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Der Osten als Kostenfaktor
Wolfgang Hübner über den Blick der künftigen Bundesregierung auf Ostdeutschland
Sucht man im Koalitionsvertrag von Union und SPD nach den Stichworten ostdeutsch und Ostdeutschland, dann sind die Ergebnisse spärlich. Gerade so, als sei das nur noch eine Fußnote und nicht mehr groß der Rede wert. Dabei ist auch nach fast 35 Jahren deutscher Einheit längst nicht alles in Ordnung. Die vielleicht bezeichnendste Passage findet sich ganz am Ende, auf der allerletzten Seite: Der Beauftragte der Bundesregierung für Ostdeutschland wird dem Finanzministerium angeschlossen.
Dazu muss man wissen, dass das Amt des Ostbeauftragten seit 1990 durch die Bundesregierung gewandert ist: Mal gehörte es zum Innenministerium, mal zum Wirtschafts-, mal zum Verkehrsressort. Zuletzt war es, wie schon mehrfach, dem Kanzleramt zugeordnet. Und dort wäre es auch an der richtigen Stelle. Denn die Probleme des Ostens sind so vielfältig, dass sie nur ressortübergreifend betrachtet werden können. Und sie sind in nicht wenigen Fällen ein Vorgeschmack darauf, was in absehbarer Zukunft dem ganzen Land blüht. Hinzu kommt: Bei Einkommen, Vermögen, Renten, Bevölkerungsentwicklung und vielem anderen gibt es noch immer deutliche Unterschiede zwischen Ost und West. Deshalb sollte der Osten weiter Chefsache sein.
Bei der Entscheidung, den Ostbeauftragten erstmals im Finanzministerium anzusiedeln, mag man sich dies und jenes überlegt haben. Die Wirkung ist indes: Der Osten samt seinen speziellen Problemen wird zum Kostenfaktor degradiert. Das ist genau jenes falsche Denken, mit dem man den Ungleichheiten zwischen Ost und West und in der Gesellschaft überhaupt nicht beikommen wird.
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