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»Kunst im Krieg«: Der Geist marschiert
Von der Autonomie der Kunst zur Delegitimierung des Staates: Stefan Ripplinger über »Kunst im Krieg«
»Heinrich, oh Heinrich, mir graut vor dir«. Gretchens Aufschrei gegen Faust fällt einem heute unwillkürlich wieder ein, wirft man einen Blick ins deutsche Feuilleton, das mit wenigen Ausnahmen strammsteht angesichts der Ausrufung einer »Zeitenwende« und der Aufforderung zur »Kriegstüchtigkeit«. Es hat sich von einer Bühne des Räsonnements über die Kultur und die politischen Zeitläufe in einen Scharfrichter über all jene verwandelt, die noch nicht in den bellizistischen und affirmativen Sound der Vorkriegszeit einstimmen wollen.
Wie es so weit kommen konnte und warum die Kulturarbeiter und Künstler dafür besonders anfällig sind, warum aber auch aus diesem Milieu der oft heftigste Einspruch gegen den Mainstream und die herrschaftliche Zurichtung ihres Tuns kommt, davon handelt das neueste Werk von Stefan Ripplinger (»Kunst im Krieg. Kulturpolitik als Militarisierung«). Er ist schon seit Längerem dem Verhältnis von Kunst und Politik auf der Spur.
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Ripplingers Buch ist auf zwei Ebenen angesiedelt: einer deskriptiven und einer analytischen. Er verfolgt beschreibend die in den letzten Jahren stattgefundene Herausbildung einer Kultur, die sich von der Dissidenz zur Staatshörigkeit entwickelt hat, und zwar über die Stationen Corona, Ukraine- und Gaza-Krieg. Gleichzeitig stellt er sich die Frage, wie so etwas möglich war. In diesem analytischen Teil riskiert er steile Thesen, die er aber immer unter den Vorbehalt der Vorläufigkeit und Revidierbarkeit stellt.
Corona war gewissermaßen der Experimentierraum für die Einübung autoritärer Verhaltensweisen und Haltungen. Dem Staat hat die Pandemie die Gelegenheit eröffnet, auszuprobieren, was er alles mit dem Staatsvolk machen kann. Ihm ist das aufgrund der Umstände in den Schoß gefallen, eine böse Absicht sollte man nicht unterstellen. Dafür war die Situation zu neu und zu komplex. Ripplinger neigt bei diesem Thema dazu, dem Staat, aber auch seinen Widersachern von der Querfront eine zu große Handlungsrationalität zu unterstellen.
Eine neue Qualität in der Verrohung des intellektuellen und kulturellen Klimas sieht Ripplinger in der Debatte über den Ukraine-Krieg. Die Dämonisierung der einen Kriegspartei und die ›Heiligsprechung‹ der anderen, die zum Vorkämpfer unserer Freiheit verklärt wird, sucht in der jüngeren Vergangenheit ihresgleichen. Dieses üble Spiel haben große Teile der Kunst- und Kulturwelt mitgespielt, fast niemand hat sich am Boykott und der Ausladung russischer Künstler und an der Erfindung einer besonderen ukrainischen Nationalkultur gestört.
Es ist eine faktische Gleichschaltung, und im Falle der Medien eine »Selbstgleichschaltung«, der wir beiwohnen, schreibt Ripplinger. Wenn der Staat (bislang noch symbolisch) zu den Waffen ruft, marschiert der Geist. Ripplinger schildert diese Kapitulation der kritischen Kunst mit beißender Schärfe, er vergisst aber auch nicht, ein paar historische Zusammenhänge zum besseren Verständnis des Krieges in Erinnerung zu rufen.
Ein neues Bild tut sich auf mit dem Gaza-Krieg. Klar, die Maßregelungen des Staates gegen die aufmüpfigen Künstler werden nicht weniger, ja sie inflationieren geradezu. Ripplinger legt eine beeindruckende Liste von Eingriffen des Staates und kultureller Institutionen vor, aber der Widerspruch gegen die verordnete unbedingte Israel-Loyalität ist – gerade angesichts des Wütens der israelischen Armee im Gazastreifen – beträchtlich. In Deutschland zehrt er vor allem vom Ausland, in dem man die Nibelungentreue der Deutschen irritierend findet.
Als schärfste Waffe gegen die Kritik der israelischen Kriegsführung kommt der Antisemitismusvorwurf zum Einsatz. Er mag in etlichen Fällen zutreffen, aber er trifft eben auch viele, die das Existenzrecht Israels nie infrage stellen würden, wohl aber Probleme mit seiner rechtsradikalen Regierung haben. Ripplinger balanciert diese sensible Materie souverän aus und straft die Antifa-Heißsporne Lügen, die zwischen Politik und Staat nicht mehr differenzieren können und jede Kritik an Israel als die Negation Israels brandmarken. Er zeigt am Beispiel der jüdischen Künstlerin Candice Breitz, wie devot selbst sozialdemokratische Kultusminister(innen) den Prärogativen Netanjahus folgen und sich überhaupt nicht mehr die Mühe machen, ihren Opfern zuzuhören.
Was ist los mit der kreativen Klasse in diesem Land? Ripplinger geht, ehe er darauf eine Antwort versucht, einen großen Schritt zurück. Die bellizistische Zeitenwende ist schon viel früher angebahnt worden: Es war Joschka Fischer, der als Außenminister das diskursive Kunststück vollbracht hat, einen völkerrechtswidrigen Krieg (1999 gegen Jugoslawien) antifaschistisch zu legitimieren und damit dem moralistischen Kriegsgeheul der heutigen Grünen die kognitive Basis zu bereiten. Er hatte damals nicht wenige Claqueure aus dem künstlerischen Milieu, die auf seine »Nie wieder«-Farce hereingefallen sind. Fischer (und Bundeskanzler Schröder) haben die Zeit der »progressiven Kriege«, der Menschenrechtskriege eingeläutet, die – ginge es nach ihren vor allem grünen Adepten – geführt werden müssen, bis die Welt nach ihrem moralischen Geschmack ist.
Damit ist Ripplinger bei einer seiner zentralen These. Der nervöse Blick auf die Kultur- und Kunstschaffenden kommt aus der internationalen Fraktion der hiesigen Bourgeoisie. Sie kann Widerworte nicht mehr ertragen, wenn es um die Abwehr des Bösen (Russland) und die Raison d’Être (Israel) geht. Sie stürzt sich aggressiv auf vermeintliche Staatsfeinde, was Ripplinger schön an Jürgen Kaube, dem Herausgeber und Feuilletonchef der »FAZ«, demonstriert.
Mit dieser neuen Konstellation – die Liberalen und Libertären werden zur Bedrohung der künstlerischen Freiheit, die Konservativen sind eher nachsichtig – wird das progressive kulturelle Milieu in Zukunft leben müssen. Es muss auf der Hut sein, mit seinen Einlassungen und Performances nicht in den Verdacht der »Delegitimierung« der herrschenden Ordnung zu geraten. Der Verfassungsschutz ist nicht weit.
Stefan Ripplinger hat seinem Frust über das neue Juste Milieu und die Maßregelung der Kunst auf beredte Weise Ausdruck verliehen. Bei allem »Pessimismus der Verstandes« hofft er doch auf den »Optimismus des Willens« (Gramsci), auf die subversive Kraft der Kunst. Mut macht ihm, dass die Kulturarbeiter beim Gaza-Krieg nicht zum Schweigen gebracht werden konnten, sondern ihre Kritik der israelischen Kriegsführung mehr und mehr zum Allgemeingut wird.
Stefan Ripplinger: Kunst im Krieg. Kulturpolitik als Militarisierung. Papyrossa. 135 S., br., 14,90 €.
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