• Kultur
  • Frankfurter Buchmesse

Am langen Arm verhungern lassen?

Hannes Hofbauer hat sich dem Sinn und Unsinn von Wirtschaftskriegen gewidmet

  • Stefan Bollinger
  • Lesedauer: 5 Min.
Profit und Politik stehen oft konträr zueinander: Tafeln eines baden-württembergischen Schokoladenherstellers im Regal einer russischen Supermarktkette.
Profit und Politik stehen oft konträr zueinander: Tafeln eines baden-württembergischen Schokoladenherstellers im Regal einer russischen Supermarktkette.

Der Krieg ist eine barbarische Sache«, konstatierte Woodrow Wilson 1919, »der Boykott allerdings ein unendlich viel schrecklicheres Kriegsinstrument.« Der Wiener Historiker und Osteuropa-Kenner Hannes Hofbauer zitiert den US-amerikanischen Präsidenten in seinem neuen Buch. Schonungslos zeigt er die Konsequenzen der Auseinandersetzung jenseits der Schlachtfelder auf, die ebenso roh und barbarisch ist wie die militärische, nicht immer effektiv und nicht ohne Folgen auch für jene, die meinen mit Sanktionen den Feind in die Knie zwingen zu können.

Wie vom Autor gewohnt, wird auch diesmal weit in die Geschichte zurückgeblickt. Schon 432 v. u. Z. habe Athen versucht, mit seiner wirtschaftlichen Stärke Sparta tödlich zu treffen. Die geografischen und materiellen Dimensionen von Wirtschaftskriegen haben sich seit den alten Griechen beträchtlich erweitert. Die grundsätzlichen Methoden sind gleich geblieben: Embargo, Boykott, Blockade. Die Mittel haben sich den technischen Möglichkeiten der jeweiligen Zeit angepasst: Kriegsschiffe vor feindlichen Häfen, Zollschranken, Verbotslisten, Sprengung von Pipelines, Eingriffe in die Waren- und noch mehr in die Finanzströme ... Militärische Güter sollen dem Gegner nicht zugutekommen, seine Infrastruktur idealerweise trockengelegt werden. Neu ist heute das zielgerichtete Sanktionieren einzelner Personen, die auf der gegnerischen Seite eine wichtige Rolle spielen.

nd.Kompakt – unser täglicher Newsletter

Unser täglicher Newsletter nd.Kompakt bringt Ordnung in den Nachrichtenwahnsinn. Sie erhalten jeden Tag einen Überblick zu den spannendsten Geschichten aus der Redaktion. Hier das kostenlose Abo holen.

Hofbauer erinnert natürlich auch an die Kontinentalsperre des napoleonischen Frankreich gegen Großbritannien 1806, die durch die Weigerung des russischen Zaren, sich daran zu beteiligen, gescheitert ist. Napoleon entschloss sich sodann zum Russlandfeldzug, das Ergebnis ist bekannt.

Verständlicherweise werden die Untersuchungen differenzierter und konkreter, je mehr sie sich der Gegenwart nähern. Der Autor verweist auf die fatalen Erfahrungen des Kalten Krieges: Mit den Cocom-Listen (Coordinating Committee on Multilateral Export Controls, Koordinationsausschuss für multilaterale Ausfuhrkontrollen) wollte der Westen den Ostblock, die Sowjetunion, aber auch China schwächen. Hofbauers Kurzformel hierfür: »Marshall-Plan für den Westen, Cocom für den Osten.« Dies entspreche der Logik der Systemauseinandersetzung wie auch den Ambitionen der USA, die geostrategischen Realitäten zu ihren Gunsten zu verändern.

Hofbauer erinnert daran, dass zu Zeiten des Kalten Krieges allerdings nur die Sanktionen gegen Südrhodesien und Südafrika den UN-Sicherheitsrat passieren konnten. Des Autors Resümee zur »rechtlichen Beurteilung des größten Wirtschaftskrieges der Neuzeit« ist eindeutig: »Die von Washington und Brüssel ab März/April 2014 gegen russische Personen und Unternehmen verhängten Sanktionen sind völkerrechtswidrig. Als gemeinschaftlich vom transatlantischen Block mit seinen über 30 Staaten verhängte Zwangsmaßnahme gegen Russland hätten sie, um rechtliche Legalität für sich in Anspruch nehmen zu können, der Zustimmung des UN-Sicherheitsrates bedurft. Das war nicht möglich und wurde wegen Russlands sicherer Ablehnung nicht einmal probiert.«

Das ist die Crux aller Auseinandersetzungen um den Sinn oder Unsinn von Sanktionspolitik. Das Völkerrecht als das in Rechtsform geronnene Kräfteverhältnis unterschiedlicher Staaten, Blöcke, Mächte sowie ihres jeweiligen Wirtschaftspotenzials garantiert gelegentlich eine gewisse Rechtssicherheit, kippt aber schnell um, wenn eine Seite in der Lage ist, ihre Interessen gewaltsam, in diesem Falle mit ökonomischer Gewalt, durchzusetzen. »Wo eine Sanktion greifen soll, braucht es Macht; am besten Allmacht«, so die Folgerung Hofbauers. Internationale Weihen durch die Uno erhielten in jüngster Zeit die Sanktionen gegen Irak, Jugoslawien, Libyen, Mali und Haiti, was eher mit der damaligen Schwäche Russlands und der Distanziertheit Chinas zusammenhing. Als diese beiden Großmächte auf internationaler Bühne wieder agiler und selbstbewusster auftraten, war es nicht mehr so einfach, eine große Sanktionsfront zu schmieden. »Weitaus häufiger sind es die USA und/oder die EU, die in selbstherrlicher Art kleinere und größere Wirtschaftskriege gegen Länder und Regime betreiben, die ihnen nicht genehm sind.« Und das sind sehr viele.

Im Mai 2024 standen auf der »Sanctions Map« der EU Belarus, Bosnien-Herzegowina, Burundi, China, Guatemala, Guinea, Haiti, Iran, Libanon, Libyen, Mali, Moldawien, Myanmar, Nicaragua, Niger, Russland, Sudan, Syrien, Tunesien, Ukraine, Venezuela und Zimbabwe. Die Sanktionsliste der USA ist doppelt so lang. Es wird geschätzt, dass ein Drittel der Weltbevölkerung unter Sanktionen leidet. Und es sind die Ärmeren und Schwächeren – die sich aber zunehmend wehren und erfolgreich zusammenschließen.

Hofbauer widmet sich ausführlicher der Sanktionspolitik gegen Russland. Westliche Überheblichkeit ging von dem Irrglauben aus, dass die Russische Föderation rasch einlenken würde. In der Praxis erwies diese sich aber, ähnlich vielen anderen sanktionierten Staaten, als widerstandsfähiger; sie verstand es, sich eigener Potenziale zu besinnen und sie zu entfalten, gar mit Gegensanktionen zu reagieren, etwa bei Agrarprodukten oder der Übernahme westlicher Firmen.

Wie es weitergeht, ist natürlich offen, aber die Erwartungen an den Wirtschaftskrieg sind klar enttäuscht worden. Es zeigt sich auch, dass große Wirtschaftsunternehmen und Monopole, die seit Jahrzehnten im Osthandel tätig sind, solche politischen Eingriffe in ihr Profitstreben nicht länger hinzunehmen bereit sind. Diese Konfliktlinie war schon zu Zeiten des Kalten Krieges zu registrieren, beispielsweise zwischen USA und Bundesrepublik im Röhrengeschäft mit der Sowjetunion. Der Bereich Energiepolitik ist besonders sensibel. Trotz Sanktionen führen mehrere westliche Firmen in Russland ihre Geschäfte fort, und es fließen von dort weiterhin Gas und Öl in Richtung Westen, selbst Uran wird weiter geliefert. Profit und Politik stehen oft konträr zueinander.

Bittere Erfahrungen aus der Vergangenheit lehren aber auch: Wo die Waffe von Sanktionen nicht mehr als ausreichend angesehen wird, wird irgendwann scharf geschossen. Hofbauer hofft inständig, »dass der vom Westen gegen Russland geführte Wirtschaftskrieg nicht wie so manch anderes Sanktionsregime vor ihm zu einem Schießkrieg zwischen Atommächten führt«.

Hannes Hofbauer: Im Wirtschaftskrieg. Die Sanktionspolitik des Westens und ihre Folgen. Das Beispiel Russland. Promedia, 256 S., br., 22 €; E-Book 17,99 €.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.