Landwirtschaft im Kapitalismus: Weder ökologisch noch rentabel

Die industrialisierte Landwirtschaft verursacht 24 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen und hat Profitabilitätsprobleme. Woran liegt das?

  • Wenke Dargel
  • Lesedauer: 6 Min.
Schlecht für's Klima, ungesund – aber billig: Rindfleisch im Kapitalismus.
Schlecht für's Klima, ungesund – aber billig: Rindfleisch im Kapitalismus.

Lebensmittel haben eine Eigenschaft, die sie von vielen Waren unterscheiden: Niemand kauft – ab einer gewissen Einkommenshöhe – systematisch mehr von ihnen, auch wenn sein Einkommen steigt. Konkret gesagt: Wer sich Milch schon leisten konnte, trinkt nicht mehr davon, nur weil ein Liter nicht mehr 1,20 Euro, sondern 0,80 Euro kostet. Dies lässt sich auch an dem Anteil des Einkommens ablesen, den ein durchschnittlicher Haushalt für Lebensmittel ausgibt. In den 1960er Jahren hat ein durchschnittlicher westdeutscher Haushalt rund 40 Prozent seines Einkommens für Lebensmittel ausgegeben, seit den 2000ern sind es im bundesdeutschen Schnitt 15 Prozent. Dieser Effekt ist auf steigende Einkommen zurückzuführen. Dass nicht mehr Lebensmittel gekauft werden, wenn die Preise fallen, hat aber im Kapitalismus weitreichende Konsequenzen. Denn in dieser Produktionsweise gibt es die Tendenz, mehr zu produzieren, als absetzbar ist. Wenn eine Preissenkung aber nicht zu systematisch mehr Verkäufen führt, sinken die Preise weiter. Deshalb fallen die Preise für Lebensmittel bei Überproduktion stärker als in anderen Branchen. Dies ist ein Grund, warum das Geldverdienen in der Landwirtschaft besonders schwierig ist.

Humusaufbau ist utopisch

Auch die Produktionsprozesse in der Landwirtschaft funktionieren anders als die Warenproduktion in der Fabrik. Landwirt*innen betreuen und optimieren Wachstumsprozesse, fragen sich, wie sie ihren Boden optimal bewirtschaften können, ob sie pflügen oder grubbern sollten und überlegen, ob, wann und welche Pflanzenschutzmittel sie ausbringen und wie viel Dünger ihre Pflanzen brauchen. Nur wachsen tun die Pflanzen selbständig – auch wenn so manche Kulturpflanze eine richtige Diva ist.

Landwirtschaft ist übrigens nur dann ökologisch, wenn sie Kreisläufe schließt. Pflanzen ernähren sich, indem sie dank der Photosynthese aus Licht und CO2 Zucker erzeugen; im selben Prozess entziehen Pflanzen das Treibhausgas CO2 der Atmosphäre. Gleichzeitig nehmen sie andere Nährstoffe aus dem Boden auf, um zu wachsen. Gelangt die Pflanze anschließend, verdaut von Mensch oder Tier, wieder auf den Boden, zersetzt das Bodenleben diese Exkremente zu Humus – und der Kreislauf wäre eigentlich damit geschlossen. Die Fruchtbarkeit der Böden wird durch Humus erhöht, der wiederum besteht zum Teil aus Kohlenstoff, der im Boden fixiert ist und nicht wieder zu CO2 wird. Ein Zahlenspiel: Gelänge es, den weltweiten Humusgehalt jährlich um vier Promille zu steigern, entspräche dies ungefähr den weltweiten Treibhausgasemissionen. Nur ist es selbst unter der ökologischsten Landwirtschaft unrealistisch, dies auf allen Böden weltweit in diesem Ausmaß zu tun, weil Humusaufbau ein langsamer, komplizierter Prozess ist.

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Der Aufbau von Humus führt von der Wissenschaft zur Utopie. Humus fixiert nicht nur Kohlenstoff im Boden, er macht diesen auch fruchtbarer und damit widerstandsfähiger gegenüber dem Klimawandel. Nährstoffkreisläufe zu schließen und Humus aufzubauen ist etwas Einfaches, das im Kapitalismus schwer zu machen ist. Außerdem ist dieser Prozess durch das gestört, was Menschen neben Lebensmitteln alles noch so zu sich nehmen. Schon Karl Marx kritisierte im dritten Band des »Kapitals« die Tatsache, dass im London des späten 19. Jahrhunderts die Exkremente einfach in die Themse gespült werden, statt sie als Dünger zu nutzen, als eine Irrationalität des Kapitalismus. Doch Nährstoffkreisläufe zu schließen, bleibt auch mit der Kanalisation als erkämpftem zivilisatorischem Fortschritt schwierig. »Der Kreislauf vom Essen zur Scheiße funktioniert. Der Kreislauf von der Scheiße zum Essen ist unterbrochen«, schrieb Friedrich Hundertwasser.

Widerspruch Kapital–Natur

Nach Marx sind die Quellen des Reichtums die Arbeit und die Natur. Im Kapitalismus zählt aber nur die Verausgabung von menschlicher Arbeit überhaupt, die »abstrakte Arbeit« als Quelle von Wert. Natur hingegen ist unter dem Kapital nichts wert. Dies erkennt auch jeder Regulierungsversuch implizit an, wenn beispielsweise Politiker*innen versuchen, der Natur in Form von Steuern oder CO2-Preisen einen Wert zu geben. Hätte die Natur von sich aus einen für das Kapital relevanten Wert in Form eines Preises, bräuchte es diese Regulierungen nicht und das Kapital ginge von sich aus sorgfältig mit der Natur um.

Aber so ist Natur eben nichts wert – und das hat Konsequenzen für die Landwirtschaft. Die kapitalistische Wertschöpfung läuft nämlich so: Geldvermehrung ist ein Prozess, zu dessen Beginn Kapitalist*innen Arbeitskräfte und Maschinen einkaufen, um ein Produkt zu erzeugen. Dies soll dann im Anschluss teurer verkauft werden als die Ausgangsprodukte. Das ist der Kreislauf des Kapitals, und je schneller dieser erfolgt, desto mehr Geld verdient der Kapitalist. In der Landwirtschaft ist genau dieser Prozess prekärer als in anderen Branchen.

Noch einmal konkret. Der durchschnittliche Weizenertrag pro Hektar ist von 2,6 Tonnen im Jahr 1950 auf 8,1 Tonnen 2019 gestiegen, gedroschen wird aber trotzdem nur einmal im Jahr. Natürliches Wachstum braucht Zeit und seine Beschleunigung hat Grenzen. Die Umlaufzeit des Kapitals lässt sich deshalb in der Landwirtschaft nur begrenzt steigern. Des Weiteren ist die Produktion abhängig von den jeweiligen Witterungsbedingungen: Es gibt zwar auch in anderen Branchen bessere oder schlechtere Jahre, aber nur wenige Branchen, bei denen der Ertrag so sehr vom Wetter abhängt wie in der Landwirtschaft. So gab es von 2018 bis 2023 eine Dürre in Deutschland und im laufenden Jahr haben Spätfröste dem Obst- und Weinbau stark zugesetzt. Die Landwirtschaft ist also besonders abhängig von der Natur. Aber wem sollen Landwirt*innen hierfür eine Rechnung schreiben?

Diese besonderen Produktionsbedingungen liefern auch die Gründe, warum es im Unterschied zu anderen, stärker monopolisierten Branchen noch so viele Landwirt*innen gibt, trotz des Höfesterbens. Angesichts der Monopolisierungstendenzen in der restlichen Wirtschaft ist deshalb eigentlich nicht zu erklären, warum die Höfe sterben, sondern warum es immer noch 255 000 von ihnen gibt. Die Antwort: Eine monopolisierte Landwirtschaft lohnt sich anscheinend nicht. So wird nun allerdings die Unwegsamkeit der Natur zum Problem der Landwirt*innen. Besonders rücksichtslos ist dieses Verhältnis zwischen Milchbäuer*innen und Molkereien; zwischen beiden bestehen sogenannte Abnahmeverträge. Eine Molkerei verpflichtet sich, dem landwirtschaftlichen Betrieb seine Milch abzunehmen; einen mit der Abnahme verbundenen festgelegten Preis für diese gibt es aber nicht, sondern dieser wird im Nachhinein mit Bezug auf die Weltmarktpreise festgelegt. Das Risiko tragen dadurch die Landwirt*innen, den Rahm schöpfen die Molkereien, die Höfe sterben.

Im kapitalistisch organisierten Agrarsektor versucht man nun, mit diesen natürlichen Abhängigkeiten produktiv umzugehen. Es gibt eine ganze Industrie, welche die Wachstumsbedingungen von Pflanzen und Tieren optimiert, durch Pflanzenschutzmittel, Düngemittel und vieles mehr. Diese sind aber sehr energieintensiv und für ihre Herstellung werden fossile Energieträger verbrannt. Ein ganzes Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen geht allein auf das »Haber-Bosch-Verfahren« zurück, mit dem Kunstdünger hergestellt wird.

So geht weit mehr als nur Sonnenenergie in die Produktion unserer Lebensmittel ein. Ein Beispiel: Hält man Kühe auf der Weide und diese fressen Gras und düngen den Boden mit ihren Ausscheidungen, hat man einen Kreislauf und produziert nachhaltig Milch. Füttert man Kühe hingegen im Stall und baut hierfür vermehrt Mais an, ist das anders. Mais ist ein für das Kapital optimales Getreide, weil er sehr energiereich ist und eine große Biomasse pro Hektar hat. Aber zugleich muss Mais gespritzt und gedüngt werden, reduziert den Humusgehalt der Böden und setzt so CO2 in die Atmosphäre frei. Deshalb muss korrigiert werden: Kühe ruinieren nicht das Klima, weil sie Methan rülpsen. Sondern das Kapital zerstört das Klima, weil unter seinem Profit-Regime nachhaltige Produktion nicht rational ist.

Die Autorin ist selbst in einem landwirtschaftlichen Betrieb aufgewachsen, kann Trecker fahren und hat einen M.Sc. in Nutzpflanzenwissenschaften. Sie beschäftigt sich mit einer materialistischen Kritik der Landwirtschaft im Kapitalismus und sozialistischer Agrarpolitik.

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