Ehrbare Kaufleute in der NS-Zeit?

Felix Matheis über Hanseaten im »Osteinsatz«

  • Stefan Bollinger
  • Lesedauer: 3 Min.
Hier residieren noch heute die »Ehrbaren Kaufleute«.
Hier residieren noch heute die »Ehrbaren Kaufleute«.

Ein makabres Kapitel der Geschichte des deutschen Kapitalismus schlägt Felix Matheis auf. Er erinnert an hanseatische Kaufleute, die deutschen Waffen folgten oder ihnen gar voranschritten, allzeit bereit und egal wo, profitable Geschäfte zu tätigen.

Bereits 1517 hatte sich in Hamburg die »Versammlung Eines Ehrbaren Kaufmanns« gegründet, die bis heute existiert, 1200 Mitglieder zählt und sich stolz »die größte werteorientierte Vereinigung Deutschlands« nennt. Während der NS-Zeit wurde sie als Neujahrsveranstaltung zelebriert, weiß der Autor und erläutert sodann: »Sofern sich die ›Ehrbarkeit‹ nicht bloß auf den sozial elitären Status der Kaufleute bezog, waren damit auch wirtschaftsethische Normen gemeint. Als ›ehrbar‹ galten und gelten solche Haltungen und Praktiken, die die Grundlage für ein redliches und vertrauensvolles Geschäftsverhältnis zwischen Unternehmern darstellen, zum Beispiel Fairness, Verlässlichkeit, Verantwortungsbewusstsein und Loyalität.«

Auf Grundlage akribischer Archivstudien in Deutschland und Polen zeigt Matheis, dass solche »Ehrbarkeit« jedoch nicht gegenüber den Einheimischen in den deutschen Kolonien galt und ebenso wenig gegenüber den von Nazideutschland überfallenen und unterjochten Völkern des Ostens, ganz zu schweigen von der jüdischen Bevölkerung. Allein in den eroberten Gebieten der Sowjetunion waren über 180 hamburgische Unternehmen an der Auspressung von Land und Leuten beteiligt.

Matheis legt den Fokus seiner Untersuchung auf die Spuren hanseatischer Kaufleute und deren »Einsatzfirmen« im okkupierten Polen, die ab dem heimtückischen Überfall am 1. September 1939 Wehrmacht und Einsatzgruppen von SD und SS auf dem Fuße folgten. Der Autor weist nach, dass mindestens 51 Firmen aus Hamburg und Bremen im »Generalgouvernement« agierten. Nazideutschland degradierte das Nachbarland zu einer Kolonie, dessen Bevölkerung »zu Menschen zweiter Klasse, im Falle der jüdischen Polen sogar zu Menschen dritter Klasse« und zum Freiwild für Ausbeutung und Beraubung. Besatzungsbehörden und wirtschaftliche Agenten arbeiteten Hand in Hand.

Matheis berichtet über das Andienen der deutschen Kaufmannschaft an die Nazis, die ihnen einen Ausweg aus wirtschaftlicher Krise boten und die Chance eröffneten, neue Objekte für die Profitmaximierung aufzutun, nachdem sie infolge der Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg »schlagartig von ihren transozeanischen Betätigungsfeldern abgeschnitten« worden waren. Die Tschechoslowakei und Österreich gehörten zu ihrer ersten neuen Beute, wo sie – wie schon in Deutschland – insbesondere von der »Arisierung« jüdischen Eigentums profitierten. Unermesslich reiche Gewinne brachte ihnen aber vor allem der groß angelegte »Hanseatische Osteinsatz« ab 1940 bis Kriegsende. »Die hansestädtischen Kaufleute taten nicht nur im besetzten Polen ihre Herkunft selbstbewusst kund. Auch in der Heimat äußerten sich die Handelskammern in Hamburg und Bremen unzweifelhaft stolz über die Betätigung ihrer Mitglieder im neu erschlossenen Markt.« Opportunismus und Skrupellosigkeit hatten sich für diese »ehrbaren Kaufleute« bezahlt gemacht.

Ein abschließendes Kapitel widmet sich der Nachkriegssituation. Die hanseatischen Händler zeigten keine Reue, schämten sich nicht ihres betrügerisch und gewaltsam erworbenen Reichtums, klagten sogar als »Vertriebene« oder (durch die sowjetische Besatzungsmacht) »Enteignete« Entschädigungen ein, die sie teils in den letzten Kriegstagen schon von der NS-Bürokratie erhalten hatten.

Matheis Fazit: »Die hansestädtischen Kaufleute bildeten einen integralen Bestandteil der Besatzungsherrschaft, die viele von ihnen auch vor dem Hintergrund kolonialistischer Sichtweisen interpretierten und rechtfertigten. Die vermeintlich minderwertige Bevölkerung vor Ort, über die man als ›Herrenmenschen‹ verfügte, sowie die räumliche Umgebung konnte mit afrikanischen Territorien und deren Bevölkerung verglichen werden, in denen man teilweise bis 1939 tätig gewesen war. Dieser koloniale Resonanzraum bot den Hamburgern und Bremern die mentalen und moralischen Ressourcen, das eigene Tun im eroberten Gebiet zu rechtfertigen und überdies nun in hanseatische Traditionen einzubetten, von deren Standpunkt Polen noch 1940 als ›Terra incognita‹ gegolten hatte.«

Felix Matheis: Hanseaten im »Osteinsatz«. Hamburger und Bremer Handelsfirmen im Generalgouvernement 1939–1945. Wallstein, 456 S., geb., 42 €.

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