Romantasy und Dark Romance: Die nervige Stimme der Selbstkritik

Besuch in der örtlichen Bibliothek: Veronika Kracher über einen inneren Konflikt zwischen Anspruchsdenken und Realität

Die TikTok-Book-Awards vor Beginn der Verleihung auf der Frankfurter Buchmesse im Oktober 2024
Die TikTok-Book-Awards vor Beginn der Verleihung auf der Frankfurter Buchmesse im Oktober 2024

Ich war kürzlich in der örtlichen Bibliothek, um mir ein paar neue Romane auszuleihen – ich brauche gelegentlich Abwechslung von dem fünfzehnten Sachbuch über rechtsextreme Online-Radikalisierung. In der Abteilung für Erwachsenenliteratur war ein aufmerksamkeitserheischendes Regal aufgebaut: BookTok-Tipps – also Bücher, die auf der Plattform TikTok besonders viral sind.

Die meisten Bücher dieses Genres: Romantasy, also romantische Fantasy-Epen. »Pffft, nichts für mich«, denke ich mit einem herablassenden Blick auf die Romane, deren Cover und Titel allesamt aussehen, als wären sie mit einem KI-Generator erschaffen worden. »Ich habe schließlich Literaturwissenschaften studiert und lese ausschließlich progressive Fantastik wie China Mièville, Octavia Butler und N.K. Jemisin oder feministische Satire wie Elsner und Jelinek und nicht diesen generischen Kitsch!« Und die momentan 30 Tabs an oftmals expliziten Fanfiction, die du offen hast, während der Stapel preisgekrönter Romane auf deinem Nachttisch ungelesen bleibt, erinnert mich die nervige Stimme der Selbstkritik in meinem Hinterkopf.

»Das ist etwas anderes«, argumentiere ich mit mir selbst, während ich die Buchrückseiten der aktuellen BookTok-Favoriten überfliege: In der Regel geht es um irgendwelche jungen, in der Regel weißen Frauen, die dazu gezwungen sind, mit gefährlichen und oftmals latent übergriffigen, aber immer ausgesprochen attraktiven Männern Komplotte und Abenteuer zu durchstehen. Am Schluss sind die Bad Boys dann durch ihre Liebe zur Protagonistin gezähmt, die Intrigen aufgedeckt, die Antagonist*innen beseitigt. Happy End.

Lesen Sie auch: Der Hype um die Täterperspektive – Die Serie »Adolescence« bestätigt erneut: Themen wie misogyne Gewalt und Sexismus sind medial erfolgreicher, wenn sie die Täter porträtieren

»Die Fanfiction, die ich lese, ist queer!«, rechtfertige ich mich. »Vor allem glorifiziert sie nicht übergriffige Männer und suggeriert, man müsse deren Scheißverhalten tolerieren und sie mit Liebe und Verzeihung überschütten, um sie dann irgendwann von ihren Problemen zu erlösen, wie es diese literarisch belanglosen ›Twilight‹-Abklatsche tun.« Auf »Twilight« folgte dann »50 Shades of Grey«, ursprünglich veröffentlicht als Fanfiction, dann minimal umgearbeitet und veröffentlicht als Bestseller, der einer ganzen Generation Leserinnen ein grundlegend falsches Verständnis von BDSM vermittelt hat.

»Die Frage ist doch viel mehr«, diskutiere ich weiter mit mir selbst, während ich meine Ausbeute an Romanen – die natürlich eher in der »Zeit« oder im »New Yorker« besprochen werden als auf BookTok – ausleihe, »wieso ist dieses in der Regel extrem heteronormative und oftmals patriarchale Beziehungsmuster reproduzierende Genre eigentlich so beliebt? Sollten wir inzwischen nicht langsam ein bisschen weiter sein?«

Der in Romantasy oft angelegte problematische Aspekt der Romantisierung latent missbräuchlicher Beziehungen wird in dem ebenfalls auf BookTok beliebten Genre Dark Romance (das durch »50 Shades« popularisiert wurde) auf die Spitze getrieben. Eine gängige Kritik am Genre ist, es würde Beziehungsgewalt herunterspielen oder romantisieren und vermitteln, dass die Liebe der Protagonistin tatsächlich in der Lage wäre, einen gewalttättigen Stalker in einen fürsorglichen Partner zu verwandeln.

Nun stellen Romantasy oder Dark Romance jedoch eine kontrollierte Auseinandersetzung mit der eigenen Unterwerfung dar. Es ist eine Fantasie; und es besteht ein himmelweiter Unterschied zwischen einem stilistisch fragwürdigen Schmutzroman oder ob man tatsächlich von, sagen wir: einem Mafia-Boss entführt und als Sexsklavin gehalten wird.

Veronika Kracher

Veronika Kracher, geboren 1990, hat Soziologie und Literatur studiert und ist seit 2015 regelmäßig als Autorin und Referentin mit den Arbeitsschwerpunkten Antifeminismus, Rechtsextremismus und Online-Radikalisierung tätig. Zudem ist sie Expertin für belastende Männer im Internet. Für »nd« schreibt sie die monatliche Kolumne »Jenseits des Patriarchats«.

Zuhause wandert dann ein weiteres Buch auf meinen Literaturstapel: »Die Fesseln der Liebe« der feministischen Psychoanalytikerin Jessica Benjamin. Darin analysiert sie die Crux des weiblichen Begehrens unter dem Patriarchat – und liefert mir eine Antwort auf die Frage, wieso BookTok eher Bücher wie »A Court of Thorns and Roses« zelebriert und weniger die der anarchistischen Science-Fiction-Autorin Ursula K. Le Guin: Gerade heterosexuelle cis Frauen wachsen innerhalb der herrschenden Verhältnisse nicht wirklich mit einem selbstbewussten Zugang zu ihrer eigenen Sexualität auf. Diese ist von klein auf patriarchal verformt. Deshalb bliebe vielen Frauen aufgrund eines mangelnden Wissen über die eigene Lust lediglich übrig, aus der ihnen von heterosexuellen Männern abverlangten Unterwerfung Befriedigung zu gewinnen: Sie kennen nichts anderes als die Unterwerfung, sie betrachten sich aus dem männlichen Blick heraus, sie machen sich selbst zum Objekt.

Gleichzeitig etabliert sich das heterosexuell-männliche Begehren oft über die Unterwerfung ihrer Partnerinnen, was durch frauenverachtende Produkte der Kulturindustrie gerne noch einmal legitimiert wird. Das widersprüchliche Resultat hier ist, dass weibliche Submissivität der (oft unbewusste) Versuch ist, eigene Gewalterfahrungen unter dem Patriarchat in einem sicheren und kontrollierten Rahmen lustvoll zu besetzen, das männliche Verlangen nach weiblicher Unterwerfung jedoch oft aus dem patriarchalen Wunsch nach Dominanz über Frauen herrührt.

Unser Begehren entsteht nicht im luftleeren Raum – Kunst ist eine Art, dieses Begehren zu verhandeln. Die Videoessayistin Natalie Wynne argumentiert, dass der in Schnulzromanen verhandelte Wunsch nach der Überwältigung durch den sexy Bad Boy (was der Protagonistin letztendlich aber immer auch gefällt) auch darin verwurzelt ist, dass selbstbestimmtes oder gar dominantes weibliches Begehren immer noch stigmatisiert ist. Deshalb bliebe der Autorin und mit ihr der Protagonistin nur eins übrig: es als gutes Mädchen geschehen lassen und daraus Lust ziehen.

»Letztendlich offenbart dieser ganze Hype doch vor allem das Elend, dem so viele heterosexuelle Frauen ausgesetzt sind«, seufze ich und starte das Spiel »Baldur’s Gate 3« auf meinem PC (nicht ohne »Die Beziehung zwischen Karlach und Wyll ist einfach soooo schön! Wie sie alle Widerstände gemeinsam überwinden? SO FUCKING ROMANTISCH!« und ein paar Herzchen an eine Freundin zu schicken). Aber was sollen diese Frauen dann tun? Mehr queere und feministische Erotika rezipieren? Den Partner in die Freuden von Femdom und Pegging einführen? Mit der Therapeutin über das eigene Begehren diskutieren? Beziehungen und Sex mit Männern sein lassen?

Das sind alles individuelle Antworten auf ein strukturelles Problem und die oft schmerzhafte Auseinandersetzung mit einer tiefgreifenden Erkenntnis: dass selbst unser Begehren vom Patriarchat ruiniert worden ist.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.