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Demokratie statt Marktlogik

Wirtschaftspolitik gegen rechts: Über liberale und sozialistische Konzepte und mögliche Bündnisse

  • Ralf Hoffrogge
  • Lesedauer: 6 Min.
Die Belegschaft der ostdeutschen Glühlampenfirma Narva, 1992 während einer Versammlung in Berlin-Friedrichshain. Nach der Privatisierung wurden Tausende Beschäftigte entlassen – nicht nur hier gerieten Gewerkschaften in die Defensive.
Die Belegschaft der ostdeutschen Glühlampenfirma Narva, 1992 während einer Versammlung in Berlin-Friedrichshain. Nach der Privatisierung wurden Tausende Beschäftigte entlassen – nicht nur hier gerieten Gewerkschaften in die Defensive.

Die an der University of Massachusetts lehrende Ökonomin Isabella Weber provozierte jüngst ihre Kollegen mit dem Vorschlag einer »antifaschistischen Wirtschaftspolitik«. Sie reagiert auf enorm gestiegene Preise seit dem Ukraine-Krieg, die jüngst die Wiederwahl von Donald Trump zum US-Präsidenten beförderten. Weber ermuntert die liberalen Gegner des Rechtspopulismus zu mehr Mut: Preiskontrollen, Übergewinnsteuern, Industriepolitik für eine grüne Wende. Das Konzept bezeugt Risse in der neoklassischen Volkswirtschaftslehre und bricht mit Austeritätspolitik vergangener Tage. Doch wirtschaftsdemokratische Elemente fehlen ebenso wie die Eigentumsfrage.

Als das letzte Mal eine Ölkrise zu einem Inflationsschock führte, setzten deutsche Gewerkschaften auf genau diese Wirtschaftsdemokratie. Bereits 1972 hatte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) in einem Aktionsprogramm regionale Wirtschafts- und Sozialräte gefordert, die ab 1974 zum Krisenprogramm ausgebaut wurden. Besonders in der IG Metall war diese Debatte stark. Aufeinanderfolgende Krisen beim Stahl, den Werften, der Uhrenindustrie und der Elektroindustrie veränderten in Westdeutschland bis in die 80er die Industriestruktur ganzer Regionen. Der Staat begegnete dieser »Strukturwandel« genannten Transformation mit Subventionen für Schlüsselbranchen, die man aus militärischen Gründen oder um des sozialen Friedens willen im Lande halten wollte: Stahlwerke und U-Boot Werften wurden ebenso gerettet wie in den 60ern der Bergbau, gehalten wurde jedoch nur ein Teil der Arbeitsplätze.

DGB und IG Metall kritisierten zudem, dass die Unternehmen volle Kontrolle über Produktion und Preise behielten. Sie forderten Staatsgeld nur in Form staatlicher Beteiligungen und darüber hinaus gesetzliche Maßnahmen zur Investitionslenkung. In jeder Krisenbranche sollten »runde Tische« aus Staat, Gewerkschaften und Unternehmen die Rettung koordinieren und danach zur Dauereinrichtung werden. Als regionale Wirtschafts- und Sozialräte würden sie ökonomische Schlüsselentscheidungen treffen. Der Vorschlag erweiterte die bis 1952 erkämpfte Mitbestimmung um eine überbetriebliche Komponente. Das Zauberwort war »Strukturpolitik«, eine demokratische Feinabstimmung der bisher mit der Gießkanne ausgeteilten Subventionen. Diese wäre nicht sozialistisch, sondern korporatistisch gewesen – eine Machtteilung zwischen Kapital und Arbeit, ausbalanciert durch den Staat als dritte Kraft.

Dem Unternehmerlager war selbst das zu viel – es reagierte nur mit Polemiken gegen den »Gewerkschaftsstaat«, weder bei CDU noch in der Arbeiterpartei SPD fand sich jemand, der die Pläne umsetzte. Am Ende blieb es bei der betrieblichen Mitbestimmung. Die Arbeitermacht Westdeutschlands konzentrierte sich nun dort, wo die Industrie noch lief – in der Automobilfertigung. Sie prägte zunehmend die Industriebasis der bundesrepublikanischen Wirtschaft, mit Rückwirkung auf die IG Metall als größte Gewerkschaft im DGB. Die langgestreckte Transformationskrise mündete Ende der 80er Jahre nicht eine regionalisierte Wirtschaftsdemokratie, sondern in den Autokorporatismus.

Dieses Modell der betrieblichen Sozialpartnerschaft basierte auf starken Betriebsräten und Mitbestimmung der Arbeitenden in den Aufsichtsräten. Ihr Musterbetrieb war Volkswagen, wo die Gewerkschaftsseite durch das Land Niedersachsen als Eigentümerin gestärkt wurde. Im Übergang zum Finanzmarktkapitalismus unserer Gegenwart holte der Autokorporatismus einiges für die Arbeitenden heraus, gerade im Vergleich zu einer De-Industrialisierung wie in Großbritannien. Doch das 1990 auch auf Ostdeutschland übertragene Modell erwies sich spätestens hier als defensive Sozialpartnerschaft. Öffnungsklauseln in Tarifverträgen erlaubten Verschlechterungen bei Löhnen und Arbeitszeiten. Unter dem Druck des globalen Wettbewerbs waren die Belegschaften erpressbar, die im Osten erprobte »Flexibilisierung« kam bald im Westen an und plagt uns bis heute.

Sowohl der Autokorporatismus als auch die Wirtschafts- und Sozialräte waren Reaktionen auf Globalisierungsschübe, bei denen das Kapital seine Produktion immer flexibler verlagern konnte. Dennoch dachten die Vertreter beider Konzepte in Kategorien nationaler Industriepolitik. Die deutschen Gewerkschaften waren zwar geschmeidiger als britische und teils auch US-amerikanische Verbände, die mit nationalistischen Boykottkampagnen gegen japanische Autos mobilisierten. Doch auch das letzte Rätekonzept des DGB nahm den Wettbewerb der Nationalstaaten als gegeben hin. Nicht mehr wettbewerbsfähige Betriebe und Branchen sollten durch Zukunftsindustrien ersetzt werden, um Industriebasis und Arbeitsplätze zu erhalten. Ins Auge fällt jedoch der demokratische Mut dieser Standortpolitik: eine regionale Planwirtschaft, und sei es unter Machtteilung mit den Unternehmern, erscheint heute undenkbar.

Aktuell konzentrieren sich auch antifaschistische Stimmen notgedrungen auf Betriebsräte und deren Verteidigung. Eine Ausweitung von Mitbestimmung verlangt dagegen die IG-Metall-Vorsitzende Christiane Benner. Sie will, dass Betriebsräte über klimaneutrale Produktion mitentscheiden und begründet dies mit der Gleichzeitigkeit von Klimakrise, Transformation der Industrie und dem Aufstieg der Rechten. Überbetriebliche Mitbestimmung erwähnte sie jedoch in ihren Interviews vor Amtsantritt nicht.

Die bisherigen Konzepte antifaschistischer Wirtschaftspolitik sagen gar nichts zur Verteidigung oder Ausweitung von Mitbestimmung. Ihre Beispiele stammen aus den USA, wo Derartiges nie institutionalisiert wurde. Isabella Weber zitiert den New Deal der 30er, teils auch die US-Kriegswirtschaft der 40er Jahre. Die damals tonangebende »progressive« Tradition setzt zur Sicherung des Marktes auf eine Kontrolle von Kartellen und Monopolen. Auch Sahra Wagenknecht dokumentierte ihre Sympathien für einen derart geordneten Kapitalismus 2011 in ihrem Buch »Freiheit statt Kapitalismus«, das sich auf den Ordoliberalismus bezog. Beides sind Varianten des Liberalismus.

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Die Räte des DGB beruhen dagegen auf einem Konzept von Wirtschaftsdemokratie, das der Sozialdemokrat Fritz Naphtali 1928 als demokratischen Übergang zum Sozialismus formulierte. Es scheiterte 1930 in der Weltwirtschaftskrise, seine um sozialistische Rhetorik bereinigte Wiederkehr scheiterte in der Bonner Republik erneut. Beide Anläufe unterschätzten den Staat, der als neutraler Akteur galt, nicht als Moderator der Kapitalfraktionen. Jedoch übernahm Wirtschaftsdemokratie nie die liberale Trennung von Demokratie und Wirtschaft, sondern stellte die Verfügung der Unternehmen über die Produktionsmittel ernsthaft infrage. Eine sozialistische Wirtschaftspolitik kann auf diesen Schritt nicht verzichten, sie muss eine Transformation über den Kapitalismus hinaus benennen.

Antifaschistische Wirtschaftspolitik hingegen kann bei der liberalen Verteidigung des Marktes gegen die Monopole innehalten – das zeigt der historische New Deal ebenso wie die aktuelle Debatte. Wo diese Politik den arbeitenden Menschen dient, ist sie für eine sozialistische Linke interessant: bei der Entmachtung von Big Tech, bei der Verteidigung des Sozialstaates oder eben mit Preiskontrollen. Nur verwechseln sollte man beide Konzepte nicht. Will die Linke eine Rolle spielen in der Polarisierung zwischen Rechtspopulismus und progressivem Neoliberalismus, dann braucht sie eigene Ideen – auch in der Wirtschaftspolitik. Die Forderungen nach Vergesellschaftung, wie sie Mietenbewegung, Klimabewegung und soziale Bewegungen im Gesundheitsbereich erhoben haben, könnten erste Schritte sein. Ausbuchstabiert sind sie jedoch nur für Teile der Wirtschaft, in den Gewerkschaften sind sie nicht verankert, und nur die Mietenbewegung hat mit ihren Volksentscheiden Druckmittel zur Umsetzung erprobt. Die Debatte um Vergesellschaftung liefert bislang keine ausbuchstabierte Transformationsstrategie – aber sie ist ein Anfang.

Ralf Hoffrogge ist Historiker und forscht zu Arbeiterbewegung und Wirtschaftsdemokratie. Er ist aktiv in der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen. Im nächsten Jahr erscheint unter dem Titel »Das laute Berlin« sein neues Buch zur Berliner Mietenbewegung auf dem Weg zur Vergesellschaftung.

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