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Neonazis in Sachsen: Der rechte Hass auf den Regenbogen
Junge Neonazis in Sachsen werden zunehmend von Queerfeindlichkeit und Antifeminismus angetrieben
Der erste Christopher Steet Day (CSD) in Sachsen wird in diesem Jahr am 7. Juni in Riesa stattfinden. Zu erwarten ist, dass es erneut Störaktionen und Einschüchterungsversuche von Rechtsextremen geben wird – so wie sie 2024 an der Tagesordnung waren. Im vorigen Juni sah es dabei noch nach einem Misserfolg für die Nazis aus: In Dresden standen 100 Rechten rund 10 000 fröhlich feiernde CSD-Teilnehmer gegenüber. Im August indes marschierten in Bautzen 700 Neonazis direkt hinter dem CSD-Umzug mit 1000 Teilnehmern her. Wegen der Bedrohungslage sahen sich die Veranstalter gezwungen, die Abschlusskundgebung abzusagen. Auch in Döbeln, Freiberg und Zwickau tauchten die Rechten zu Hunderten auf; selbst in Leipzig waren es 400.
Queere Veranstaltungen waren der extremen Rechten schon immer ein Dorn im Auge. Die Mobilisierung dagegen habe aber 2024 »einen neuen Höhepunkt erreicht«, sagt Michael Nattke, Geschäftsführer des Kulturbüros Sachsen, und merkt an, nur der rechtsextreme »Trauermarsch« rund um den 13. Februar anlässlich der Zerstörung Dresdens bringe im Freistaat mehr Rechte auf die Straße. Queerfeindlichkeit habe sich zu einem zentralen Aktionsfeld der Neonazi-Szene entwickelt, konstatiert das Kulturbüro in der aktuellen Ausgabe seiner jährlichen Publikation »Sachsen rechts unten«, die diesem Thema gewidmet ist.
Auffällig ist dabei, dass sich etliche der diesbezüglich aktiven Gruppen wie die Dresdner »Elblandrevolte« oder »Urbs Turrium« aus Bautzen erst 2024 bildeten, aber in Windeseile große Mobilisierungskraft entwickelten und dabei auffällig junge Neonazis anzogen. »Die jüngsten sind erst 13 oder 14 Jahre alt«, sagt Nattkes Kollegin Melanie Riedlinger. Die Rekrutierung finde oft über soziale Medien und Netzwerke statt, die »Resonanzräume« für rechte Ideologie seien. Deren Algorithmen sorgten dafür, dass sich Filme und Bildkacheln, die etwa Homosexualität als Bedrohung von Männlichkeit oder traditionellen Familienbildern darstellten, in Freundeskreisen verbreiteten. »Die Botschaft ist: Rechte Aktivisten müssen Widerstand leisten.«
»Nur der 13. Februar bringt in Sachsen noch mehr Rechtsextreme auf die Straße.«
Michael Nattke Kulturbüro Sachsen
In der breiten Öffentlichkeit werde bislang kaum wahrgenommen, dass Queerfeindlichkeit und Antifeminismus neben Rassismus und Antisemitismus zur »Kernideologie« der extremen Rechten gehörten, sagt Nattke. In der Szene selbst hat das Thema jedoch enorme Bedeutung. Es sei ein »Einfallstor für rechtsextreme Radikalisierung« und werde »strategisch eingesetzt«, sagt Pia Lamberty vom Berliner Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CEMAS). Es hat kürzlich eine Analyse über »eine neue Generation Neonazis« vorgelegt, in der es heißt, die jüngste »Welle« von Anti-CSD-Aktionen markiere »einen Wandel in der Neonaziszene hierzulande«. Jene verleihe neuen Gruppen »Zugkraft«, deren Mitglieder zunehmend jung und »in der Rhetorik stärker auf Gewalt ausgerichtet« seien. Nach Angaben von CEMAS gab es von Juni bis September vorigen Jahres in 27 Städten rechte Mobilisierungen gegen CSD-Veranstaltungen.
Diese verleihen freilich nicht nur der rechten Szene selbst neuen Schwung, sondern tragen ihr auch Sympathien oder stillschweigende Zustimmung in der breiteren Gesellschaft ein. Dort seien queerfeindliche und antifeministische Einstellungen weit verbreitet, sagt Nattke und verweist auf Zahlen aus der Umfrage »Sachsen-Monitor«, wonach ein Drittel der Sachsen gleichgeschlechtliche Sexualität als »unnatürlich« bezeichneten. Das Thema werde genutzt, um auch jenseits der Kernklientel um Zustimmung zu werben, sagt Nattke und spricht von einer »Brückenideologie«. Lamberty betont, die gesellschaftliche Verbreitung von queerfeindlichen Positionen »bestärkt Rechtsextreme in ihrer Agitation«.
Angriffe gegen CSD-Veranstaltungen kommen auch aus der AfD. Deren Pirnaer Oberbürgermeister Tim Lochner weigerte sich 2024, zum örtlichen CSD wie üblich die Regenbogenfahne vor dem Rathaus zu hissen. Er begründete das mit einem angeblichen Neutralitätsgebot. Als die Fahne stattdessen vor einer Kirche aufgezogen wurde, ätzte er, dort habe einst auch die »Fahne mit Kreuz und Haken« gehangen.
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Auch für die AfD seien Queerfeindlichkeit und Antifeminismus »alles andere als Randthemen«, sagt Kulturbüro-Geschäftsführer Nattke. Das beweise etwa der Anteil der von ihren Abgeordneten im Landtag zu diesem Themenfeld gestellten Kleinen Anfragen. Oft würden dabei Informationen zu Vereinen und Projekten abgefragt, obwohl sie öffentlich zugänglich seien: »Es geht darum, sie als Gegner zu markieren.«
Abzusehen ist, dass das Thema weiter an Bedeutung gewinnt. Auch dieses Jahr müsse davon ausgegangen werden, dass es »verstärkt zu Mobilisierungen gegen queere Veranstaltungen kommen wird«, sagt Lamberty. Gleiches prognostiziert das Kulturbüro in der Publikation »Sachsen rechts unten«, fügt aber hinzu: »Glücklicherweise lässt sich die Community nicht so leicht einschüchtern.« Bis September sind in Sachsen zwölf CSD-Umzüge angekündigt.
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