Kirche gegen Gewerkschaft

Verdi ruft zu ganztägigem Warnstreik am Klinikum Weimar auf

  • David Bieber
  • Lesedauer: 4 Min.
Auffahrt zum Klinikum Weimar
Auffahrt zum Klinikum Weimar

Jetzt also doch: Nach mehreren Androhungen und trotz eingereichter Unterlassungsklage der Evangelischen Kirche Mitteldeutschland, kurz EKM, will Verdi mit einem Warnstreik auf die Rechte der Beschäftigten auch bei kirchlichen Trägern aufmerksam machen. Die Dienstleistungsgewerkschaft hat die Beschäftigten des Sophien- und Hufeland-Klinikums Weimar für kommenden Donnerstag, zur Teilnahme an einem ganztägigen Warnstreik aufgerufen.

Hintergrund ist die Weigerung der Evangelischen Kirche, der ihr zugeordneten Diakonie Mitteldeutschland sowie der beiden Krankenhäuser, Tarifverhandlungen mit Verdi aufzunehmen. Sie verweisen auf den sogenannten Dritten Weg, der der Kirche laut der im Grundgesetz verbrieften Trennung von Staat und Kirche Selbstbestimmung bei Lohnfindung sowie bei der Gestaltung der Arbeitsbedingungen ermöglicht.

Auf nd-Nachfrage heißt es von der EKM, dass demnach Entscheidungen möglichst im Konsens getroffen werden sollten. »Konflikte werden nicht über Mittel des Arbeitskampfes, sondern durch ein verbindliches Schlichtungsverfahren gelöst.« Heißt: Tarifverhandlungen mit der Gewerkschaft und Streikmaßnahmen in kirchlich-diakonischen Einrichtungen liegen außerhalb des kirchlichen Rahmens und sind daher unzulässig. »Unsere Gemeinwohlorientierung steht da in einem offenherzigen Widerspruch zum Arbeitskampf«, erklärt die EKM, die bereits vor einer Woche Klage gegen Verdi beim Arbeitsgericht Erfurt eingereicht hat.

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Für Bernd Becker, bei Verdi in Thüringen für das Gesundheitswesen zuständig, sei es ein »Unding im Jahre 2024 und völlig aus der Zeit gefallen«, dass die Klinikleitung in Weimar Warnstreiks mit juristischen Mitteln verhindern will. »Die Beschäftigten nehmen lediglich ihr demokratisches Grundrecht in Anspruch. Sie wollen selbst auf ihre Arbeitsbedingungen Einfluss nehmen – in Tarifverhandlungen auf Augenhöhe.« Es gebe ein Recht auf Koalitionsfreiheit, um Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen tariflich zu regeln und notfalls auch streikweise durchzusetzen.

Zugleich stellte das »Dreigestirn« von Kirche, Diakonie und Klinikum klar, dass »Gewerkschaften auch in diakonischen Unternehmen eingeladen sind, sich in die Tarifgestaltung einzubringen«. Die gewerkschaftliche Betätigung sei erwünscht in den arbeitsrechtlichen Kommissionen – allerdings ohne Arbeitskampf.

Es geht also bei der Auseinandersetzung um Grundsätzliches: einen Kulturkampf zwischen einem laut Kritikern althergebrachten kirchlichen System, das jahrzehntelang unantastbar zu sein schien, und einem (neuen) gewerkschaftlichen Selbstverständnis, das infrage stellt, was viele Beschäftigte seit Langem umtreibt. Hierzu gehört auch die Abschaffung des Dritten Weges. »Wir halten ihn im Gegenteil für modern und gut geeignet, den permanenten Veränderungen in der Arbeitswelt durch das Konsensmodell in der Arbeitsrechtssetzung zu entsprechen«, erwidert die EKM. Vielmehr sei das »Gewerkschaftsmodell von Streik und Ausgrenzung« überkommen, weil es auf Kampf und nicht auf klug austarierte Kooperation setze.

»Die Beschäftigten wollen selbst auf ihre Arbeitsbedingungen Einfluss nehmen – in Tarifverhandlungen auf Augenhöhe.«

Bernd Becker Verdi

Oft liegt das Lohngefüge im kirchlichen Arbeitskontext unterhalb von dem im öffentlichen Dienst. Im Sophien- und Hufeland-Klinikum gelten bisher die Arbeitsvertragsrichtlinien der Diakonie Mitteldeutschland. Anfang dieses Jahres waren dort die Entgelte um 4,9 Prozent angehoben worden bei gleichzeitiger Reduzierung der Wochenarbeitszeit von 40 auf 39 Stunden; zum kommenden Jahr gibt es ein weiteres Lohnplus von 5,4 Prozent sowie einen zusätzlichen Urlaubstag, teilt die EKM mit. Seit 2019 wurden demnach Lohnerhöhungen von insgesamt 30,6 Prozent beschlossen. Die Entgelt-Anpassungen im öffentlichen Dienst beliefen sich laut EKM im selben Zeitraum auf 18,85 Prozent.

Die Beschäftigten im Klinikum Weimar kritisieren laut Verdi, dass sie immer nur in der Zuschauerrolle bei den Verhandlungen sind. Hinter den Kulissen und ohne demokratische Beteiligung werde über ihre Arbeitsbedingungen entschieden, befindet Gewerkschaftssekretär Becker. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass insbesondere langjährige Beschäftigte und Hilfskräfte gegenüber den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes deutlich schlechter gestellt sind.

Auf der einen Seite reklamiere die Kirche, hier die Klinikleitung in Weimar, kirchliche Sonderrechte, auf der anderen Seite sei sie ein eigenständiges und damit profitorientiertes Wirtschaftsunternehmen, kritisiert Becker. »Beschäftigte in den Bereichen Essensversorgung, Cafeteria und Reinigung sind in Tochtergesellschaften ausgegliedert, nur um die Löhne zu drücken.« Zudem seien Beschäftigte im Labor und die meisten Hebammen nach Angaben nicht mehr in kirchlicher Anstellung. »Für alle diese Kolleginnen und Kollegen gilt das weltliche Arbeitsrecht, für andere aber nicht«, sagt der Gewerkschafter. »Das passt hinten und vorne nicht.«

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