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Anschlag auf Migrationsdeal mit Italien?

In Tripolis wurde ein gesuchter Ex-Küstenwächter und Menschenhändler erschossen

Der nun getötete »Bija« auf einem libyschen Küstenwachschiff
Der nun getötete »Bija« auf einem libyschen Küstenwachschiff

Mit der Ermordung des berüchtigten libyschen Menschenhändlers Abd al-Rahman Milad, bekannt als »Bija«, in Tripolis könnte auch ein Deal zwischen Italien und Libyen zur Migrationsabwehr Geschichte sein. Der ehemalige Leiter der libyschen Küstenwache wurde am Sonntag in Sayyad westlich der Hauptstadt erschossen. Aufnahmen in sozialen Medien zeigen sein von Kugeln durchlöchertes Fahrzeug. Über das Schicksal seines Fahrers ist nichts bekannt.

Der 34-jährige Milad galt als Schlüsselfigur im Menschen-, Waffen-, Drogen- und Ölhandel in Libyen und wurde seit 2018 mithilfe von Interpol gesucht. Im gleichen Jahr hatte das US-Finanzministerium Sanktionen gegen Milad und fünf weitere Personen wegen »Gefährdung des Friedens, der Sicherheit oder der Stabilität Libyens durch ihre Beteiligung am Schmuggel von Migranten« verhängt. Anschließend setzte ihn der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen auf eine Sanktionsliste. Laut der UN-Falldarstellung stand Milads Küstenwacheneinheit »durchgängig mit Gewalt gegen Migranten und andere Menschenschmuggler in Verbindung gebracht«.

Milad betrieb offenbar ein doppeltes Spiel: Einerseits soll er Millionen damit verdient haben, Menschen auf See in Richtung Europa zu schicken. Andererseits nutzte er in seiner Rolle als Kommandeur der Küstenwache europäische Gelder und von Italien gespendete Schiffe, um die Boote der Migranten wieder abzufangen und diese in Lager zurückzubringen, wo sie erneut für eine Überfahrt bezahlen sollten. In einer Marineakademie soll er dazu auch Kadetten ausgebildet haben. Bei der Wegfahrt von dieser Akademie erfolgten am Sonntag die tödlichen Schüsse.

Trotz der seit Jahren bekannten Vorwürfe war Milad 2017 von der damaligen Mitte-links-Regierung nach Italien eingeladen worden. Bei verschiedenen Treffen ging es um die Reaktion auf die Ankunft einer zunehmenden Zahl von Migranten, die auf dem Seeweg Italien erreichten. Eines dieser Treffen soll im Hafen von Catania auf Sizilien stattgefunden haben. Laut einem Bericht der Zeitung »Avvenire« wurde dabei die engere Zusammenarbeit zwischen der libyschen Küstenwache und italienischen Behörden zum Abfangen von Migrantenbooten verabredet.

So »geheim«, wie italienische Medien die Treffen dargestellt haben, waren diese allerdings nicht. Die italienische Küstenwache hat darüber selbst informiert und ein Foto der Teilnehmer veröffentlicht, darunter auch Milad. Bekanntlich ging es bei den Gesprächen um eine Hintertür im Völkerrecht: Die EU finanzierte die Einrichtung einer Seenotleitstelle und den Aufbau der Küstenwache in Libyen, um Migrantenboote aufzubringen und die Insassen zurück nach Libyen zu verfrachten. Dieses aus Brüssel mit fast 60 Millionen Euro ausgestattete Projekt wurde von Italien geleitet.

Wirklich geheim waren die Inhalte des italienisch-libyschen Deals – obwohl dazu EU-Gelder verwendet wurden, die offenbar niemals für ihren eigentlichen Zweck verwendet wurden. Dutzende parlamentarische Anfragen dazu ließ Italiens Regierung wegen angeblich notwendiger Geheimhaltung zu einem Großteil unbeantwortet, ebenso journalistische Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz an das Innenministerium in Rom. Diese stammten unter anderem von Sara Creta, die gegenüber »nd« auf die mangelnde Transparenz für EU-Vorgänge verweist. »In Bezug auf die Aktivitäten in Libyen war die fehlende Rechenschaftspflicht offensichtlich – sowohl auf europäischer als auch auf italienischer Seite«, so die italienische Investigativjournalistin.

Milad hat die Verstrickung in Menschenhandel und Treibstoffschmuggel bestritten, 2020 wurde er jedoch in Libyen deswegen verurteilt. Nach Verbüßung einer Haftstrafe von rund sechs Monaten wurde er in Zawiya, wo seine militärische Küstenwacheinheit stationiert war, wie ein Held empfangen. Anschließend soll Milad versucht haben, »sein Image zu reinigen«, berichtet die italienische Nachrichtenagentur Agenzia Nova, indem er eine »scheinbar tugendhafte« Haltung gegen Kriminalität einnahm. Dabei sei er zu einem »wertvollen Aktivposten für die Türkei« geworden, indem er geholfen habe, eine türkische Marinebasis mit syrischen Söldnern in Tripolis zu sichern.

Einen Tag vor seinem Tod hat ein Bericht der »Irish Times« belegt, dass die Anschuldigungen gegen Milad weiterhin aktuell waren. Die Journalistin Sally Hayden protokollierte dazu an Bord des zivilen Rettungsschiffes »Geo Barents« der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen Aussagen von Migranten. Diese erzählten der Zeitung, wie sie von bewaffneten Männern auf Küstenwachschiffen aufgegriffen und in Haftanstalten gebracht wurden, in denen Misshandlung und Folter immer noch an der Tagesordnung sind.

Die von der »Geo Barents« Geretteten identifizierten auf Fotos einen weiteren Menschenhändler aus Libyen, der in der »Abteilung für die Bekämpfung der illegalen Migration« in Tripolis tätig und Direktor mehrerer Haftzentren sein soll. Mit der Abteilung arbeitet auch die Europäische Union in verschiedenen Projekten zusammen. Darunter ist die Mission EUBAM, an der die deutsche Bundespolizei teilnimmt.

Wer den Mord an Milad verübt hat, ist unklar. Wohl wegen seiner berüchtigten Vergangenheit gibt es jedoch verschiedene Spekulationen über die Hintergründe. Zu den Thesen gehört, dass rivalisierende Milizen in Zawiya dafür verantwortlich sein könnten. Der italienische Journalist Nello Scavo vermutet, dass Milad von einem Rivalen aus seiner eigenen Miliz getötet worden sein könnte. Schließlich gibt es auch Theorien, wonach die Ermordung mit aktuellen politischen Spannungen in Tripolis zusammenhängen. Der Ex-Küstenwächter soll sich mit seiner Miliz gegen den amtierenden Premierminister Abdulhamid Mohammed Dbeiba gestellt haben.

Italienische Journalisten, die zu Milads kriminellen Aktivitäten recherchiert hatten, sehen in seinem Tod ein mögliches Ende des undurchsichtigen Deals zwischen Italien und Libyen zur Migrationsabwehr. Ähnliche Absprachen – wenn auch, soweit bekannt, ohne die Einbindung berüchtigter Milizen – unternimmt derzeit die deutsche Bundesregierung. Vor zwei Wochen hat sich der Staatsminister für Migration im deutschen Innenministerium, Bernd Kroeser, mit dem libyschen Minister für auswärtige Angelegenheiten und internationale Zusammenarbeit, Taher Al-Baour, sowie den Botschaftern beider Länder in Tripolis getroffen.

Auf der Tagesordnung des deutsch-libyschen Treffens stand nach Angaben libyscher Medien »das Problem der illegalen Einwanderung und die libyschen Bemühungen, dieses Problem zu lösen«. Kroeser soll in Tripolis die Bereitschaft bekundet haben, zur Migrationsabwehr mit Libyen auf bilateraler Ebene und auf Ebene der EU-Kommission enger zusammenzuarbeiten.

Beide Seiten hätten sich darauf geeinigt, einen gemeinsamen Ausschuss zu bilden, dem Vertreter der mit »illegaler Einwanderung und anderen Sicherheitsfragen« befassten Bereiche beider Länder angehören. Nachfragen des »nd« zu den in Tripolis getroffenen Vereinbarungen beantwortete das Bundesinnenministerium nicht.

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