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Lee-Miller-Biopic: Die Frau in Hitlers Badewanne
Kate Winslet verfilmt als Produzentin das Leben der bedeutenden Kriegsfotografin Lee Miller und spielt auch gleich die Hauptrolle selbst
Eines ihrer eindrücklichsten Bilder ist nicht unbedingt eines, auf dem der Gegenstand und das, was gezeigt werden soll, sich unmittelbar erschließen. Man sieht einen Teller, darauf ein Berg aus Fleisch, daneben eine Serviette, Messer und Gabel. Der Fleischberg ist, man findet es erst durch den Titel heraus, eine amputierte Brust einer Freundin. Das Körperteil hatte die Fotografin Lee Miller heimlich aus dem Krankenhaus mitgehen lassen. Für das Jahr 1929, wahrscheinlich selbst heute, eine Zumutung. Darf man das zeigen? Wenn es einem darum geht, die Objektifizierung des weiblichen Körpers anzuklagen, dann: klar.
Lee Miller, 1907 in Poughkeepsie im US-amerikanischen Bundesstaat New York geboren, hat sich nie darum geschert, was Konventionen sind. Sie säuft, trinkt, feiert, schläft mit wem sie will und ist dazu auch noch ungemein witzig. Für eine Frau unerhört. Die ist wie ein Mann, nur schöner.
Berühmt wird Miller, wie es sich für eine Frau gehört, nicht durch ihre technisch perfekte Arbeit als Mode-, Porträt- und Kriegsfotografin, sondern durch ein Bild von ihr in Hitlers Badewanne. Und das ist wohl auch das größte Problem des biografisch angelegten Films »Die Fotografin«, produziert von Kate Winslet, die auch die Hauptrolle übernimmt.
»Ich flehe dich an zu glauben, dass das die Wahrheit ist.«
Lee Miller an ihre Herausgeberin Audrey Withers
Während Millers künstlerisches Schaffen schon 20 Jahre vor dieser berühmten Badewannen-Aufnahme begann, konzentrieren sich Winslet, die sich acht Jahre lang in Millers Biografie einarbeitete, und die Regisseurin Ellen Kuras, die hier ihr Debüt gibt und sonst als Kamerafrau bekannt ist, sehr aufs Konventionelle. Fast pflichtschuldig arbeiten sie sich durch Millers Biografie ab den 1940er Jahren, streifen kurz ihr recht zügelloses Leben in Frankreich, um dann pronto mitten rein in ihr Lebenswerk zu rauschen: Die Kriegsfotografie.
Miller dokumentiert noch recht zurückhaltend den »Blitz«, den Angriff der deutschen Luftwaffe auf London zwischen 1940 und 1941. Doch dann entschließt sie sich, dorthin zu gehen, wo die Gräuel am deutlichsten zu sehen sind: An die Front. Sie fotografiert in der französischen Hafenstadt Saint Malo, wo die Wehrmacht eigentlich schon kapituliert haben sollte. Stattdessen findet sich Miller inmitten eines umkämpften Schlachtfeldes wieder und dokumentiert den Einsatz von Napalm. Das alles wird in gebräuchlichen Bildern eines jeden mit recht viel Geld ausgestatteten Kriegsfilms gezeigt (und mit viel zu pathetischer Musik unterlegt: Alexandre Desplat). Ein paar der Fotos, die während dieser Zeit entstanden, werden filmisch nachgestellt, man sieht kurz die Amputation eines Beines im Lazarett, aber auch nicht zu viel, sonst würde einem ja schlecht.
Nächste biografische Station: Hitlers Badewanne. Auf ihrer Reise gen Osten entlang der Kriegsschauplätze landete Miller zusammen mit ihrem Fotografenkollegen und Freund David E. Scherman (Andy Samberg) im Quartier eines Kommandopostens der Alliierten am Prinzregentenplatz 16, Hitlers Privatwohnung in München. Sie zieht sich aus, stellt ihre dreckigen Stiefel – mit dem Schmutz des Bodens in Dachau beschmiert – vor die Wanne, drapiert ein Bild Hitlers am Badewannenrand und lässt sich von Scherman fotografieren. Ein Ausdruck ihres Humors, eine Aneignung der Fassungslosigkeit darüber, was sie bisher vom Krieg gesehen hatte. Miller macht dieses Bild berühmt, ausgezeichnet wurde Scherman.
Das ganze Leid, das Miller mit ihren Bildern bis hierher abgebildet hat, filmt Kuras diszipliniert und streng konventionell herunter. Erst, und da ist der Film schon über eine Stunde gelaufen, als Miller und Scherman sich mit einem Jeep auf zu den Konzentrationslagern in Dachau und Buchenwald machen, wird der Film annähernd wahrhaftig. Die beiden sind mit die Ersten, die das Ausmaß des Holocausts in Bildern festhalten. Selbst alliierte Soldaten glauben nicht, dass die Shoa wirklich passiert ist und halten den Massenmord an Millionen Menschen, obwohl sie ihn mit eigenen Augen gesehen haben, für eine Inszenierung. Zu jenseitig von allem, wozu der Mensch fähig wäre, erscheint ihnen, was sie sehen. Lee Miller telegrafiert deshalb an ihre Herausgeberin Audrey Withers (Andrea Riseborough) bei der »Vogue«, für die sie einen Großteil ihrer Fotoreportagen liefert: »Ich flehe dich an zu glauben, dass das die Wahrheit ist.« So ein banaler Satz, aber er muss gesagt werden und er kommt auch im Film vor. Zu den Bildern der Leichen in den Deportationszügen spielt eine deutsche Frau unbefangen mit ihrem kleinen Sohn neben den Gleisen. Man muss unweigerlich an »Zone of Interest« denken. Und das sind leider die stärksten Szenen des Films.
Keines der Bilder aus dieser Zeit schafft es in die »Vogue«, die sich als ungewohnter Chronist der Kriegszeit hervorgetan hat, weil man der Bevölkerung diese Fotos in der Nachkriegsära nicht zumuten will und stattdessen auf Zerstreuung durch das Wirtschaftswunder hofft. Das ist dann pure Politik, gegen die sich die »Vogue« nicht durchsetzen kann oder will und der Miller als Künstlerin machtlos ausgeliefert ist.
Miller wird später über ihre Kriegserlebnisse depressiv, alkohol- und tablettenabhängig. Davon ist im Film beiläufig die Rede. Dass sie kaum mehr arbeiten konnte und auch nichts mehr mit professioneller Fotografie zu tun haben wollte und sich stattdessen lieber der Kocherei widmete, dafür ist kein Platz mehr in einem Biopic, das ein hochgradig schräges, wechselhaftes und leidenschaftlich selbstbestimmtes Leben in ein Blockbuster-Format pressen will. Dass es Kate Winslet, einer intelligenten und reflektierten Frau, die sich fast zehn Jahre mit dem Stoff beschäftigte und mit Millers Sohn Antony Penrose eng zusammenarbeitete, der den Nachlass seiner Mutter verwaltet, nicht gelungen ist, aus diesem Leben mehr zu machen, als das Hitler-Badewannen-Bild zu verfilmen, ist und bleibt ein Rätsel der Produktionsumstände.
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Auch ist es einigermaßen erstaunlich, dass in einem Film, der zumindest auf Deutsch »Die Fotografin« heißt und in dem es um die Biografie einer der bedeutendsten Kriegsfotografinnen der Welt geht, in keinem wichtigen Satz um die Rolle der Fotografie jenseits der Plattitüde vom Zeigen der Wahrheit geht. Dabei entstehen im Laufe des Gezeigten viele Fragen, etwa, ob der Suizid einer Nazi-Familie durch das Abbilden nachträglich ästhetisiert werden muss? Wo verläuft die künstlerische Grenze zwischen Aufklärung und Verklärung? Darauf muss der Film keine Anworten geben, aber an einer Position dazu gänzlich vorbeizuschlittern, in dem einfach nur gezeigt wird, wie diese Fotos entstanden sind, ist ernüchternd.
So kommt »Die Fotografin« Lee Miller nie wirklich nahe. Man sieht über 120 Minuten ein schnörkelos abgefilmtes, aufregendes Leben, das sich als empowerndes feministisches Manifest präsentieren möchte, dabei aber am eigentlichen Kern, einer Charakterstudie der Künstlerin Lee Miller, vorbeifilmt.
»Die Fotografin«: Großbritannien, USA, Norwegen u.a. 2023. Regie: Ellen Kuras. Mit: Kate Winslet, Andy Samberg, Josh O’Connor, Alexander Skarsgård. 116 Minuten, Start: 19.9.
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