- Wirtschaft und Umwelt
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Wischen statt Waschen
Schmerzgel wird in Deutschland massenhaft verwendet, ein Wirkstoff sollte aber nicht in der Umwelt landen
Die Geschichte von Diclofenac, dem Wirkstoff in Schmerzgels wie Voltaren, ist eigentlich schon erzählt. Diclofenac kann bereits in niedrigen Konzentrationen Lebewesen in Gewässern und die Vogelwelt schädigen. Bei Forellen wird zum Beispiel die Hornhaut der Augen getrübt, es gibt dort zudem Einblutungen. »Außerdem verdicken sich bei den Fischen Lamellen in den Kiemen, sodass lebensnotwendiger Sauerstoff schwerer aufgenommen werden kann.« Darüber berichtete Gerd Maack vom Umweltbundesamt (UBA) noch einmal und detailliert auf der WeActCon 2025. Das Forum für Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen fand in dieser Woche zum dritten Mal in Berlin statt. Thematisiert werden hier alle möglichen Wechselwirkungen zwischen Gesundheit und Umwelt. Der Eintrag von Medikamentenrückständen in Gewässer ist dabei ein größeres und noch nicht bewältigtes Problem.
Die Wirkung von Diclofenac erregte besonderes Aufsehen, als die Anwendung in der Veterinärmedizin, und zwar speziell bei Rindern, in Indien ganze Geierpopulationen ausrottete. Vor einigen Jahren wurden dann erste Fälle bei Geiern in Spanien beobachtet, obwohl Tierschützer versucht hatten, die Zulassung für die Veterinärmedizin in der EU zu verhindern. Denn für Geier ist Diclofenac auch in kleinsten Dosen extrem giftig: Ein Vogel verendet schon dann, wenn er nur einige Mikrogramm pro Kilogramm Aas aufgenommen hat.
Aber zurück nach Deutschland: Die einschlägigen Gels werden hier massenhaft beworben und verwendet – und sind rezeptfrei erhältlich. Pro Jahr werden etwa 80 Tonnen Diclofenac verbraucht. Problematisch sind vor allem die Schmerzgels, und zwar aus mehreren Gründen. Maximal sechs Prozent des eingesetzten Wirkstoffs kommen bei äußerlicher Anwendung überhaupt am gewünschten Zielort im Körper an, die Haut wirkt als effektive Barriere. Bei unspezifischen Rückenschmerzen raten Mediziner inzwischen von der Verwendung ab. Voltaren sollte nur bei chronischer Arthritis angewendet werden.
Nun ist der Eintrag von Diclofenac in die Umwelt zwar vergleichsweise hoch, aber es handelt sich hier eben nicht um das einzige Medikament, das nach der Einnahme wieder ausgeschieden wird oder von dem Reste unsachgemäß entsorgt werden. Der Biologe Maack warnt unter anderem vor möglichen Umwelt-Folgen, wenn in Deutschland pharmazeutische Produktion neu angesiedelt werden sollte. 2019 wurden bereits über 400 Wirkstoffe in Konzentrationen ab einem Mikrogramm pro Liter in Oberflächengewässern nachgewiesen. Auch international gilt als gesichert, dass es Arzneimittelwirkungen in der Umwelt gibt. »Dafür sprechen 2000 Publikationen zum Thema aus den verschiedensten Ländern«, sagt Maack.
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Von in Deutschland zugelassenen Humanarzneimitteln zeigen 1300 umweltrelevante Wirkungen, so der UBA-Biologe. Von deren Wirkmechanismen her sei klar, dass etwa Antibiotika gegen alle Bakterien wirken, und auch, dass die Hormonsysteme bei allen Wirbeltieren vergleichbar aufgebaut sind.
Das Umweltbundesamt untersucht nun sowohl die Einträge der Medikamente vor allem in Gewässer und erforscht deren Effekte, es will aber auch die Öffentlichkeit für das Thema sensibilisieren. Dazu gehören neben den Patienten zum Beispiel die Ärzte. Zwar sind auf europäischer Ebene Umweltinformationen bei neu zugelassenen Medikamenten seit etwa zehn Jahren verpflichtend, und diese sind auch in verschiedenen Datenbanken zu finden. Den Weg in die Software von niedergelassenen Ärzten, Krankenhäusern oder Apotheken haben diese Informationen noch nicht gefunden. So beschäftigen sich Wissenschaftler jetzt in einem UBA-Projekt damit, ein einfaches Ampelsystem zu entwickeln, das für etwa 2100 Medikamente abgestufte Warnhinweise auf die Umweltverträglichkeit enthält. Vorbilder in Schweden, Finnland und Schottland für einen solchen Arzneimittelindex gibt es bereits.
Dass Diclofenac überhaupt in deutschen Gewässern auftaucht, hat mit dem Gebrauch der Schmerzgels zu tun: Die werden nämlich in großen Mengen wieder abgewaschen und gelangen so in die Klärwerke, wo sie auch mit neuen Klärstufen nicht zurückgehalten werden können. Damit die Creme- und Gelreste in der Folge nicht unerwünscht auf Tiere und Pflanzen wirken, gibt es jetzt unter anderem Info-Postkarten vom UBA. Der Slogan hier heißt: »Wischen statt Waschen«. Demnach sollten überschüssige Mengen mit Papiertaschentüchern abgewischt werden, auch von den Händen. Die Taschentücher sollten dann im Hausmüll landen, Restmengen samt Tube wahrscheinlich ebenfalls dort.
Hier lauert ein weiteres Problem bei der Entsorgung von Medikamenten: Sie ist bundesweit nicht einheitlich geregelt. Außer dem Hausmüll kommen etwa noch Recyclinghöfe oder spezielle Schadstoffmobile infrage. Genauere Informationen dazu sind auf der Webseite https://arzneimittelentsorgung.de zu finden.
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