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- Verkehr in Berlin
Baugrundstücke: Kampf um jeden Meter Straße
Traditionalisten, Grundstücksverwerter und Autofreunde wollen Verkehrsflächen für sich reklamieren
Er habe vorher dem Staatssekretär zugehört, »der wirklich alle Vokabeln vom Blatt ablesen konnte, die notwendig sind, wenn man sich mit diesen Stadträumen beschäftigt«, sagt Hamburgs Oberbaudirektor Franz-Josef Höing. Er erntet damit Gelächter und Applaus beim Publikum.
Die Hansestadt beschäftigt sich mit ihren Magistralen, den vom Autoverkehr dominierten Asphaltschneisen. Für zwölf Ausfallstraßen mit zusammengenommen 160 Kilometern Länge sollen in einem übergreifenden Konzept Verkehrswende und Stadtentwicklung zusammengebracht werden. Nicht zuletzt, um Bauflächen für rund 100 000 neue Wohnungen zu gewinnen.
Das Gelächter im Publikum ging auf Kosten von Johannes Wieczorek (CDU), seit Juni Berliner Staatssekretär für Mobilität und Verkehr. Er hatte in seinem Grußwort recht ausführlich über marode Brücken gesprochen, zur Verkehrswende aber wenige Worte verloren.
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»Die Flächenverteilung ist von zentraler Bedeutung für zukunftsfähige Straßenräume«, sagte Wieczorek etwa. Natürlich durfte das CDU-Mantra nicht fehlen, dass es »nicht darum geht, bestimmten Verkehrsteilnehmern etwas wegzunehmen«, sondern immer darauf geachtet werde, »attraktive Angebote« zu machen. Gemeint sind natürlich die Autofahrer. »Berlin, lass dir das Auto nicht verbieten!«, hatte die CDU schließlich im jüngsten Wahlkampf plakatiert.
Immer neue Kürzungen beim Ausbau der Fahrrad-Infrastruktur werden seit Übernahme des Verkehrsressorts durch die CDU bekannt, auch bei den Verkehrsverträgen mit BVG und S-Bahn will die schwarz-rote Koalition streichen. Eine Neufassung der Kapitel zu Fuß- und Radverkehr des Mobilitätsgesetzes steht ebenfalls auf der Agenda.
Rund 150 Menschen lauschen am Donnerstagnachmittag im Saal des Kronprinzenpalais Unter den Linden den Vorträgen beim Symposium »Große Straßen von heute – Wie der Umbau gelingen kann«. Es ist das Auftaktprogramm zur Ausstellung »Immer modern! Berlin und seine Straßen«, die auf dem Mittelstreifen des Boulevards Unter den Linden rund um die Kreuzung mit der Friedrichstraße noch bis November zu sehen ist.
Die Ausstellung ist in zwei Kapitel aufgeteilt. »Große Straßen von heute« widmet sich der historischen Entwicklung des Bestands. Für die Epoche vor 200 Jahren steht Unter den Linden, die Swinemünder Straße gilt als beispielhafte Frucht des Hobrechtplans von 1862. Weiter geht es mit dem Kurfürstendamm, der Weimarer Republik und Nazi-Planungen am Beispiel der »Westachse« vom Brandenburger Tor bis zur Heerstraße. Beleuchtet werden auch autogerechte Schneisen am Beispiel von Lenin- und Bundesallee in Ost und West und die Reduzierung von Autospuren an der Steglitzer Schloßstraße.
In »Große Straßen von morgen« entwerfen bekannte Architekten Visionen für den zukunftsgerechten Umbau von Straßen. Viel Grün, zum Teil viel Wasser, deutlich weniger Platz für den Autoverkehr, außerdem Bauflächen für neue Häuser – so stellen sich Stars der Branche wie Tchoban Voss, Langhof, Graft und Jan Kleihues etwa die Lichtenberger Möllendorfstraße, die Holzmarktstraße vom Ostbahnhof zur Jannowitzbrücke, die Mollstraße in Mitte oder die Kreuzberger Lindenstraße vor.
Die Stoßrichtung entspricht der Hamburger Linie. »Wir haben von Anfang an immer nur über Stadtentwicklung gesprochen, also nicht darüber, dass wir Verkehrsplanung betreiben wollen«, sagt Oberbaudirektor Höing. Auch in Paris, das seit Jahren eine beispiellose Umgestaltung erfährt, geht es in der Argumentation vornehmlich um Kinderfreundlichkeit, attraktive Stadträume und Hitzeschutz.
Ausrichter der Ausstellung ist der Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin und Brandenburg (AIV), der damit zugleich auch das 200. Jubiläum seiner Gründung begeht. Die Eröffnungsrede des Symposiums hält dann auch folgerichtig der AIV-Vorsitzende Tobias Nöfer. »Die autogerechte Stadt hat sich als Sackgasse für das gute Leben der Städte erwiesen. Wir werden sie durch ein besseres Projekt ersetzen müssen«, sagt er. Der Umbau habe bereits begonnen, erfordere aber noch »breitere zivilgesellschaftliche Debatten und politische Entscheidungen zugunsten einer modernen Mobilität«, sagt der Architekt.
Dieser Umbau ist, wie Nöfer feststellt, »noch lange nicht Common Sense«. Man sehe das, »wie ich finde, in Berlin am beabsichtigten Weiterbau der A100 oder der Neubaustraße mit dem schönen Namen Tangentiale Verbindung Ost (TVO)«. Beides Projekte, für die die Berliner CDU besonders brennt.
Tobias Nöfer ist immer verdächtigt worden, die Verkehrswende und den damit verbundenen Rückbau von Straßen vor allem als Vehikel zu nutzen, um neue Flächen für seine Baukundschaft zu generieren. Das Misstrauen nährt sich aus der Berliner Nachwendegeschichte, genauer dem 1999 vom Senat beschlossenen Planwerk Innenstadt. Vom damaligen Senatsbaudirektor Hans Stimmann auch unter Beteiligung des damals jungen Nöfer entwickelt, war die Maßgabe die Rekonstruktion der Vorkriegs-Blockrandstruktur, also von zur Straße hin geschlossenen Häuserblocks.
Einst öffentliche Flächen wurden privatisiert, bemerkenswerte Zeugnisse der Nachkriegsarchitektur, wie das »Ahornblatt« auf der Fischerinsel, abgerissen. »Die Rekonstruktion im Planwerk Innenstadt der 90er Jahre war letztlich eine städtebauliche Klassenkampfansage«, sagt Katrin Baumert zu »nd«. Sie war damals in Mitte Baustadträtin für die Linke-Vorläuferin PDS. Die Sorge ist, dass öffentliches Straßenland erneut privatisiert wird.
Kritik am historischen Teil der Straßenausstellung kommt von der Initiative Offene Mitte Berlin. »Alles in allem kann der unbefangene Betrachter den Eindruck gewinnen, dass die Zeit vor 1918 eine insgesamt positive Zeit war, während die Weimarer Republik und West-Berlin durch autoritäre Politiker und Stadtzerstörung geprägt waren«, heißt es in einer Mitteilung. Tatsächlich ist der Zeit der ersten Republik als einziger keine konkrete Straße zugeordnet, es werden groß abschreckende zeitgenössische Visionen gezeigt, die keine offiziellen Planungen waren.
Vielleicht liegt es daran, dass Benedikt Goebel Kurator dieses Kapitels war. Der Historiker ist einer der prominentesten Verfechter der Berliner Altstadtrekonstruktion. Ob am Molkenmarkt oder auf der Freifläche zwischen Fernsehturm und Spree, das Ziel ist ein »Städtebau aus parzellierten Häuserblöcken mit einzelnen darin enthaltenen Architektur-Rekonstruktionen«, wie es in der am Freitag vergangener Woche von der Stiftung Mitte Berlin veröffentlichten »Berliner Erklärung« heißt.
»Die autogerechte Stadt hat sich als Sackgasse für das gute Leben der Städte erwiesen.«
Tobias Nöfer Vorsitzender AIV
Goebel ist stellvertretender Vorsitzender der Stiftung, Hauptgeldgeberin und Chefin ist die 92-jährige Marie-Luise Schwarz-Schilling. Beim von einigen Dutzend Interessierten besuchten Mitte-Fest der Stiftung in der Parochialkirche am vergangenen Wochenende stellte Schwarz-Schilling in einem bemerkenswerten, von ihr selbst verfassten Dreiergespräch die Programmatik dar.
Der Senat wolle demnach wahlweise »Ruhe, Ruhe, Ruhe haben«, sei »träge« oder einfach »dagegen«, die Berliner Presse sei »schlecht«, überall gebe es »Bedenkenträger«, hieß es beispielsweise anklagend in der hochtrabend als Theaterstück bezeichneten Aufführung, in der Schwarz-Schilling selbst mitwirkte. Die auf den Rollstuhl angewiesene Frau stellte schwarz gewandet und verhüllt von einem schwarzen Tuch, das an einem schwarzen Regenschirm befestigt war, die »hässliche Mitte« dar, wie sie auf der Bühne sagte.
Die Berliner sollten büßen für das Unheil, das Hitler gebracht habe, so eine weitere Aussage. Und: »Sollen wir dafür bestraft werden, weil unsere Urgroßeltern irgendwann mal etwas falsch gemacht haben?«
In erster Linie geht es um die Fläche am Molkenmarkt, die bereits durch Umverlegung und Reduzierung der Autoverkehrsflächen für eine Neubebauung freigeräumt ist. Seit Jahren tobt der politische Kampf darum, ob die Neubauten historisierend oder zukunftsorientiert ausfallen sollen. Seit Antritt der Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt (parteilos, für SPD) und mit dem neuen SPD-Koalitionspartner CDU schlägt das Pendel mehr Richtung Altstadtfreunde aus.
Mitte sei geprägt von »Häusern aus billigem Beton« und »schwarzem Asphalt« für den enormen Verkehr, heißt es im Bühnenstück. Autos wolle man nicht verbieten, aber die Durchfahrt durch Mitte. Zum Beispiel für einen »Platz, der schöne Einzelhandelsläden hat. Für Porzellan, Glas, Hüte, feine Kleider. An der Ecke ein Café zum Weintrinken.«
»Wie wäre es denn, wenn man einige alte Häuser mit spannenden Fassaden einfach wieder neu aufbaut und dann guckt, was passiert?«, wird der Plan genannt, den die Stiftung tatsächlich verfolgt. Warum Architekten nicht so etwas planen? »Sie haben Angst davor, nicht modern zu sein. Angst vor dem Schönen. Es könnte als rückwärtsgewandt gelten«, so die Antwort im Stück.
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