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Mpox bleibt die große Unbekannte
Das Pockenvirus zirkuliert seit Jahrzehnten, doch Ausbrüche treffen die Welt unvorbereitet
Das Mpox-Virus breitet sich weiterhin auf dem afrikanischen Kontinent aus. Laut neuesten Daten der Gesundheitsbehörde Africa-CDC wurden in der vergangenen Woche 1200 neue Ansteckungen festgestellt. Demnach stieg deren Zahl seit Jahresbeginn auf 18 737 – und liegt somit bereits deutlich über dem gesamten Vorjahr. Bislang starben daran 541 Menschen. Laut Africa-CDC werden zurzeit Mpox-Fälle aus zwölf Mitgliedstaaten der Afrikanischen Union gemeldet. Mehr als 90 Prozent entfallen in diesem Jahr auf die Demokratische Republik Kongo, wo es mindestens zwei große Ausbrüche – im Osten des Landes und in der Hauptstadt Kinshasa – gibt.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat vor wenigen Tagen eine »gesundheitliche Notlage internationaler Reichweite« ausgerufen. Sie befürchtet eine unkontrollierte Ausbreitung über Ländergrenzen hinweg, zumal es Hinweise gibt, dass sich das Virus besser an den Menschen angepasst hat, wodurch die Zahl der Mensch-zu-Mensch-Übetragungen zunimmt.
Mpox weist Ähnlichkeiten mit den klassischen Pocken auf. Erste Symptome einer Infektion sind Fieber, Kopf- und Muskelschmerzen sowie geschwollene Lymphknoten. Später kommt es zu dem typischen Ausschlag mit Pusteln und Krusten. Ursprünglich war von Affenpocken die Rede, da der Erreger zuerst bei diesen Tieren nachgewiesen wurde, die aber kaum zur Verbreitung beitragen.
Das Virus wird unterteilt in zwei Subvarianten: Die Klade I ist in Teilen Zentralafrikas endemisch und wurde erstmals 1970 beim Menschen nachgewiesen. Klade II ist in Teilen Westafrikas heimisch. Diese Variante erreichte im Jahr 2022 auch zahlreiche Länder in Europa und Nordamerika, woraufhin die WHO bereits eine Notlage erklärte. Damals wurden in über 100 Ländern gut 100 000 Fälle registriert, 200 Menschen starben. Übliche Eindämmungsmaßnahmen und Impfungen bei der kleinen Risikogruppe der Männer, die häufig wechselnden Sex mit Männern haben, sorgten für einen starken Rückgang der Zahlen im globalen Norden, und die höchste Warnstufe wurde nach einigen Monaten zurückgenommen.
Ursprünglich war Mpox eine zoonotische Erkrankung mit wenigen, lokal begrenzten Fällen. Die starke Zunahme der Fallzahlen wird unter anderem darauf zurückgeführt, dass seit der Beendigung der Pockenschutzimpfung 1980 die Immunität der Bevölkerung auch gegen Mpox nachlässt. Dafür spricht, dass in Afrika derzeit vor allem jüngere Erwachsene und Kinder betroffen sind.
Mit der Ausrufung der internationalen Notlage kann die WHO Empfehlungen an ihre Mitgliedstaaten herausgeben, die am Montag ein Notfallkomitee beschlossen hat. Ziel ist es demnach, »die Übertragung von Mensch zu Mensch zu unterbinden, indem Mpox-Ausbrüche antizipiert und erkannt werden, man sich darauf vorbereitet und darauf reagiert«. Im einzelnen sollen die Überwachung und Labordiagnostik verbessert sowie Mpox-Fälle besser untersucht werden. Ferner sollen die klinische Versorgung von Patienten und der Schutz des Gesundheitspersonals sichergestellt werden. Aufklärungskampagnen sollen Fehlinformationen entgegenwirken.
Die Umsetzung ist ohne Unterstützung von außen aber kaum möglich. So gibt es bei der neuen Klade Ib im Osten der DR Kongo nicht einmal zuverlässige Schnelltests. Vermutlich werden nur schwere Erkrankungen festgestellt, weshalb die Dunkelziffer sehr hoch sein dürfte. Außerdem ist das Gesundheitssystem etwa in der DR Kongo vielerorts schon überfordert. Prioritäten haben hier jüngste Ausbrüche von Cholera und Masern, der Bürgerkrieg und die verbreitete Gewalt erschweren in einigen Landesteilen jegliche Maßnahmen.
Vor allem Hilfsorganisationen schlagen Alarm. »Die Geschwindigkeit, mit der sich die Epidemie ausbreitet, ist alarmierend«, sagt Jasmin Behrends, Expertin für globale Gesundheit von Ärzte ohne Grenzen. »Sorge bereitet uns neben der jüngsten Mutation auch die Tatsache, dass die Krankheit in den Geflüchtetencamps rund um Goma aufgetreten ist, wo Menschen auf engstem Raum leben.« Ihr Kollege Justin B. Eyong, epidemiologischer Koordinator von Ärzte ohne Grenzen in der DR Kongo, verweist darauf, dass »Kinder 56 Prozent aller Mpox-Fälle beziehungsweise 79 Prozent aller Todesfälle im Jahr 2024 ausmachen«. Kleine Kinder, insbesondere wenn sie unternährt sind, gehören zu den Riskogruppen für schwere Verläufe. Bei Erwachsenen sorgen sogenannte Superinfektionen dafür, etwa wenn Aids-Kranke befallen werden.
NGOs wie auch die WHO fordern dringend, Impfstoffe weiterzugeben und deren Produktion auszuweiten. Anders als im globalen Norden sind diese in Afrika bisher nicht vorhanden. Weltweit zugelassen ist ein abgeschwächtes Impfvirus, das durch Bavarian Nordic vertrieben wird. Wie es heißt, soll die DR Kongo kommende Woche erste Dosen von den USA erhalten. Auch die EU hat kleinere Mengen zugesagt. Laut Africa-CDC werden zehn Millionen Dosen gebraucht. Laut Bavarian Nordic könnten diese bis Anfang 2025 hergestellt werden – zu Preisen, die vor Ort nicht gezahlt werden können.
Neben diesen praktischen Problemen gibt es auch viel Unwissen zu Mpox: Zwar ist gesichert, dass bestimmte Wildtiere, vermutlich Nager, das Virus übertragen. Aber wer genau das natürliche Reservoir bildet, ist unbekannt. Zuletzt konzentrierte sich die Forschung auf die Frage, wie es zur Weitergabe aus endemischen in nicht endemische Gebiete kommt. Dies ist das europäische Interesse an dem Thema.
Die zentralen Fragen zu dem Virus sind auch ein halbes Jahrhundert nach dem Auftreten unbeantwortet: Wie gefährlich ist Mpox für den Menschen und wie gefährlich kann es werden? Wie kommt es zu Mutationen des eigentlich wenig mutationsfreudigen DNA-Virus? Nehmen dadurch das Tempo der Ausbreitung und die Schwere der Erkrankungen zu? Ist Klade I tatsächlich gefährlicher als Klade II, wie gemutmaßt wird?
An Mpox kann man studieren, was passiert, wenn ein Virus fast ausschließlich in Afrika zirkuliert: Die Epidemiologie ist nicht verstanden, die Diagnostik verbesserungswürdig, Langzeitfolgen sind unerforscht, obwohl dies für die Versorgung wichtig wäre, es gibt kaum Schritte für eine Ausweitung der Impfstoffherstellung, und es mangelt an der Entwicklung von Medikamenten – jüngste Ergebnisse klinischer Studien für das bislang einzige Virostatikum Tecovirimat waren übernüchternd. Behandelt werden können weiterhin nur die Symptome.
Vermutlich werden nur schwere Erkrankungen festgestellt, weshalb die Dunkelziffer sehr hoch sein dürfte.
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