Gerichtsurteil: Gewobag muss Entschädigung zahlen

Ein Kreuzberger Paar musste jahrelang für einen rollstuhlgerechten Zugang zu seiner Wohnung kämpfen

Nikola Arsic (r.), Dennis Kuhlow (2. v.r.) erkämpften ein wegweisendes Urteil nicht nur für behinderte Menschen.
Nikola Arsic (r.), Dennis Kuhlow (2. v.r.) erkämpften ein wegweisendes Urteil nicht nur für behinderte Menschen.

Sechs Stufen können eine große Hürde sein. Wenn man wie Nikola Arsic auf einen Rollstuhl angewiesen ist, stellen sie ohne Unterstützung ein unüberwindbares Hindernis dar. Ein solches findet sich am Eingang des Kreuzberger Wohnhauses, in dem Arsic und sein Ehemann Dennis Kuhlow leben. »Man wird abhängig«, sagt Arsic auf einem Pressetermin vergangene Woche. Für alles – selbst einkaufen oder arbeiten – musste sich das Ehepaar absprechen. Eine komische Dynamik sei das gewesen, sagt Arsic. Mittlerweile gibt es eine Rampe, die es ihm erlaubt, ohne Hilfe selbstständig in seine Wohnung zu gelangen oder sie zu verlassen.

Dass die Rampe gebaut wurde, musste sich die junge Familie hart erkämpfen – gegen den Widerstand des Vermieters, dem landeseigenen Wohnungsunternehmen Gewobag. Dabei hätte diese von Anfang an lediglich die Zustimmung geben müssen. Das Paar trug die Kosten selbst, von der Planung, die der Architekt Arsic selbst erledigte, bis zur Ausführung.

Dennoch begann 2020 ein bürokratisch-juristischer Höllenritt. Kuhlow schreibt damals einen »netten, offenen und ausführlichen« Brief an die Hausverwaltung, in dem er auf das Problem aufmerksam macht und Vorschläge übermittelt, um ins Gespräch zu kommen. Von Anfang an ist klar, dass das Ehepaar die Rampe selbst finanzieren muss, wozu es sich auch bereiterklärt. Aber von der Hausverwaltung kommt lange keine Reaktion, berichtet Kuhlow. Im Laufe der Jahre wendet er sich an zahlreiche Stellen: den Mieterrat der Gewobag, die Ombudsstelle für behördliche Diskriminierung des Senats, den Senat selbst und den Petitionsausschuss des Abgeordnetenhauses.

Keine der angefragten Stellen kann oder will die Gewobag zum Einlenken bewegen. Diese weigert sich konsequent, die Zustimmung zur Rampe zu geben. Nachdem der kommunikative Weg gescheitert ist, gehen Arsic und Kuhlow mit Unterstützung der Fachstelle gegen Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt vor Gericht. Schon in der ersten Instanz, dem Amtsgericht Kreuzberg, verliert die Gewobag und wird verurteilt, die Genehmigung zu erteilen. Das Unternehmen geht in Berufung, verliert dann aber auch in der zweiten Instanz.

»Das ist ja keine Bittstellerei, sondern wir wollten nur unser Recht erhalten.«

Dennis Kuhlow Mieter bei Gewobag

Die 24 Meter lange Rampe steht jetzt, nach der Erteilung der Genehmigung, seit Sommer 2023. Gekostet hat sie insgesamt 35.000 Euro, von denen bis jetzt Kuhlow und Arsic noch rund 9.000 Euro tragen müssen. Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg hat den Rest bezuschusst. Vorbei war die Sache damit aber noch nicht. »Wir hatten noch einen Kloß im Hals«, sagt Kuhlow. Zu keinem Zeitpunkt kommt so etwas wie eine Entschuldigung von der Gewobag. »Das ist ja keine Bittstellerei, sondern wir wollten nur unser Recht erhalten«, so Kuhlow. Deswegen entscheidet sich das Paar, nach dem Antidiskriminierungsgesetz zu klagen. Und auch hier bekommen sie Recht. Die konsequente Weigerung des Vermieters kommt diesen nun teuer zu stehen. Im September hat das Landgericht Berlin das Unternehmen wegen Diskriminierung zu einer Zahlung von 11.000 Euro verurteilt.

Das Gericht habe geurteilt, dass die Wohnungsbaugesellschaft von Anfang an verpflichtet war, den beanspruchten barrierefreien Zugang zu gestatten, sagt Dirk Scholz, der das Ehepaar vor Gericht vertreten hat. Indem sie das nicht tat, habe sie Arsic diskriminiert und damit gegen das Allgemeine Gleichstellungsgesetz verstoßen. Scholz verweist auf die Besonderheiten der Situation. Schließlich kann nicht jede*r mit so viel Geld in die Finanzierung gehen. »Da würden viele Leute scheitern, unabhängig von der rechtlichen Einschätzung«, sagt er. Aber auch das Durchhaltevermögen der Kläger habe diese Entscheidung möglich gemacht.

Das Urteil ist wegweisend, wie Charlotte Weber von der Fachstelle gegen Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt sagt. Ihr Kollege Remzi Uyguner pflichtet ihr bei. »Die betroffenen Personen machen das ja nicht wegen des Geldes. Sie wollen eine Entschuldigung oder ein Einsehen der jeweiligen Unternehmen.« Dass das nicht passiert ist, hat wiederum das Landgericht bei der Festlegung der Entschädigungssumme besonders berücksichtigt. Aus Sicht der Fachstelle kann dies abschreckend wirken. Das Urteil werde die Antidiskriminierungsarbeit für Menschen mit Behinderung erleichtern, sagt Uyguner.

Dennis Kuhlow verweist auf ein grundlegendes Problem in Sachen Barrierefreiheit: »Für den Neubau gibt es viele Regeln, aber für den Bestand gibt es nichts.« Und der Nutzen der neuen Rampe zeigt sich schon jetzt. Denn wie Kuhlow berichtet, wird sie sehr gut angenommen, unter anderem gebe es viele Kinderwagen und »Hackenporsches« im Haus. »Ich würde sagen, 50 Prozent der Mieter gehen mittlerweile über die Rampe«, sagt er. Charlotte Weber sagt: »Allgemeine Barrierefreiheit ist im Sinne aller.« Kuhlow und Arsic mussten bei der Gewobag übrigens 5.000 Euro hinterlegen, damit die Rampe zurückgebaut werden kann, falls Arsic auszieht. Das ist rechtlich möglich. »Aber solche Rückbaumaßnahmen sollten nicht das Ziel sein«, so Weber. Der Neubau allein könne die Probleme nicht lösen. »Auch der Bestand muss barrierefrei werden«, sagt sie.

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