DDR schützt Mieter – noch immer

Vor dem Amtsgericht Mitte in Berlin wurde eine Eigenbedarfsklage verhandelt

Sanierte Plattenbauten in Marzahn: Wer noch einen Vor-Wende-Mietvertrag hat, ist vor Eigenbedarfskündigungen besser geschützt.
Sanierte Plattenbauten in Marzahn: Wer noch einen Vor-Wende-Mietvertrag hat, ist vor Eigenbedarfskündigungen besser geschützt.

Es ist ein vergilbtes Dokument, das Sabine Leiti möglicherweise vor dem Verlust ihrer Wohnung im Gleimkiez in Prenzlauer Berg rettet. So vergilbt und brüchig, dass sie dem Richter in der Verhandlung vor dem Amtsgericht Mitte am Dienstag noch eine Klarsichtfolie gibt, als er es zu den Akten nimmt, damit es nicht kaputtgeht. Es ist ihr Mietvertrag von 1988, noch in der DDR geschlossen.

Im Gerichtssaal wird eine Eigenbedarfsklage verhandelt. Knapp 30 Prozessbeoachter*innen sind vor Ort, teilweise sitzen sie auf dem Boden, weil nicht genug Sitzplätze vorhanden sind – obwohl mehrere Holzbänke in den Saal getragen werden. Leitis Vermieter, der die Wohnung vor zwei Jahren gekauft hat, möchte sie selbst nutzen. Unter anderem, weil seine jetzige Wohnung fußkalt sei. Vertreten wird er von Rechtsanwalt Carsten Brückner, der auch Vorsitzender von Haus und Grund Berlin ist, einer Interessenvertretung von Immobilieneigentümer*innen.

Strittige Frage in der Verhandlung ist, ob die Kündigungsklauseln aus Leitis Mietvertrag noch gültig sind. Die Hürden für die Beendigung eines Mietverhältnisses waren in der DDR wesentlich höher als heute: Nur durch eine Vereinbarung der Vertragspartner*innen, eine Kündigung durch den*die Mieter*in oder eine gerichtliche Aufhebung wäre das möglich. So steht es auch in Leitis Mietvertrag, sagt ihre Rechtsanwältin Carola Handwerg zu »nd«.

In einem ähnlich gelagerten Fall hatte das Landgericht Berlin im Dezember 2022 entschieden, dass der Bedarf, der eine Eigenbedarfskündigung begründet, wesentlich höher sein muss als in normalen Mietverhältnissen. Für Leitis Fall würde das bedeuten, dass sie in ihrer Wohnung bleiben könnte. Allerdings liegt der Fall seit Anfang 2023 beim Bundesgerichtshof (BGH) und wartet auf Entscheidung. Deswegen regte der Richter an, das Verfahren ruhen zu lassen, bis der BGH entschieden hat.

Für Leiti kommt das aber nicht infrage. Sie will das Verfahren nicht in die Länge ziehen, zu groß ist die Last. »Man hat das Gefühl, ständig einen Sack mit sich zu tragen«, sagt sie nach der Verhandlung zu »nd«. Sie beschäftige sich mit nichts anderem mehr. Um auf Nummer sicher zu gehen, sucht sie auch nach einer anderen Wohnung. Mehr als 130 Bewerbungen hat sie geschrieben. Gefunden hat sie nichts. »Kannste vergessen«, meint sie. Mit ihrem Einkommen eine andere Wohnung zu finden, sei extrem schwierig. Leiti ist selbstständig, betreibt ein Eiscafé im Kiez. Woanders hinzuziehen, wird existenzbedrohend. »Im Sommer arbeite ich zwölf bis 14 Stunden am Tag. Da kann ich nicht eine Stunde zur Arbeit fahren.«

Wegen ihrer Situation fühlt sich Leiti ohnmächtig. Aber auch wütend. »Ich habe immer alle meine Verpflichtungen erfüllt, habe die Wohnung sogar aufgewertet. Am Ende wirst du dann rausgetreten und hast keine Alternative«, sagt sie. Das sei nicht nur ungerecht, sondern unmenschlich. »Da kauft jemand meine Wohnung und kauft damit mein Leben. Wie kann es sein, dass das Eigentumsrecht über deinen Persönlichkeitsrechten steht?«

Die Verhandlung vor dem Amtsgericht endet nach weniger als einer halben Stunde. Es wirkt, als neige der Richter eher dazu, die DDR-Klauseln im Vertrag für gültig zu halten. Ihm ist aber klar, dass egal, wie er entscheidet, die unterlegene Partei in Berufung gehen wird. »Meine Entscheidung wird nicht maßgeblich sein.« Die nächste Instanz wird dann das Landgericht. Der Schwebezustand für Sabine Leiti geht also weiter.

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