EM-Halbfinale Niederlande gegen England: Keine Geheimnisse mehr

Viele Fußballer der Niederlande und Englands kennen sich gut aus ihren Klubs

  • Lennart Garbes
  • Lesedauer: 5 Min.
Cody Gakpo traf bei dieser EM schon dreimal. Jedes Mal zog er zuvor über den linken Flügel ins Zentrum.
Cody Gakpo traf bei dieser EM schon dreimal. Jedes Mal zog er zuvor über den linken Flügel ins Zentrum.

Wenn Cody Gakpo am Mittwochabend auf links zum Dribbling ansetzt, erwartet den holländischen Flügelstürmer ein vertrautes Gesicht. Der Toptorjäger der Niederlande wird es aller Voraussicht nach mit Englands Kyle Walker zu tun bekommen. Beide kennen sich gut. Ihre Vereine – Gakpo spielt für den FC Liverpool, Walker für Manchester City – haben sich in den vergangenen Jahren packende Duelle um die englische Fußball-Meisterschaft geliefert. Walker dürfte also kaum überrascht sein, wenn sein Gegenspieler vom linken Flügel nach innen zieht und den Abschluss sucht. Es wäre außerdem ein Zeichen für schlechtes Scouting auf Seiten der Engländer. Immerhin erzielte der 25-jährige Niederländer auch alle seine drei Turniertore bei der EM 2024 auf diese Weise.

Das Duell Walker gegen Gakpo wird dabei nur eine von vielen Begegnungen zwischen Fußballprofis sein, die schon lange gegen- und miteinander spielen. Wenn die Niederlande und England an diesem Mittwochabend in Dortmund aufeinandertreffen, wird es eine ganze Reihe von Wiedersehen geben, so zum Beispiel das von Hollands Verteidiger Nathan Aké und Englands Offensivjuwel Phil Foden. Beide sind Teamkollegen von Kyle Walker bei Manchester City. Komplettiert wird das Quartett des Premier-League-Meisters von Englands Innenverteidiger John Stones. Selbst Harry Kane trifft auf alte Bekannte, auch wenn er seit 2023 für den FC Bayern München Tore schießt. Viele Jahre lang hatte sich der Engländer zuvor im Trikot der Tottenham Hotspurs Duelle etwa mit dem Niederländer Virgil van Dijk geliefert, seines Zeichens Abwehrchef beim FC Liverpool.

Wie eng verbunden die beiden Nationalmannschaften sind, verdeutlicht ein Blick auf die Kader. Insgesamt 32 der 52 EM-Fahrer beider Teams spielten in der vergangenen Saison auf der Insel. Dazu kommen noch sieben weitere Niederländer und zwei Engländer, die früher in englischen Klubs oder deren Jugendteams gekickt hatten. Und sogar eigentlich Unbeteiligte haben sich schon in dieses ganz besonders innige Duell eingeschaltet. So berichtete Englands Luke Shaw, der bei Manchester United sein Geld verdient, dass ihm sein niederländischer Vereinstrainer Erik ten Hag vor dem Halbfinale geschrieben habe. »Er hat mir eine kleine freche Nachricht zum Spiel geschickt«, sagte Shaw im Trainingscamp der »Three Lions« im thüringischen Blankenhain. Der Linksverteidiger erwartet gegen die Holländer ein äußerst schweres Halbfinale: »Ich sehe bei ihnen keine Schwächen. Sie sind ein sehr gutes Team und haben einen tollen Trainer.«

Auch der hat natürlich schon auf der Insel gearbeitet. Von 2014 bis 2017 coachte Bondscoach Roenald Koeman erst den FC Southampton, dann den FC Everton. Der 61-Jährige kann bei dieser EM etwas schaffen, dass bisher nur Berti Vogts gelungen ist: als Spieler und Trainer eine EM zu gewinnen. Koeman gehörte als Abwehrchef zu den holländischen Europameistern von 1988. Es ist bisher der einzige internationale Titel, den die Niederlande gewinnen konnten. Geht es nach Koeman, soll in diesem Jahr der zweite dazukommen: »Wir können stolz sein, dass wir das Halbfinale erreicht haben. Das hat niemand erwartet. Aber die Mission ist noch nicht vorbei.«

Zumindest bei seiner Aufstellung fürs Halbfinale dürfte es kaum Überraschungen geben; Koeman hat nach einer durchwachsenen Gruppenphase seine Stammelf gefunden. Die einzige spannende Frage vor dem Duell mit den Engländern stellt sich im Sturm. Beginnt Oranje neben dem gesetzten Gakpo erneut nur mit Memphis Depay (früher bei Manchester United) in der Spitze und Donyell Malen (früher Arsenal London) auf dem rechten Flügel? Oder starten die Niederlande gleich mit Edeljoker Wout Weghorst, der als Einwechselspieler das Siegtor gegen Polen im ersten Vorrundenspiel schoss und auch im Viertelfinale gegen die Türkei in der zweiten Halbzeit für Gefahr sorgte. Man ahnt es: Vor seiner abgelaufenen Saison bei der TSG Hoffenheim spielte der 1,97 Meter große Kopfballspezialist natürlich auch mal in der Premier League: für Burnley und Manchester United. Am Dienstag wollte sich Bondscoach Koeman noch nicht in die Karten schauen lassen: »Depay kann es, Weghorst kann es, die Kombination kann es.«

Egal welche Variante der niederländische Trainer wählt, komplett überrumpeln dürfte er die Engländer damit nicht. Dafür kennen sich beide Teams zu gut. Ohnehin sind inzwischen fast alle taktischen Argumente bei dieser Europameisterschaft ausgetauscht. Die Engländer verfügen über eine der besten Ansammlungen von Einzelspielern, nutzen diese aber vorrangig für pomadigen Sicherheitsfußball. Die Holländer haben sich nach einer durchwachsenen Vorrunde spielerisch deutlich gesteigert. Außerdem hat die »Elftal« gegen Polen und die Türkei jeweils nach 0:1-Rückständen Comeback-Qualitäten bewiesen. In einem möglichen Elfmeterschießen gelten dagegen die Engländer nach ihrer beeindruckenden Vorstellung gegen die Schweiz als besonders stark, jeder historisch gewachsenen Elfmeterschwäche zum Trotz.

So verwundert es nicht, dass auch Cody Gakpo ein enges Spiel erwartet, in dem es eine Topleistung seines Teams fürs Weiterkommen brauche: »Hoffentlich kommt alles zusammen und wir spielen unsere beste Partie.« Vielleicht hat er dafür ja doch noch eine Überraschung mitgebracht, um an Gegenspieler Kyle Walker vorbeizukommen.

»Wir können stolz sein, dass wir das Halbfinale erreicht haben. Aber die Mission ist noch nicht vorbei.«

Roenald Koeman
Trainer der niederländischen Fußballer
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