Richard Schuberth: Bettler und Bürger, Struppis und Streber

Die kultur- und gesellschaftskritischen Texte des Wiener Schriftstellers Richard Schuberth gibt es nun als fast 500 Seiten starken Sammelband

Nicht Schuberths einziges Talent: Er durchschaut die Dobermannattitüde eines jeden wurstigen FPÖ-Mannes.
Nicht Schuberths einziges Talent: Er durchschaut die Dobermannattitüde eines jeden wurstigen FPÖ-Mannes.

Nicht ausgeschlossen, dass es sich bei Richard Schuberth um so etwas wie den letzten linken Intellektuellen Österreichs handelt. Der Wiener Schriftsteller hat den Kapitalismus ebenso wie den Kulturbetrieb durchschaut, und er ist erfreulicherweise mit vielem nicht einverstanden. Und: Im Gegensatz zu anderen kann er seine Kritik präzise und mit wohlgesetzten Worten formulieren. Was ja vor allem unter deutschsprachigen Schriftstellerinnen und Schriftstellern alles andere als eine Selbstverständlichkeit ist. Hierzulande und heute wird jemand ja oft schon als Wiedergeburt von Thomas Mann gefeiert, wenn er oder sie stolz den Wortschatz eines durchschnittlichen Bundesligafußballers vorweisen kann. Und von der allgemeinen jederzeitigen Anbiederungs- und Zustimmungsbereitschaft, geistigen Stromlinienförmigkeit und verbreiteten FDP-Gesinnung in diesem Milieu wollen wir hier gar nicht erst reden.

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Obendrein hat Schuberth Humor, eine Qualität, die unter Leuten, die bei uns, in Deutschland, für Intellektuelle gehalten werden, bekanntermaßen als verpönt gilt. Wer als Schriftsteller etwas von Witz, Satire und Polemik versteht, wird in Deutschland traditionell als eine Art unseriöser Clown verunglimpft oder als Spielverderber markiert und darf beim Schaulaufen auf der Buchmesse und beim Abklappern des Medienbetriebs schneller nicht mehr mitmachen, als er »Habermas« sagen kann. In Österreich scheint dieses Ressentiment nicht ganz so tief zu sitzen wie hier.

Schuberth, gestählt durch jahrzehntelanges Studium der Werke von Karl Kraus und der Kritischen Theorie, ist ein unabhängiger, radikal kritischer Geist. Der Geist, der stets verneint, hätte ich jetzt beinahe geschrieben. (Huch, jetzt habe ich es doch getan.) Einer, der keine Angst hat zu sagen, was ist. Und der das auch sagt beziehungsweise schreibt, und zwar wortgewandter als andere (die, nebenbei angemerkt, so etwas wie das im Folgenden Zitierte vermutlich auch niemals sagen oder schreiben würden).

Über den in Deutschland ernsthaft als »Philosoph« verehrten und seit Jahren mit reaktionären Thesen erfolgreich durch die TV-Kanäle zockelnden Peter Sloterdijk, der im Nebenberuf schlechte Prosa produziert, hat Schuberth den schönsten und wahrsten Satz geschrieben, den ein Mensch verfassen kann. Der Satz lautet: »Seit 40 Jahren verpackt dieser erstaunlich unangefochten Demokratie- und Pöbelverachtung, Eugenik, Schicksalskult, Apologie des Kapitals und Antihumanismus in jenen weihevoll aufgeblasenen Jargon, vor dem deutsche Halbbildung so gerne schaudernd erbebt.« Wie gesagt: Besser kann man das Sloterdijksche Geschäftsmodell nicht zusammenfassen.

Wie sich das für kritische Geister gehört, hat Schuberth sich als humorbegabter Grantler und Tunichtgut im besten Sinne erwiesen. Er ist, was selten genug ist in seiner Branche, bekennender Linker; und um das zu sein, benötigt er weder eine Partei noch ein anderes wärmendes Kollektiv. Den Fängen der seit Jahrzehnten in Zimmerlautstärke vor sich hin sterbenden Sozialdemokratie entgeht er dabei ebenso zielsicher wie dem sich als diffus linksnationalradikal-antiimperialistisch verstehenden außerparlamentarischen Struppitum, das derzeit wiedererwacht und dessen teils liebedienerische Verbrüderung mit Islamisten und anderen Menschenfeinden er ebenso beanstandet wie das Treiben der Rechten.

Vielmehr schlägt der Kulturwissenschaftler Schuberth sich als linker Selbstdenker und Einzelgänger auf die Seite der wehrlos Gemachten und Geknechteten. So etwa in seiner glorreichen Verteidigung des Bettlerwesens, in der er dem Bürger erklärt, was es mit dessen Abneigung gegen die Armen auf sich hat. Der Text erschien erstmals 2019 in der österreichischen Tageszeitung »Der Standard«: »Die Erklärung, dass die Satten die Hungrigen abwehren, weil sie an den eigenen sozialen Abstieg erinnern, hat einiges für sich. (…) Nur zu gut wisst ihr oder spürt zumindest, wie böse und sinnlos das gesamte Gefüge ist und wie wenig euch vom Bettler, der Bettlerin trennt. Eben darum und nur darum muss dieser, muss diese weggemacht werden. Ihr U-Bahn-Benutzer auf dem Weg zur Arbeit wisst genau, dass ihr die Bettler von morgen sein werdet und sein könntet. An den Schwächeren werdet ihr Rache nehmen dafür, was man euch selbst antut, wenn der Sammelruf zum großen Reinemachen erschallt.«

Schuberth, der auch gegenüber den soeben von der Mehrheit der österreichischen Bevölkerung gewählten »FPÖ-Pimpfen« keine Scheu an den Tag legt, sie als das zu bezeichnen, was sie sind, kennt sich aus mit dem Bürger, der sich auf den Weg macht, zum Faschisten zu werden, und der reflexhaft nach unten tritt, wenn er von oben Druck erfährt. Mit dem »genuin österreichischen Aggregatzustand rechter Gesinnung« beschäftigt Richard Schuberth sich nicht erst seit gestern. Über die vielen, die Nazis sind, aber tunlichst nicht so genannt werden wollen, schreibt er: »Hier gibt es keine authentischen Nazis, weil es keine Authentizität gibt – im postmodernen Freiluftlabor namens Österreich. Niemand, der wie ein Nazi handelt, wie ein Nazi denkt und wie ein Nazi fühlt, will einer sein. Wie Quecksilber geht die rechte Jauche hoch, zerrinnt und fließt an anderer Stelle wieder zusammen.«

Treffend ist auch diese Beobachtung, die er an dem vor einigen Jahren gestürzten ehemaligen FPÖ-Vorsitzenden Heinz-Christian Strache gemacht hat: »Früh zeigte sich hinter seiner glutäugigen Dobermannattitüde das wienerisch Unernste, Schusselige, nach allseitiger Anerkennung Gierende, sein ganzer Habitus war zutiefst kleinbürgerlich, der eines gut gekampelten, unsicheren Strebers.« (Das österreichische Wort »gekampelt« bedeutet so viel wie »geschniegelt und gestriegelt«.) Kann schon sein, dass man dasselbe, abzüglich des »wienerisch Unernsten«, auch über die hiesigen AfD-Pimpfe sagen könnte.

Richard Schuberth: »Rückkehr des Dschungels«. Essays und andere Texte 2017–2023. Drava-Verlag, 470 S., geb., 24,90 €.

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