»Wir brauchen mehr Konsumkompetenz«

Die Kriminalisierung des Drogenkonsums steht einer besseren Aufklärung im Weg

  • Raul Zelik
  • Lesedauer: 4 Min.
Drogen – »Wir brauchen mehr Konsumkompetenz«

Können Sie bei Ihrer Arbeit eine Veränderung des Drogenkonsums feststellen?

Wenn sich die Frage auf das Cannabisgesetz bezieht: Darüber lässt sich noch nichts sagen, das Gesetz ist ja noch ganz neu. Wir hoffen, dass die Regulierung die Hürden für Konsument*innen herabsetzt, sich in Beratungsstellen frühzeitig Unterstützung zu holen. Viel zu viele Menschen haben immer noch das Gefühl, nicht offen über ihren Drogenkonsum sprechen zu können. Für uns geht es dabei auch nicht nur um Abstinenzangebote. Wir finden es genauso wichtig, dass Menschen ihren Konsum reflektieren. Also Safer Use und Harm Reduction – sicherer Konsum und Gefahrenbegrenzung. Wo sind die Grenzen des Konsums? Wie kann man ihn so regeln, dass man im sozialen Umfeld und im Arbeitsalltag keine grundlegenden Probleme bekommt?

Interview


Augustine Reppe ist als Bereichsleitung für die Vista gGmbH tätig. Der Träger bietet Menschen mit Substanz­konsum vielfältige Angebote wie Drogen­konsum­räume, Drugchecking, Beratung und Betreuung.
Mit Reppe sprach Raul Zelik.

Das Kokain-Derivat Crack ist auch in Deutschland auf dem Vormarsch. Was bedeutet das für die Süchtigen, aber auch für die Orte, an denen sich viele Konsument*innen aufhalten?

In unserem Drogenkonsumraum sehen wir einen Anstieg von Crack-Konsum vor allem seit Ende 2022. Im Unterschied zu Opiaten und Opioiden, bei denen der Rausch mehrere Stunden anhält und die Menschen eher gedämpft sind, wirkt Crack stimulierend, und der Rausch dauert nur zwei bis zehn Minuten. Danach haben die Leute sofort wieder das Bedürfnis zu konsumieren. Das heißt, die Leute sind aufgekratzt, können nicht schlafen und brauchen schnell wieder Nachschub. Man kann sich vorstellen, was das bedeutet.

In den USA hat das synthetische und hoch konzentrierte Opioid Fentanyl eine gewaltige Welle ausgelöst. Jetzt heißt es, Fentanyl würde sich sogar noch schneller ausbreiten, weil weniger Heroin aus Afghanistan kommt. Lässt sich Vergleichbares in Deutschland beobachten?

Das sind natürlich nur Mutmaßungen, da es sich um einen unregulierten Markt handelt. Es scheint, dass die Taliban den Schlafmohnanbau in Afghanistan stark zurückgedrängt haben. In der Folge nimmt das Angebot an Heroin, einer halb synthetischen Droge, ab. Wenn das passiert, kann es dazu kommen, dass die Lücke durch synthetisch hergestelltes Fentanyl ersetzt wird. Aber wir haben wenig konkretes Wissen darüber, was die Konsument*innen gerade nehmen. Wir versuchen auf jeden Fall für Drug-Checking zu werben. Weil Fentanyl so stark ist, ist die Gefahr einer Überdosis besonders groß. Zwei Jahre lief in 17 Drogenkonsumräumen in Deutschland das Bundesmodellprojekt RAFT, bei dem die Deutsche Aids-Hilfe Fentanyl-Schnelltests zur Verfügung gestellt hat und Opiatkonsument*innen ihre Substanzen testen konnten. Solche Programme sollten unbedingt ausgebaut werden.

Sie haben täglich mit Drogenkranken zu tun. Wie könnte eine bessere Drogenpolitik aussehen?

Wir sprechen von Drogenkonsument*innen, nicht pauschal von Kranken. Wenn Menschen Substanzen gebrauchen – egal ob wir von Tabak und Alkohol oder von Kokain, Amphetaminen und Opiaten sprechen –, ist es unserer Ansicht nach immer hinderlich, Konsument*innen zu bestrafen. Stattdessen sollten wir gesellschaftlich darüber sprechen, wie sich Folgeschäden und -erkrankungen durch zu viel Konsum vermeiden lassen. In Beratungsstellen können Menschen in Gesprächen die Motivation und Frequenz hinterfragen. Also ob es dem Spaß dient, missbräuchlich eingesetzt wird oder der Linderung von Entzugssymptomen dient. Um offener über solche Fragen sprechen zu können, wäre es wünschenswert, den Konsum und auch Besitz zu entkriminalisieren, wie man es beispielsweise in Portugal getan hat. Außerdem würde zu einer besseren Drogenpolitik auch der Verbraucherschutz gehören. Heute wissen Konsument*innen in der Regel nicht, was sie zu sich nehmen. Deshalb brauchen wir einen Ausbau von Angeboten, bei denen man Substanzen testen lassen kann.

Würde der Konsum nicht zunehmen, wenn harte Drogen überall zu haben wären?

In Kanada war Fentanyl nie legal und hat trotzdem eine ähnlich schwere Welle ausgelöst wie in den USA, wo sie durch die Verschreibung von OxyContin ausgelöst wurde. Das Problem sind aus meiner Sicht unregulierte Märkte. Für uns geht es darum, Menschen möglichst früh möglichst gut zu informieren, damit sie die Gefahren einer Substanz abschätzen können. Wir nennen das »Konsumkompetenz«: Was möchte ich nehmen, was besser nicht? Unserer Meinung nach ist das viel hilfreicher als der Kampf gegen die Verfügbarkeit einer Substanz durch Prohibition und Strafverfolgung.

Synthetische Drogen sind auf dem Vormarsch. Sind sie gefährlicher als »natürliche«?

Klares jein. Manche synthetische Drogen sind extrem gefährlich, einige natürliche sind riskanter als bestimmte synthetische. Aber diese Unterscheidung ist nicht entscheidend. Viel wichtiger ist die Frage, wozu eine Droge eingesetzt wird und mit welcher Häufigkeit. Meine Beobachtung ist, dass es Menschen gibt die, z.B. sehr gut mit der Substanz Alkohol umgehen können – aber eben nicht alle. Im Umkehrschluss heißt das aber nicht, dass Alkohol für alle verboten werden sollte und hier ein komplett unregulierter Markt durch selbst hergestellten Alkohol entsteht wie in den USA zu Prohibitionszeiten.

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