn unser Land hat den Faschismus erfunden und der Welt angeboten. Es ist das Land, in dem korporative Unterstützergruppen der Diktatur ihrem Zusammenbruch widerstanden und im Bürgerkrieg an der Seite der Nazi-Invasoren zu den Waffen griffen. Es ist das Land der Kontinuität zwischen Regime und Republik, wo die Führer der faschistischen Regierung ohne einen Kratzer an ihrem Platz geblieben sind – wie die dem Duce gewidmete Stele.

Es ist das Land, in dem das Veteranentum einer Partei von Nostalgikern (Red.: meist ehemalige Faschisten) seit Kriegsende eine Rolle spielte. Es beeinflusste das politische Leben und vor allem Jahrzehnte okkulter und subversiver Verschwörungen.

Diese lange Vorgeschichte der Enkel von Almirante (Red.: Mitbegründer der faschistischen Nachfolgepartei MSI), die heute an der Macht sind, gehört zum Wesen von «Fratelli d’Italia». Die dreifarbige Flamme, die im Palazzo Chigi brennt, hat sich nicht zufällig oder plötzlich entzündet. Das unterschätzen all jene, die von der Premierministerin und ihren weniger gefassten Kameraden, die schnell überall in der Regierung und den entscheidenden Machtzirkeln platziert wurden, ständig das Abschwören von ihrer Vergangenheit einfordern – verbale Distanzierungen, die allenfalls der Verwirrung dienen würden.

Wenn eine Phase ihres Aufstiegs Meloni nahelegen sollte, sich Antifaschistin zu nennen (was wir eher ausschließen), würde das nicht bedeuten, dass sie eine werden würde. Die Aufgabe derjenigen, die sich gegen sie stellen, ist daher nicht einfach. Denn der Widerstand sollte sich nicht gegen ein Etikett richten, das sich nicht ändert, und gegen eine Distanzierung, die nicht kommt, sondern gegen eine politische Substanz, die diese Regierung täglich bekräftigt und beansprucht.

Deshalb muss Widerstand geleistet werden: gegen die legalisierte Folter in Zentren für Verwaltungshaft; gegen die höllischen Bedingungen in Gefängnissen, in denen Gewalt die Regel ist; gegen das Händeschütteln mit den schlimmsten Autokraten und Geldtransfers im Namen der Flüchtlingsabwehr; gegen die Sparpolitik, die in der Substanz akzeptiert, aber in der Propaganda angeprangert wird; gegen den Abbau wesentlicher öffentlicher Dienstleistungen, angefangen mit
der Schule und dem Gesundheitswesen; gegen die Bekämpfung Andersdenkender; gegen Verarmung und Prekarisierung der Arbeit; gegen die Verherrlichung
des Egoismus der reichen gegenüber den armen Regionen ; gegen die Versuche, Form und Inhalt der Verfassung zu ändern.

Daher ist es nicht der Widerstand gegen die Erinnerung an den Faschismus und gegen eine Flamme, die nicht erlischt (und die sich sogar auf das Symbol für die Europawahl ausweitet), sondern gegen eine politische Linie, die leider keinen totalen Bruch mit denen vorheriger Regierungen ausdrückt.

Aus diesem Grund ist der 25. April mit seinem hohen Wert kein Jahrestag, sondern ein Aufruf zum Engagement, eine Herausforderung, ein Aufruf zur Kohärenz derjenigen, die heute auf die Straße gehen – und wir werden viele sein. Es ist ein anspruchsvolles Datum. Die Befreiung ist ein Fest, kein Spaziergang.

Der Text wurde «nd» zur Verfügung gestellt von der linken italienischen Tageszeitung «il manifesto», mit der wir künftig enger kooperieren werden.
Übersetzung: Cyrus Salimi-Asl.

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