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Je billiger, desto Flüchtlingsunterkunft
Freie Träger und Linke: Private Unternehmen als Betreiber von Unterkünften für Geflüchtete bevorteilt
Bei der Auswahl von geeigneten Betreibern für Flüchtlingsunterkünfte ist in Berlin ausschließlich der Preis das entscheidende Kriterium. Eine entsprechende zunächst befristete Maßnahme habe der Präsident des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten Mark Seibert zur Aufrechterhaltung des Dienstbetriebs im Laufe des Jahres 2024 verfügt. Das teilt der Senat auf eine schriftliche Anfrage der Abgeordneten Elif Eralp (Linke) mit.
Die Maßnahme ist demnach mit dem hohen personellen Aufwand begründet, den ein Konzeptverfahren mit sich bringt – »beispielsweise nach dem Schema 30 Prozent Preis, 70 Prozent Qualität«, teilt der Staatssekretär für Soziales Aziz Bozkurt (SPD) mit. Zuvor hätten sich die formulierten Konzepte bereits so weit angenähert, dass der Preis ohnehin schon das entscheidende Kriterium gewesen sei.
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Damit die Bewerber in die engere Auswahl kommen, müssen sie sich anhand der Kriterien »Befähigung und Erlaubnis zur Berufsausübung, wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit sowie technische und berufliche Leistungsfähigkeit« als geeignet erweisen. Danach wird nach Kosten sortiert. »Die Auswahl alleine nach dem Preis bedeutet daher keine Qualitätseinschränkung«, erklärt Bozkurt.
Seit dem Aussetzen des Konzeptverfahrens habe in sieben von acht Ausschreibungsverfahren ein gemeinnütziges Unternehmen aufgrund des besten wirtschaftlichen Angebots den Zuschlag bekommen. In einem weiteren Verfahren habe sich kein gemeinnütziges Unternehmen um den Betrieb beworben.
In den Jahren 2022 und 2023, führt Bozkurt weiter aus, hätten sich im Verhältnis häufiger nicht gemeinnützige Unternehmen durchgesetzt, »auch weil diese in den Qualitätskriterien regelmäßig mit ›gut‹ oder ›sehr gut‹ bewertet worden sind«.
»Nach wie vor bekommen private Träger häufig den Zuschlag mit der Begründung, dass sie ein günstigeres Angebot gemacht haben.«
Evangelisches Jugend- und Fürsorgewerk (EFJ)
Laut Bozkurt hatten Anfang Dezember 2023 mehrere freie und gemeinnützig arbeitende Träger, die Flüchtlingsunterkünfte betreiben, in einem Schreiben an den Senat und das LAF ihre Sorge über die zu dem Zeitpunkt schon angenommene neue Vergabepraxis des LAF zum Ausdruck gebracht. Sie befürchteten, dass »die Bietenden gemeinnütziger Organisationen mit hohen tariflichen Entlohnungs- und Arbeitsstandards gegenüber gewerblichen Bietenden« benachteiligt werden könnten.
Bozkurt selbst habe daraufhin den Trägern die bevorstehende Neuregelung, die nur noch den Preis für den Zuschlag berücksichtigt, angekündigt und erklärt, dass eine Bevorzugung von gemeinnützigen Trägern rechtlich nicht zulässig sei.
Ein Sprecherin des Evangelischen Jugend- und Fürsorgewerks (EFJ), das das Schreiben an den Senat mitunterzeichnet hatte, betreibt eine Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete in Lichterfelde. Eine Unternehmenssprecherin sagte »nd«, dass sich aus Sicht des EJF nichts geändert habe. »Nach wie vor bekommen private Träger häufig den Zuschlag mit der Begründung, dass sie ein günstigeres Angebot gemacht haben.«
Auch Elif Eralp, migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion, sieht die freien Träger aufgrund des gegenwärtigen Vergabeverfahrens benachteiligt, da sie im Gegensatz zu vielen Konzernen hohe Standards und Tarifverträge haben.
Eine humane Unterbringung und gute Arbeitsbedingungen sollten wesentlich für die Auftragsvergabe sein. Doch ob sie bei sozialen Trägern sichergestellt sind, wie Eralp sagt, ist zweifelhaft. So dauert ein von der Deutsches Rotes Kreuz Sozialwerk gGmbH initiierter Rechtsstreit mit »nd« über die Berichterstattung zu den Unterbringungs- und Arbeitsbedingungen in Berlins größter Unterkunft Tegel noch immer an.
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