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Gibt es ein »Aber«?
Redselige Poetik: Drei Leseempfehlungen für das bessere Verständnis der schönen Künste
Bücher über die Kunst, über die Sprachkunst im Besonderen, sind eine komplizierte Angelegenheit. Man kann sehr schnell sehr viel falsch machen, etwa Unmengen an Fan-Informationen versammeln, die nur die eigene Obsession beweisen. Oder man bietet Deutungen von und für Eingeweihte dar, tut aber so, als ob dieses Selbstgespräch wichtig wäre für den Weltenlauf. Es folgen drei Empfehlungen, die beweisen, dass gelingendes Schreiben und Sprechen über Sprache und Künste vermeintlich undurchsichtige Gebilde auf eine Weise aufklaren lassen kann, dass sie uns näherkommen, aufgehen, statt hinter Wissen zu verschwinden.
In den letzten 40 Jahren wird sich kaum eine Dichterin deutscher Sprache finden lassen, die heftiger bewundert wurde als die im Januar 2024 verstorbene Elke Erb. Wer ihr begegnete, bemerkte schnell: Sie trennt nicht. Rang und Namen galten genauso wenig wie die Unterscheidung Alltagssprache und poetische Rede. Erb war kein Profi, der sich nur auf dem Blatt Mühe gab mit dem Denken und den Metaphern, wenn Ruhm und Honorar in Aussicht waren. Der Band »Tanzende Ordnungslust« versammelt Gespräche, die Manfred Rothenberger, Verleger der Nürnberger starfruit publications, mit Erb zwischen 2015 und 2022 führte. Von den Kindestagen im Rheinland, der sich anbahnenden Anerkennung als Dichterin in Ost-Berlin bis zur erkenntnisfreudigen Reflexion ihrer eigenen Demenz – die Unterhaltungen bilden eine lebendige Schreib- und Denk-Biografie ab mit Witz und der Fähigkeit zu staunen.
Erb legt ihre vermeintlich schwierigen Gedichten ganz beiläufig selbst aus; mit Urteilen über die Güte mancher Dichter hält sie sich nicht zurück; sie kann von Bäumen und Gärten sprechen, ohne zu nerven. Ergänzt wird der sehr schön gestaltete Band durch viele Fotos, auch aus ihrer letzten Wohnung in Berlin-Wedding. Lyriker Steffen Popp stellt zudem in einem Essay Erb als Klebekünstlerin vor.
Gibt es hier ein »Aber«? Die kleine Konjunktion »aber« bereitet Einwand, Widerspruch, Entgegnung vor. Der Autor und Übersetzer Stefan Ripplinger hat seine zweite Essay-Sammlung nach ihr benannt, in der »mehr Abwegiges« und »mehr Anstößiges« Platz haben soll als in seiner ersten. Die trug den Titel »Auch« und erschien vor 20 Jahren. Wer Ripplingers Texte liest, lernt viel über die besser nicht allzu schönen Künste, versteht, wie künstlerische Produktion mit Gesellschaft, Politik, Philosophie zusammenhängt und so erhellt wird. So kommt mehr rum als im Seminar, und man hat sogar Spaß dabei.
Anbiedernde Lobpreisung oder selbstherrliches Aburteilen sind seine Sache nicht. Stattdessen erzählt der Autor von der Welt, in der Kunstwerke zustande kommen, lässt die Gedanken, die in den Bildern, Gedichten, Filmen umgehen, in seiner Sprache aufklaren. Ripplingers Kanon umfasst so unterschiedliche Leute wie den japanischen Filmemacher Akira Kurosawa, den schwulen kommunistischen Schriftsteller Roland M. Schernikau, die französische Körperkünstlerin Orlan, die kaum bekannte amerikanische Dichterin Marcia Nardi. Freude und Ernst bestimmen das Vorgehen, Zuneigung heißt Auseinandersetzung. So nähert sich Ripplinger seiner »Kommunistischen Kunst«, wie ein anderes Buch von ihm heißt, die anderes tut, als Merksätze vorbeten, sondern dem Rezipienten zutraut, mehr zu wollen als ästhetische Abspeisung.
Kennen Sie Raymond Roussel? Den angriffsfreudigen Surrealisten war er ein literarisches Vorbild, auch die Avantgarden nach dem Krieg inspirierte er, der junge Foucault widmete ihm eine Radiosendung. 1877 in eine reiche Pariser Familie geboren, machte Roussel das Beste aus der wirtschaftlichen Sorglosigkeit und schuf eine Literatur, die sich um keine Konvention scherte, sondern als sprachlicher Extremfall das Französische und konfektionierte Literaturbedürfnisse herausforderte. Der Literaturwissenschaftler und Übersetzer Maximilian Gilleßen schenkt mit seinem Buch »R. R.« Zugänge zu diesem Werk. In klarer Prosa, ohne terminologischen Wust oder Fachgeplänkel, schreibt er über Roussels »maßlosen Glauben an die Zeichen« und zeigt die Logik seiner literarischen »Verfahren«. Man lernt viel über Sprachphilosophie, Reim, Repräsentation mit einem Dichter, dessen großes Vorbild der Abenteuerschriftsteller Jules Verne war und eine Lesemaschine eigens für seine Texte erdachte. Zahlreiche Abbildungen in dem von Anton Stuckardt aufwendig gestalteten Buch erlauben zudem, in Bilderwelten des frühen 20. Jahrhunderts abzugleiten.
Manfred Rothenberger: Tanzende Ordnungslust. Im Gespräch mit Elke Erb. Starfruit. geb., 272 S., 26 €.
Stefan Ripplinger: Aber. Aufsätze. Engeler-Verlag, br., 274 S, 29 €.
Maximilian Gilleßen: R. R. Zur Poetik Raymond Roussels. Merve, br., 704 S., 28 €.
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