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Inés Heider: Kündigung doppelt unwirksam
Berliner Sozialarbeiterin gewinnt in zweiter Instanz – Kundgebung kritisiert Repression gegen Linke
Der französische Gewerkschafter Anasse Kazib, der propalästinensische Beiträge in den sozialen Medien teilte, die Lehramtsstudentin Lisa Poettinger, die an Aktionen des zivilen Ungehorsams teilnahm, und die Sozialarbeiterin Inés Heider, die sich gegen die Kürzungspolitik des Berliner Senats aussprach: Sie alle eint nicht nur der Marxismus, auf den sie sich berufen. Sie eint auch, dass ihr politischer Aktivismus ein Strafverfahren, die Ausbildung oder wie im Falle von Inés Heider, den Job kostete.
Die Namen der drei fallen auf einer Kundgebung vor dem Berliner Arbeitsgericht in Tiergarten am Dienstag oft. Die Aktivist*innen, die zur solidarischen Prozessbgeleitung der Sozialarbeiterin Heider aufgerufen haben, betonen: Heute sind sie nicht nur wegen Heider da, sondern weil sich eine neue Repressionswelle gegen Linke zeige, die am Arbeitsplatz oder auf den Straßen für ihre Werte einstehen. Die Sozialarbeiterin Heider gewinnt das Berufungsverfahren vor dem Landesarbeitsgericht in zweiter Instanz.
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Inés Heider bezeichnet ihren Fall als »Union Busting«. Die ehemalige Arbeitgeberin von Heider, die gemeinnützige GmbH Technische Jugendfreizeit- und Bildungsgesellschaft (TJFBG), hat der Neuköllner Sozialarbeiterin am 10. und 17. Juli 2023 fristlos gekündigt. Anlass dafür war eine Mail Heiders, die sie über den Verteiler des Trägers versandte: Darin hat sie die Sparmaßnahmen im Umfang von 22,8 Millionen Euro in Neuköllns sozialem Sektor als »menschenverachtend« bezeichnet. Zudem hatte sie die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) kritisiert, da diese zu dem Zeitpunkt Sozialarbeiter*innen nicht zum Streik aufrief. Darum ermunterte sie ihre Kolleg*innen, 30-sekündige Videos zu schicken. Die TJFBG sah darin einen Aufruf zu einem »wilden Streik«; das Gericht sah dies aber weder in erster noch in zweiter Instanz gegeben.
In erster Instanz entschied das Arbeitsgericht, dass die Kündigungen unwirksam waren. Daraufhin ging die TJFBG in Berufung. Im Berufungsprozess erklärte deren Anwalt, Heider habe mit dem Mailversand ein dienstliches Kommunikationsmittel missbraucht. Die E-Mail verglich er mit einem Auto: Heider hätte genauso ein Fahrzeug des TJFBG nutzen können, »um auf einer Gewerkschaftsdemonstration ein ordentliches Hupkonzert zu veranstalten, damit die Jungs im Elfenbeinturm das hören«, so der Anwalt. Außerdem war er der Ansicht, dass der Versand von kurzen Videos zu »Malware« oder »Cyberangriffen« führen könnte.
Heiders Anwalt Timo Winter sagt »nd«, ein Berufungsverfahren verhindere, dass die Schulsozialarbeiterin wieder eingestellt wird. Das Verhalten des Trägers der freien Jugendhilfe beschreibt er im Vergleich zu anderen Verfahren als »ungewöhnlich«. Ungewöhnlich sei auch, dass Heider wieder eingestellt werden möchte. Mit dem Urteil des Gerichts geht einher, dass Heiders Arbeitsverhältnis unter gleichen Bedingungen wie 2023 fortzuführen ist. Die Sozialarbeiterin war zwischenzeitig bei einem anderen Träger angestellt. Das Arbeitsverhältnis endete jedoch jüngst. Ironischerweise, weil das eingetreten war, was Heider kritisiert hatte: »Die Sparmaßnahmen führten dazu, dass ihre Stelle gekürzt werden musste«, erklärt ihr Anwalt vor Gericht.
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