»Dahomey« im Kino: Gefangen im Pariser Museum

Ist der Restitutionsakt eine gönnerhafte Geste der Kolonisatoren? Der Dokumentarfilm »Dahomey« diskutiert diese Frage

  • Benjamin Moldenhauer
  • Lesedauer: 4 Min.
Man kann nicht anders, als mit dem Film gemeinsam über Kolonialismus und Kolonialgeschichte nachzudenken.
Man kann nicht anders, als mit dem Film gemeinsam über Kolonialismus und Kolonialgeschichte nachzudenken.

In einem ersten Schritt wird die Glorie des Kolonialstaates verkleinert. Mittels Bildern von Miniaturmodellen des Eiffelturms, die in der Pariser Nacht reichlich albern blinken: Das nationale Wahrzeichen ist hier Tinnef, und was in den Museen steht, wurde geraubt. Mati Diops dokumentarischer Film »Dahomey« erzählt von einem Restitutionsvorgang. Im November 2021 gab der französische Präsident Emmanuel Macron mit reichlich Wiedergutmachungstamtam ganze 26 von insgesamt Tausenden Objekten, die französische Truppen im 19. Jahrhundert aus dem damals noch existierenden Königreich Dahomey gestohlen hatten, an das heutige Benin zurück.

Diops Film, der auf der diesjährigen Berlinale mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde, teilt sich in zwei sich langsam, aber keineswegs gemächlich entfaltende Teile. Im ersten werden Verpackungs-, Versendungs-, Auspack- und Ausstellungsvorgänge gezeigt. Die Objekte reisen von Paris nach Benin. Im zweiten Teil diskutieren Studierende der Université d’Abomey-Calavi über die Bedeutung dieser Vorgänge.

Dabei geht Diops Bild- und Soundgestaltung über ein abbildhaftes Verständnis hinaus, zugunsten von etwas, das man »magischen Dokumentarismus« nennen könnte. Objekt 26 bekommt eine elektronisch verfremdete Stimme verliehen, einen lyrischen Text, der über die eigene Erfahrung in der Diaspora und die Dunkelheit in Frankreich und während der Rückreise räsoniert: »So weit ich zurückdenken kann, gab es keine Nacht, die so tief und undurchsichtig war.« Das Dasein im Pariser Museum wird von Objekt 26 als Gefangenschaft beschrieben. »Wie lange bin ich in Gedanken umhergereist, aber es war so dunkel an diesem fremden Ort, dass ich mich in meinen Träumen verlor und eins wurde mit diesen Wänden.«

»Dahomey« lässt die Herren von einst symbolisch klein werden und verschiebt den Fokus auf die Nachkommen der unmittelbar gewaltsam Kolonisierten.

Die Rückkehr ist keine triumphierende. Und Mati Diop hat es mit ihrer Bild-Text-Montage geschafft, den Eindruck zu vermeiden, ihr Film würde für die Kolonisierten und also an ihrer Stelle sprechen. Stattdessen wird mit der Verleihung einer Stimme an das Artefakt, das zurückgegeben wird, seine Bedeutsamkeit spürbar. Wenn Objekt 26 sich erinnert und über die Dunkelheit nachdenkt, werden die Objekte und ihre Restitution zum Medium von Geschichte und damit zur Vermittlung von Kolonialgeschichte.

Mati Diop setzt wie schon in ihrem Spielfilmdebüt »Atlantique« ihre filmischen Mittel nie plakativ, sondern subtil und präzise ein. Man kann beispielsweise darauf achten, wie Bild und Tonspur – Field Recordings und der Soundtrack von Dean Blunt and Wally Badarou – immer wieder asynchron werden und in welchen Momenten.

Diese Vermittlung wird so nicht einfach nur behauptet, sondern spürbar. Sie entfaltet sich sozusagen in dem Raum, in dem der Film projiziert wird, als Atmosphäre, sodass man nicht anders kann, als mit dem Film gemeinsam über Kolonialismus und Kolonialgeschichte nachzudenken. Der Raum wird damit zu einem temporären Austragungsort von Geschichte und Geschichtsschreibung und von Fragen der Wiedergutmachung.

Die Idee, Objekte als Medium des Aushandelns und des Streits über Geschichte und Gewalt filmisch in Szene zu setzen, wird explizit im zweiten Teil von »Dahomey«. Studierende der Universität diskutieren in einem Forum über die Bedeutung der Restitution, unterlegt ununterbrochen von Alltagsszenen und Straßengeräuschen der Stadt Cotonou, in der die 26 Objekte in einem eigens für sie gebauten Museum ausgestellt werden.

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Es beginnt mit der Frage nach der Bedeutung des Restitutionsaktes selbst: Eine gönnerhafte Geste der Kolonisatoren? 26 von rund 7000 gestohlenen Objekten seien schließlich eine lächerlich geringe Zahl. Oder der Beginn von einem umfassenderen Wandel im Verhältnis zwischen den Kolonisatoren und den Kolonisierten? Schließlich könne man sich nun überlegen, wie man die übrigen Objekte raus aus Frankreich und zurück nach Benin bekommen könnte.

Bald schwenkt die Debatte über zu grundlegenden Fragen, nach der eigenen Geschichte, dem Bildungswesen – Warum ist es wichtig, Aristoteles und Platon zu zitieren, wer bestimmt das? – und dem, was man gemeinhin Identitätsfragen nennt. Die Bilder sind so gebaut, dass Zuschauerin und Zuschauer freundlich, aber bestimmt in die Rolle der Zusehenden und vor allem Zuhörenden versetzt werden; die Kamera nah an den Gesichtern der Sprechenden, aber nie so nah, dass es distanzlos würde.

Die Art und Weise, wie hier die Sprecher*innen aus dem Globalen Süden und die Zuhörenden aus dem Globalen Norden in ein neues Verhältnis gesetzt werden, wurde symbolisch in der Eingangssequenz, dem Bild der Miniatur-Eiffeltürme schon vorweggenommen. Man hört in diesem Film auch keine französischen Politiker*innen sprechen. »Dahomey« lässt die Herren von einst symbolisch klein werden und verschiebt den Fokus auf die Nachkommen der unmittelbar gewaltsam Kolonisierten, nicht um ihnen eine Stimme zu geben, sondern um sie selbst sprechen zu lassen.

»Dahomey«, Frankreich/Senegal/Benin 2024. Regie und Buch: Mati Diop. 67 Min. Jetzt im Kino.

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