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Neukölln gegen möbliertes Wohnen
Das Bezirksamt Neukölln will in Milieuschutzgebieten teures möbliertes Wohnen auf Zeit untersagen
Bett, Tisch, Stuhl und hohe Miete. Möbliertes Wohnen auf Zeit wird auf dem Berliner Wohnungsmarkt zur neuen Normalität – in den Innenstadtbezirken macht es mehr als die Hälfte der Inserate auf Wohnungsplattformen aus. Laut dem Wohnungsmarktbericht der Investitionsbank Berlin 2023, der diese Wohnform in den Fokus nimmt, sind die durchschnittlichen Mieten für solche Angebote mit 22,44 Euro pro Quadratmeter mehr als doppelt so hoch wie die an sich schon hohen Angebotsmieten für reguläre Mietverhältnisse (11,54 Euro pro Quadratmeter). Möglich ist das, weil der Mietspiegel für möblierte Wohnungen nicht gilt. Der Bezirk Neukölln versucht dem nun Einhalt zu gebieten – zumindest in Milieuschutzgebieten.
»Bei der befristeten und möblierten Vermietung werden Schlupflöcher im Mietrecht ausgenutzt und horrende Summen verlangt«, sagt dazu Neukölln Baustadtrat Jochen Biedermann (Grüne) am Montag. So komme schnell eine Gesamtmiete von 3500 Euro für 80 Quadratmeter zustande. »Diese Praxis nimmt überhand und führt dazu, dass der Anteil an bezahlbarem Wohnraum immer kleiner wird. Menschen mit geringen und mittleren Einkommen finden immer schwerer eine Wohnung«, so Biedermann weiter.
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Allein in Neukölln gibt es nach Schätzungen des Bezirks 950 bis 1150 Wohneinheiten, die aktuell möbliert und befristet vermietet werden. Aber: In Milieuschutzgebieten sei das Wohnen auf Zeit grundsätzlich »nicht genehmigungsfähig« – sprich rechtlich nicht zulässig –, teilt das Bezirksamt mit. Das Geschäftsmodell richte sich von vornherein nur an Personen, die bereit und in der Lage seien, eine deutlich höhere Miete zu zahlen als die dauerhaft im Gebiet lebenden Personen. Die Folge davon: Die Verdrängung der angestammten Gebietsbevölkerung. Da das dem Ziel von Milieuschutzverordnungen entgegensteht, will der Bezirk nun durchgreifen.
Bereits im Januar hatte der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg ähnliches angekündigt. Eigentlich wollte man ein Gerichtsverfahren abwarten. Der Bezirk hatte einem Unternehmen die Nutzung von Wohnraum für möbliertes Wohnen untersagt. Eine Klage dagegen hatte das Unternehmen im letzten Moment zurückgezogen. Eine gerichtliche Klärung der Frage, ob möbliertes Wohnen auf Zeit eine genehmigungspflichtige Umnutzung darstellt oder nicht, erfolgte dadurch nicht.
Der Bezirk Neukölln ist sich aber sicher, dass dem so ist und macht Nägel mit Köpfen. Man habe mehrere Musterverfahren eingeleitet, um »Wohn-Zeit-Modelle« wieder in reguläre Mietverhältnisse zu überführen. »Wir sind zuversichtlich, dass unsere neue Verwaltungspraxis einer etwaigen gerichtlichen Überprüfung standhält«, sagt Jochen Biedermann.
Jenseits von Milieuschutzgebieten könnte das Vorgehen gegen solche Angebote allerdings schwierig werden. Wie der Senat auf eine Anfrage des Linke-Politikers Niklas Schenker mitteilt, sei das Bezirksamt Mitte in zwei Fällen gerichtlich gescheitert. Der Bezirk hatte versucht, möbliertes Wohnen zu untersagen, weil es gegen das Zweckentfremdungsverbot verstoße. »Das Gericht ging in den Fällen ab einer Wohnzeit von drei Monaten oder mehr davon aus, dass das Zweckentfremdungsrecht nicht greife«, so der Senat.
In einer anderen Konstellation allerdings konnte der Bezirk Neukölln einen gerichtlichen Sieg einfahren. Anbieter möblierten Wohnens verändern mitunter die Grundrisse von Wohnungen, um mehr Zimmer separat vermieten zu können. Das ist zumindest in Milieuschutzgebieten unzulässig, entschied das Verwaltungsgericht in einem Fall. Neukölln hat dort nun angeordnet, dass eine illegal zu einer Fünf-Zimmer-Wohnung umgebaute Zwei-Zimmer-Wohnung rückgebaut werden soll.
Zumindest politisch rennen die Bezirke mit ihrem Vorgehen offene Türen ein. Erst kürzlich hatte der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) gesagt, es gebe massiven Missbrauch beim möblierten Wohnen, um die Mietpreisbremse zu umgehen. Er könne sich vorstellen, dass das Land Berlin eine Bundesratsinitiative starten werde, so Wegner weiter. Bis der Senat in die Pötte kommt, müssen aber wohl weiter die Bezirke voranschreiten.
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