Senegal: Mit Mangroven gegen den steigenden Meeresspiegel

Die Soziologin Fatou Ndoye unterstützt Frauen im Kampf gegen die Folgen der Erderwärmung

  • Bettina Rühl
  • Lesedauer: 6 Min.
Fatou Ndoye hilft beim Vorbereiten der Mangrovenkeimlinge für das Auspflanzen
Fatou Ndoye hilft beim Vorbereiten der Mangrovenkeimlinge für das Auspflanzen

Fatou Ndoye fährt mit einem Pferdewagen über die Insel Mar Lodj, sie liegt im Saloum-Delta im Senegal. Das Meersalz knirscht unter den Rädern, obwohl das Ufer längst hinter ihr liegt. Der Anblick der weißen Flächen, die im gleißenden Sonnenlicht glitzern, beunruhigt Ndoye. Dabei ist die Soziologin den Anblick längst gewohnt: Salz, das sich auf einst fruchtbaren Ackerboden legt.

Ndoye lebt in der Hauptstadt Dakar, ist aber seit mehr als zwei Jahrzehnten regelmäßig im 150 Kilometer südöstlich gelegenen Delta. Sie koordiniert die Arbeit der Nichtregierungsorganisation Enda Graf Sahel, die sich mit Fragen von Ernährungssicherheit, Umwelt und Gender befasst. »Im Laufe der Zeit ist mir bewusst geworden, wie eng die Ernährungssicherheit mit dem Zustand der Umwelt verbunden ist«, erzählt Ndoye. »Für mich gibt es nichts Wichtigeres mehr als die Umwelt.« Seit 2002 arbeitet sie im Saloum-Delta, wo das Ökosystem besonders verletzlich ist, die Region leidet stark unter den Folgen des Klimawandels. Das gilt vor allem für die Inseln Dionewar und Niodior im Delta des Saloum-Flusses.

»Die Frauen im Saloum-Delta stehen jeden Tag auf, arbeiten, schlagen sich durch. Sie versuchen, ihre eigenen Lösungen zu finden.«

Fatou Ndoye Soziologin aus Dakar

Die Soziologin sitzt in einem schicken traditionellen Kleid auf dem Pferdekarren. Dazu trägt sie ein aufwändig gebundenes Kopftuch und hat ein farblich passendes Schultertuch dabei. Wenn sie nicht gerade irgendwo mit anpackt, sind ihre Hände ständig in Bewegung.

Fatou Ndoye hat in Frankreich studiert, kam aber nach dem Studium zurück nach Hause. »Es stimmt, dass viele Menschen von Europa träumen«, räumt sie ein. »Aber für mich ist klar: Wenn man die Möglichkeit hat, zu Hause zu bleiben, gibt es nichts Besseres.« Deshalb habe sie beschlossen, in den Senegal zurückzugehen. »Vor allem, weil ich studiert habe und wusste, dass ich vielleicht die Chance habe, einen Job zu finden.«

Tatsächlich bekam sie schnell die Möglichkeit zu arbeiten. Dass sie dabei Menschen begleiten könne, die in einer schwierigen Lage seien, sei immer schon ihr Wunsch gewesen, sagt sie. »Deshalb habe ich Sozialwissenschaften studiert.« Im Vorbeifahren zeigt sie wieder auf versalzte Flächen und auf ein Feld. Früher hätten die Menschen dort Reis angebaut, nun wächst Hirse. Ndoye hat bei den Bäuerinnen und Bauern der Gegend für den Anbau des traditionellen Getreides geworben, denn Hirse braucht pro Kilo nur 400 Liter Wasser, Reis dagegen 5000 Liter. Hirse sei im Senegal fast in Vergessenheit geraten, erzählt sie. Dabei sei sie viel besser für das veränderte Klima geeignet als Reis.

Wenn Ndoye wie an diesem Tag Bäuerinnen oder Händlerinnen auf den Inseln im Saloum-Delta besucht, geht es immer darum, mit ihnen neue Einnahmequellen zu erschließen und Verluste auszugleichen. Die entstehen, weil Ernten vertrocknen oder im Regen ertrinken oder Böden versalzen. Seit Generationen schuften die Frauen in der Region auf den Äckern, aber sie können immer schlechter davon leben.

Dabei wirkt die Natur auf den ersten Blick immer noch gesund: Die Bäume sind grün, ebenso die Pflanzen auf den Feldern. Die Stimmen von Vögeln und Insekten sind im Hintergrund allgegenwärtig. Die senegalesische Regierung hat das Gebiet im Süden des Landes, in dem sich die Flüsse Saloum und Sine vereinen, schon vor fast 50 Jahren zum Nationalpark erklärt. Seit 2011 zählen die Vereinten Nationen das Feuchtgebiet zum Welterbe, vor allem wegen seines großen Mangrovenbestands, Heimat für mehr als 250 Vogelarten.

Aber der Reichtum ist bedroht: Der Atlantik nimmt sich in dem westafrikanischen Land schon jetzt jedes Jahr ein bis zwei Meter von der Küste. Und der Meeresspiegel wird durch die Erderwärmung weiter steigen. Der Senegal ist unter anderem wegen seiner langen Küstenlinie besonders stark vom Klimawandel betroffen. Dabei trägt er nur 0,03 Prozent zum globalen Ausstoß von Treibhausgasen bei.

Frauen beim Pflanzen der Mangroven
Frauen beim Pflanzen der Mangroven

Steigende Meeresspiegel sind eine Folge der Erderwärmung, weil sich das Wasser mit steigenden Temperaturen ausdehnt. Außerdem schmelzen Gletscher und Eisschilde, dadurch fließt mehr Wasser ins Meer, was Gezeiten und Wellen verstärkt. Küstenerosion und Überschwemmungen nehmen zu, und in der Nähe der Küsten wird das Grundwasser salzig.

Wenig später sitzt Ndoye, die in ihren 50ern ist, neben anderen älteren Frauen im Sand. In ihrer Mitte türmt sich ein Berg mit Mangrovenkeimlingen: kleine Stängel, manche haben erste Wurzeln und Blätter. Die Samen der salztoleranten Baum- und Straucharten, die in Küstengebieten und Flussmündungen gedeihen, keimen am Mutterbaum und fallen dann ins Wasser, wo sie wurzeln.

Vor zwei Tagen haben die jungen Frauen von Mar Lodj Hunderte Keimlinge eingesammelt, die heute gepflanzt werden sollen. Ndoye hilft bei der Auswahl: Jeder Keimling wird geprüft, ob er gesund ist oder beispielsweise von Krabben beschädigt wurde. Die guten kommen in Eimer, die von jüngeren Frauen abgeholt werden. Das Pflanzen, über Stunden gebückt in der gleißenden Sonne, ist Knochenarbeit.

In langen Reihen stehen die Frauen nebeneinander, orientieren sich an einem straff gespannten Seil, damit die neuen Bäume später nicht kreuz und quer wachsen. Wenn alle fertig sind, geht es einen Meter nach vorne, so arbeiten sich die Frauen von Mar Lodj Hektar für Hektar voran – 20 Hektar wollen sie heute schaffen, sagt Ndoye. Ein paar Männer und rund 100 Frauen machen mit. »Es ist uns wichtig, die Mangroven wieder aufzuforsten«, sagt eine der beteiligten Frauen. »Das ist Teil unseres Kampfes gegen den Klimawandel.«

Das Wiederaufforsten der Mangrovenwälder, die in den vergangenen Jahren von der Bevölkerung zu großen Teilen abgeholzt wurden, war nicht Ndoyes Idee. Die Frauen der Gegend hatten schon mit dem Pflanzen angefangen, als sie bemerkt hatten, wie sehr die Umwelt unter den Folgen des Klimawandels litt: dem Salz im Boden, den Zerstörungen des Strandes. »Sie konnten aber nur relative kleine Flächen wiederaufforsten«, erklärt Ndoye. »Wir sind dazu gekommen, um sie zu unterstützen.«

Inzwischen ist das ganze Dorf auf den Beinen, wenn aufgeforstet wird: Frauen, Jugendliche und Kinder. Die Organisation Enda Graf Sahel, für die Ndoye arbeitet, bezahlt sie nicht dafür, zahlt aber den Sprit für die traditionellen Fischerboote, die Pirogen, die alle an den Einsatzort bringen, außerdem einen Imbiss. Die Wiederaufforstung sei für die Menschen Teil des Alltags geworden, meint Ndoye: »Sobald im August die Regenzeit beginnt, fangen alle Dörfer damit an.« Und sie pflanzen nicht nur Mangroven, sondern auch Bäume an Land.

Nach der stundenlangen Arbeit quetschen sich alle in zwei Pirogen und fahren nach Hause, gut gelaunt und zufrieden. Eine der Frauen hat sich einen leeren Eimer gegriffen und angefangen zu trommeln. Fatou Ndoye singt und klatscht mit. »Ich fühle mich diesen Frauen sehr verbunden, schließlich arbeiten wir seit vielen Jahren zusammen, wir teilen Freude und Kummer«, erklärt sie, warum ihr diese Arbeit so wichtig ist. Sie, die Städterin, hat großen Respekt vor den Frauen hier. »Ich weiß, dass sie es angesichts der aktuellen Situation wirklich schwer haben. Trotz allem versuchen sie immer wieder, Initiativen zu entwickeln, um ihre Lebensbedingungen zu verbessern.« Es beeindrucke sie, dass die Frauen nicht untätig bleiben. »Sie stehen jeden Tag auf, arbeiten, schlagen sich durch. Sie versuchen, ihre eigenen Lösungen zu finden.« Ndoye macht es ihnen leichter, diese Lösungen umzusetzen.

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