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»Vielleicht sollte Ursula von der Leyen lernen, Golf zu spielen«

Europawissenschaftler Timm Beichelt zum Verhältnis EU–USA, zum Zollkonflikt und zur Verteidigungspolitik

  • Interview: Uwe Sattler
  • Lesedauer: 8 Min.
Donald Trump und Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni Mitte April im Oval Office des Weißen Hauses
Donald Trump und Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni Mitte April im Oval Office des Weißen Hauses

Donald Trump ist seit 100 Tagen im Amt und hat die USA ziemlich umgekrempelt. Welche Auswirkungen hat seine zweite Präsidentschaft auf die EU?

Auf der strukturellen Ebene halten sich die Auswirkungen in Grenzen. Es gibt allerdings Veränderungen auf der mentalen Ebene. Große Teile des Modells der Europäischen Union, aber auch der Verteidigungsstrukturen Europas beruhten auf der Annahme, dass die USA ein starkes Interesse an guten Beziehungen zur EU und an der Sicherheit Europas haben. Unter Trump ist nun unklar, ob dieses Interesse weiter besteht, und das wirbelt das Selbstverständnis der EU durcheinander.

Interview
Prof. Dr. Timm Beichelt, Professurinhaber für Europa-Studien, Ku...

Prof. Dr. Timm Beichelt ist seit 2009 Professor für Europa-Studien an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) und seit vergangenem Jahr Leiter des Jean Monnet Policy Networks »ValEUs«. Zudem ist er seit 2022 Dekan der Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Viadrina. Foto: Heide Fest

Inwiefern?

Ich gebe Trump recht, dass man sich in Europa zu stark darauf verlassen hat, dass die USA bestimmte Dinge regeln, bei denen die Europäer sich untereinander nicht einigen konnten. Jetzt muss man sich in Europa darauf konzentrieren, eigene Lösungen zu erarbeiten.

Was meinen Sie damit konkret?

Zum Beispiel in der Verteidigungspolitik müssen die Europäer sich verständigen, wie sie sich gemeinsam schützen wollen. Auch bei der Terrorabwehr ist es etwas zu bequem, US-amerikanische Geheimdienste infrage zu stellen, aber dennoch Hinweise auf extremistische Anschlagspläne gerne entgegenzunehmen.

Ein Wahlsieg Trumps war doch nicht unwahrscheinlich, die EU hätte sich vorbereiten müssen. Hat »Brüssel« die Entwicklung verschlafen?

Ich fände es ein bisschen billig, das so darzustellen. Trumps Wahlsieg war im Bereich des Möglichen, mehr nicht. Umfassende Vorsichtsmaßnahmen kosten Zeit und Ressourcen, deswegen hat man eher auf der Ebene von Gedankenspielen vorgebaut. Vor allem aber konnte niemand vorhersehen, mit welcher Brutalität Trump die transatlantische Dimension der amerikanischen Politik infrage stellen würde. Zum Beispiel, dass er so stark mit der Ukraine-Politik seiner Vorgänger brechen würde. Und es war auch nicht vorhersehbar, dass er eine Zollpolitik verfolgen würde, die den USA aller Voraussicht nach massiv schaden wird.

Stichwort Zollkonflikt. Es scheint, als sei die EU etwas unentschlossen, Gegenmaßnahmen einzuleiten. Dabei liegt die Zuständigkeit für die Handelspolitik doch bei der EU-Kommission.

Das ist kein Widerspruch. Es dauert etwas, wirtschaftspolitische Reaktionen so auszugestalten, dass sie für alle in der EU akzeptabel sind. Die Zölle betreffen in Frankreich besonders die Agrarprodukte, in Deutschland die Industrieprodukte, in Irland die Dienstleistungen und so weiter. Die Unentschlossenheit ist ein Hinweis darauf, dass unterschiedliche Regionen oder Länder der EU unterschiedlich betroffen sind. Außerdem wurden einige Zollerhöhungen ja ausgesetzt, sodass erneut unklar ist, ob sie kommen. Gerade wenn die Kommission alleine zuständig ist, muss sie sich der Aufgabe stellen, zwischen den Sektoren und Länderinteressen abzuwägen. Das ist die hohe Kunst des Regierens, bei der die Kommission die Regierungen der Mitgliedstaaten einbezieht und einbeziehen muss.

Was kann denn die EU dem faktischen Wirtschaftskrieg Washingtons entgegensetzen?

Ich sehe hier auch Chancen. Der großflächige Abbau von Zöllen war und ist ein Bestandteil der Globalisierung, die ja auch problematische Effekte hat. Ich meine nicht nur, dass bei höheren Zöllen weniger Plastikspielzeug über die Weltmeere schippert: Zölle wirken dem exzessiven Konsum entgegen. Vor allem aber könnte die gegenwärtige Phase genutzt werden, um zu überdenken, in welchen Bereichen die Globalisierung des Handels problematische Abhängigkeiten geschaffen hat. Könnte man die Produktion von Medikamenten nicht wieder stärker in die EU holen? Könnten Maßnahmen geschaffen werden, mit denen Lieferketten europäischer und damit weniger störanfällig werden? Maßvolle und strategische Zölle könnten dabei helfen.

Die Zölle sind also eigentlich positiv zu sehen?

Na ja, aufs große Ganze gesehen sind Zölle schon nachteilig. Landwirtschaftliche Produkte, Konsumartikel, Industrieprodukte und vieles andere wird teurer, das ist schlecht für viele Unternehmen und viele Verbraucher. Es kommt auf die Dosierung an. Und natürlich kann auch der Angriff auf internationale Regeln, was ein gewolltes Nebenprodukt von Trumps aggressiver Zollpolitik ist, nicht begrüßt werden.

Italiens Regierungschefin Meloni oder Frankreichs Präsident Macron haben während ihrer Besuche bei Trump versucht, die Zölle abzuwenden. EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen ist dagegen nicht ins Weiße Haus vorgelassen worden. Schlägt in der EU jetzt die Stunde der Nationalstaaten?

Ich sehe es nicht als Problem, wenn Staatschefs oder Premierministerinnen sich mit Trump treffen. Zumal er offenbar sehr selektiv dabei ist, wen er empfängt. Vielleicht sollte Ursula von der Leyen lernen, Golf zu spielen, dann dürfte sie auch mal mit Trump zu Mittag essen. Aber Scherz beiseite: Giorgia Meloni kann, selbst wenn sie etwas liebedienerisch rüberkommt, durchaus helfen, europäische Positionen zu erklären. Man kann ihre Politik mögen oder nicht, aber als Anti-Europäerin oder Anti-EU-Politikerin würde ich sie nicht bezeichnen.

Sie haben von den neuen Herausforderungen für Europa in verschiedensten Politikbereichen gesprochen. Genannt wird dabei zumeist die Sicherheits- und Verteidigungspolitik – was in der EU offenbar allein als Aufrüstungspolitik verstanden wird.

Ich denke in der Tat, dass sich gerade etwas verschiebt. Wir haben ja Artikel 42 bis 46 aus dem EU-Vertrag, wo es um gemeinsame Verteidigungspolitik geht. Deutschland war hier immer zögerlich, weil man befürchtete, die EU-Verteidigungspolitik könnte zu einer Schwächung der Nato führen. Die Nato ist aber nun durch Trump selbst infrage gestellt. Deswegen gibt es jetzt für Länder wie Estland oder Lettland auf einmal einen ganz anderen Bedarf an alternativen Schutzschirmen, möglicherweise auf EU-Ebene. Ich sehe den Begriff der Aufrüstungspolitik in diesem Zusammenhang und halte derzeit demokratisch kontrollierte Aufrüstung für leider notwendig, wenn auch sicher nicht unbegrenzt.

Sicherheit lässt sich aber nicht nur militärisch definieren. Organisationen oder Mechanismen wie die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, KSZE, oder die OSZE, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, waren bzw. sind Beispiele dafür.

Die OSZE und viele andere internationale Organisationen basieren auf Einstimmigkeitsregeln, und wir wissen seit vielen Jahren, dass Russland grundlegende Prinzipien der OSZE missachtet und Entscheidungen darüber blockiert. Nun ist noch hinzugekommen, dass die USA, die ja auch in der OSZE mitmischen, unberechenbar geworden sind. Es führt kein Weg daran vorbei, dass Europa sich selbst in die Lage bringen muss, sich gegen ein aggressives Russland zu verteidigen.

Wäre eine auch in linken Kreisen diskutierte europäische Armee die Lösung?

Eine europäische Armee würde eine europäische Sicherheitsgemeinschaft darstellen und wäre ein Stabilitätsanker. Ob sie sich aber überhaupt bewerkstelligen ließe, ist eine andere Frage. Würde Frankreich seine Atomsprengköpfe dafür wirklich zur Verfügung stellen? Und dann würde eine europäische Armee ja auch bedeuten, dass ihr Einsatz legitimiert werden muss. Könnte eine französische Politikerin oder ein polnischer Politiker darüber mitentscheiden, dass deutsche Soldatinnen und Soldaten beispielsweise in die Ukraine entsendet werden? Und ganz praktisch: Auf welche Waffensysteme würde man sich einigen? Und wie würden sich europäische Soldatinnen und Soldaten untereinander verständigen, wenn sie schon füreinander sterben sollen? Falls es eine europäische Armee jemals geben soll, braucht es auf dem Weg dahin viele Zwischenschritte.

Die Fokussierung auf militärische Verteidigungsfähigkeit verschiebt das Gefüge in der EU. Frankreich wird durch seine Atomwaffen aufgewertet, selbst wenn es nur ein paar Dutzend sind.

Ja, das sehe ich auch so. Eine integrierte EU-Verteidigungspolitik würde Frankreich zu einer Art militärischem Hegemon der EU machen, vielleicht so ähnlich, wie es bei Deutschland in der Geld- und Finanzpolitik der Fall ist. Damit kommen neue Probleme, denn ein hegemoniales Land muss auf eine andere Art auf die Interessen der übrigen Mitgliedstaaten blicken und muss Eigen- und Fremdinteressen austarieren, was nie alle zufriedenstellt. Wären Litauen oder Polen besser dran, wenn sie bald unter dem Atomschirm Frankreichs aufwachen und nicht mehr unter dem der USA? Jedenfalls ist die Frage nicht trivial.

In vielen Ländern Europas gibt es eine verstärkte Rechtsentwicklung, auch Beteiligungen rechter Parteien an Regierungen. Wir haben mehr Autokraten, wir haben mehr nationalistisch handelnde Regierungen. Droht das Ende der EU?

Nein. Ich bestehe entschieden auf einer Unterscheidung zwischen rechten und rechtsextremen Parteien. Es gibt durchaus nationalistische Parteien, die nicht extrem sind, zum Beispiel würde ich Melonis Fratelli d’Italia entsprechend einordnen. In einer demokratischen EU können auch rechte Parteien legitime Wahlgewinner sein, auch dann, wenn sie eine nationalistische Ideologie und Politik verfolgen. Ich vermute, dass das nicht alle Leser*innen des »nd« so sehen. Für viele Linke ist das Antinationalistische und Antiextremistische identitätsstiftend.

Sollte man etwa auch die AfD »sanfter« beurteilen?

Im Fall der AfD muss klar gesagt werden, dass es sich hier um echten Rechtsextremismus handelt. Die Partei muss zurückgedrängt werden, auch mit Blick auf die Europapolitik. Wobei den Wähler*innen der AfD gezeigt werden muss, dass es auch andere Parteien gibt, die ihre Interessen auf demokratiekompatible Art vertreten.

Was bedeutet das für die EU?

Ich würde auf jeden Fall davor warnen, es als nicht demokratisch zu bezeichnen, wenn Wahlen von konservativen oder sogar nationalistischen Parteien gewonnen werden. In Dänemark, Österreich und Polen hat es das gegeben, und irgendwann gab es erneute Machtwechsel: So funktioniert nun mal Demokratie. Die EU hat allerdings ein Riesenproblem damit, dass es eineinhalb Staaten gibt, die autokratisch regiert werden: das vollständig autokratische Ungarn und die dem entgegentaumelnde Slowakei. Wenn autokratische Regierungen im Rat der EU mitstimmen, sickert die Autokratie direkt in die Institution ein. Das ist gefährlich und wird dann richtig bedrohlich, wenn in einem der großen Mitgliedstaaten tatsächlich Rechtsextreme an die Macht kommen würden.

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