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Mahmoud Dabdoub: Farben sind für alle da
Der Künstler Mahmoud Dabdoub über das Herz der Fotografie, Fremdheitserfahrungen und die DDR
Angesichts des Titels Ihrer aktuellen Ausstellung drängt sich eine naheliegende Frage auf: Verstehen Sie sich als Künstler – oder eher als Dokumentarist?
Wenn man mit Nachdruck von sich behauptet, man sei Künstler, klingt das schnell ein bisschen überheblich. Ich habe mich selbst nie als Künstler bezeichnet. Gleichwohl versuche ich, meine Bilder nicht nur emotional, sondern auch künstlerisch zu gestalten. Schließlich war ich ja einst auch Student der Kunsthochschule. Aber später eben auch Pressefotograf für verschiedene Zeitungen. Daher bewege ich mich wohl irgendwo dazwischen.
Die ältesten Fotos Ihrer Ausstellung stammen aus dem Libanon der frühen 80er Jahre. Wie sind Sie dort zur Fotografie gekommen?
Anfangs habe ich gemalt und gezeichnet. Die Utensilien, die man dafür brauchte, waren deutlich billiger als die der Fotografie. Es hat aber bereits meinen Blick auf Bilder geschult. Das Leben im Flüchtlingslager war absolut trostlos. Ich habe dann angefangen, schöne, farbige Bilder zu malen, die ich aus der Realität gar nicht kannte. Ich dachte damals, die gibt es nur in reichen Gebieten.
Und dann?
Später habe ich in den Sommerferien bei einem Fotografen gearbeitet. Mich hat sehr interessiert, was er gemacht hat, sodass ich ihn eines Tages gefragt habe, ob er mir seine Kamera leihen könnte. Das war dann meine erste Erfahrung als Fotograf. Kurz darauf bin ich als Hilfsarbeiter nach Westdeutschland gegangen. Mit dem dort verdienten Geld habe ich mir dann die erste eigene Kamera gekauft.
Mahmoud Dabdoub ist in einem palästinensischen Flüchtlingscamp im Libanon aufgewachsen. Seit 1981 lebt und arbeitet der Fotograf in Leipzig. Im Zentrum seines Interesses stehen zumeist einfache, oftmals deprivilegierte Menschen. Anlässlich seiner neuen Ausstellung »Die Straße ist mein Atelier« und des gleichnamigen, parallel erscheinenden Fotobandes traf »nd« ihn zu einem Gespräch über seine Arbeit, seinen Werdegang und die Frage, inwiefern seine Arbeit politisch beeinflusst ist.
In Westdeutschland sind Sie nur kurz geblieben – nach neun Monaten bereits mussten Sie zurück in den Libanon.
Genau. Dort habe ich dann angefangen, beim palästinensischen Künstlerverband in Beirut zu arbeiten. In der Zeit konnte ich viel fotografieren und mit vielen bedeutenden Künstlerinnen und Künstlern zusammenarbeiten, etwa mit dem Maler Ismail Shammout, der damals Generalsekretär des Künstlerverbandes war, und seiner Frau Al Akhal Shammout, die mich beide sehr gefördert haben. Das war etwas Besonderes für mich: Wenn man in ein Museum geht und sich Bilder von Dürer oder Picasso anschaut, hält man immer einen Abstand zum Objekt. Anders war es im Kontext der Arbeit im Künstlerverband, denn dort habe ich mit den Künstlern gesprochen und interagiert – und habe ihre Werke verpackt und getragen.
1981 haben Sie schließlich ein Stipendium für die Hochschule für Grafik und Buchkunst – kurz HGB – in Leipzig erhalten, wo Sie Ihr Studium der Fotografie aufnehmen konnten. Wie kam es dazu?
Der palästinensische Künstlerverband hatte damals gute Beziehungen zum Künstlerverband der DDR, was sicherlich auch als Teil der Solidarität mit dem palästinensischen Volk zu verstehen ist. Diese wurde weniger in militärischer, sondern mehr in geistiger Hinsicht geübt. Im Zuge dessen wurden jedes Jahr vier bis fünf Studienplätze an palästinensische Geflüchtete vergeben. Shammout fragte mich: »Junge, willst du studieren gehen?« Natürlich wollte ich. Möglicherweise hat mir das auch das Leben gerettet: Denn nur ein Jahr später, 1982, kam es zum Massaker in den beiden Flüchtlingslagern von Sabra und Schatila (verübt von maronitisch-katholischen Milizionären; Anm. d. Verf.). In letzterem hatte ich zuvor gelebt.
War es damals eine bewusste Entscheidung, in die DDR zu gehen?
Nein. Ich wäre genauso gern in die Bundesrepublik gegangen. Aber für Menschen wie mich gab es dort damals keine Stipendien.
Wie haben Sie das Land damals erlebt?
Ich war vor allem dankbar. Ich bin nicht hergekommen, um rumzumotzen. Ich habe mich als Gast betrachtet. Im Libanon habe ich gelernt, dass man als Gast sein Gastrecht respektieren muss. Das war mir wichtig. Der heutige Blick auf die DDR, der stark von Aspekten wie Mangelwirtschaft, verfallender Architektur oder fehlender Demokratie geprägt ist, hat für mich damals keine Rolle gespielt. Ich bin nicht gekommen, um zu verurteilen, sondern um zu studieren und dann wieder in meine Heimat zurückzukehren. Es war eine sehr lehrreiche Zeit für mich.
Inwiefern?
Als ich in Beirut war, kannte ich keine westlichen Fotografen. An der HGB habe ich dann verschiedene Schulen und ihre wichtigsten Vertreter kennengelernt. Besonders fasziniert hat mich das Werk von Henri Cartier-Bresson …
… ein französischer Fotograf und zentraler Vorreiter der Straßenfotografie.
Genau. Ich liebe seine Fotografien, deren humanistischen Impetus man beim Betrachten kaum übersehen kann. Ihm ist es gelungen, skurrile und schräge Momente einzufangen und somit Menschlichkeit nicht durch eine belehrende, sondern durch eine mitunter humoristische Weise auszudrücken. Das hat mich und meine spätere Arbeit sehr geprägt.
Ebenso wie bei Cartier-Bresson stehen auch im Zentrum Ihrer Fotografie zumeist einfache Menschen. Woher kommt Ihr Interesse an ihnen?
Aus der Menschlichkeit. Ich habe vor allem oft Kinder fotografiert. Mich hat dabei die Unbekümmertheit fasziniert. Die denken nicht: Was ist das für eine furchtbare Umgebung, in der wir leben? Die sitzen im Dreck, im Müll und lachen dabei. Diese Momente der Freude haben mich angesteckt. Obwohl oder gerade weil es für uns Erwachsene so deprimierend war.
»Ich habe mit dem Herzen fotografiert«, haben Sie einmal gesagt. Was meinen Sie damit?
Damit meine ich, zu fühlen, was ich fotografiere. Viele meiner frühen Fotos aus dem Libanon sind über- oder unterbelichtet. Aber die Technik stand nie im Vordergrund meiner Arbeit. Ich bin durch die Gassen gelaufen, in denen alte Menschen saßen und Kinder spielten, habe mich treiben lassen und geknipst. Wichtig war für mich dabei der Respekt gegenüber den Leuten, die ich fotografiere.
Im Libanon waren Sie als palästinensischer Geflüchteter ebenso Teil einer gesellschaftlichen Minderheit wie später als Migrant in der DDR. Inwiefern spiegelt sich diese Fremdheitserfahrung in Ihrem fotografischen Werk wider?
Beides hat mich sehr geprägt. Gerade die Erfahrungen im Libanon. Ich wollte die dortige Situation dokumentieren, die Menschen und ihre Würde und der westlichen Welt zugleich zeigen, dass dies keine Art zu leben ist. Fremdheit als Erfahrung hilft, sich zu engagieren und zu solidarisieren. Und auch dabei, einmal die Perspektive zu wechseln.
Viele Ihrer Fotografien wirken detailverliebt, obwohl sich darin zugleich ein hohes Maß an Spontaneität spiegelt. Wie halten Sie die Balance?
Ich verlasse mich auf das, was ich vorfinde. Ich gebe keine Zeichen, sondern warte auf den richtigen Moment und drücke ab. Inszenierung findet höchstens dahingehend statt, dass man einen bestimmten Ausschnitt wählt und sich dafür oder dagegen entscheidet, Motive mit ins Foto einzubeziehen.
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Wie hat der Wechsel von analoger zu digitaler Fotografie Ihre fotografische Praxis verändert?
Ich habe mich anfangs gegen den Wechsel hin zur digitalen Fotografie gesträubt. Irgendwann hieß es dann vonseiten eines Auftraggebers, dass nur noch Dateien akzeptiert würden. Die fotografische Praxis ist dabei aber mehr oder weniger gleich geblieben. Nur das Werkzeug hat sich verändert. Und der Komfort ist heute deutlich höher: Früher musste ich auf Reisen einen eigenen Koffer mit neuen Filmen bei mir tragen. Heute reicht ein kleiner Chip. Und ich muss mich nicht mehr entscheiden zwischen Schwarz-Weiß- und Farbfotografie, sondern kann Bilder retrospektiv den jeweiligen Vorstellungen anpassen.
Sie haben mal gesagt, dass Sie Ihre Arbeit nicht als politisch betrachten. Sind Sie sich da so sicher? Ist nicht bereits die Entscheidung für oder gegen ein Foto-Objekt eine politische Entscheidung?
Ich meine damit vor allem, dass ich nicht als Politiker oder Aktivist agiere. Als Künstler ist man natürlich immer Teil eines politischen Kontexts, und das beeinflusst auf die eine oder andere Weise immer auch die eigene Kunst. Aber mir geht es eher darum, die Realität auf den Straßen in die Öffentlichkeit zu bringen und damit zu zeigen, was wirklich ist. Welche politischen Schlussfolgerungen andere daraus ziehen, darauf habe ich keinen Einfluss.
Das heißt, sie verfolgen keinen aktivistischen, sondern einen aufklärerischen Anspruch?
Genau. Ich möchte das Gewissen der Leute, die meine Fotos sehen, wachhalten.
Mahmoud Dabdoub »Die Straße ist mein Atelier«, Zeitgeschichtliches Forum Leipzig, bis 22. Juni.
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