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Israels Kriegsziel ist die Vertreibung
In der Hungerkrise wird Gaza zum Randthema
Wegen der seit über zwei Monaten anhaltenden israelischen Blockade aller Hilfslieferungen an die über zwei Millionen Bewohner des Gazastreifens warnen NGOs und die Vereinten Nationen vor weiteren Hungertoten. Rik Peeperkorn von der Weltgesundheitsorganisation WHO sagt, dass vor allem zahlreiche kleine Kinder bereits jetzt Langzeitschäden erleiden, ausgelöst durch einseitige oder unregelmäßige Nahrung. Während internationale Hilfsorganisationen ein sofortiges Wiederanfahren der internationalen Hilfslieferungen in den Gazastreifen fordern, bestreiten Vertreter Israels, dass es dort eine Knappheit an Lebensmitteln gäbe.
Sicherheitsminister Itamar Ben Gwir, Koalitionspartner von Premierminister Benjamin Netanjahu, will die Verteilung von Lebensmittel zukünftig nur an diejenigen beschränken, die zur Ausreise bereit sind. Wie auch Finanzminister Bezalel Smotrich sagt Ben Gwir ganz öffentlich, was er für das eigentliche Kriegsziel Israels hält: die Ausreise möglichst vieler Palästinenser aus Gaza und dem Westjordanland. Issa Amro, ein Aktivist aus der Stadt Hebron berichtet, dass den aus ihren Häusern im Westjordanland Vertriebenen mittlerweile ganz offen gesagt wird, dass sie nicht mehr zurückzukommen bräuchten. »Geht nach Jordanien, sagen die Siedler den aus Dschenin oder Tulkarem vertriebenen Flüchtlingen«, berichtet Issa dem »nd« am Telefon.
Blockade der Hilfslieferungen als Ablenkungsmanöver
Der Aktivist hält das Zurückhalten der Lebensmittel für die Bewohner von Gaza und die Drohung der israelischen Regierung mit einer Besatzung des gesamten Gazastreifens für ein Ablenkungsmanöver. »Während die Diplomaten über einen Waffenstillstand für das völlig zerstörte Gaza reden, werden im Westjordanland still und heimlich Siedlungen erweitert«, klagt Issa. »Für die Siedler und Radikale wie Smotrich und Ben Gwir ist die in Oslo vereinbarte Zwei-Staatenlösung Geschichte.«
Immerhin gab es am Montag mit der Freilassung der US-amerikanisch-israelischen Geisel Edan Alexander den Beweis, dass die Vermittler aus Katar, Ägypten und den USA weiterhin offene Gesprächskanäle nutzen können. Katars Premierminister Mohammad Bin Al-Thani hatte laut diplomatischer Quellen direkt mit Hamas-Kontakten verhandelt, damit Alexander noch vor der Ankunft von Donald Trump freigelassen wird.
Erneut Journalist getötet
Die israelische Armee hatte am Montagnachmittag dafür ihre Angriffe kurzfristig reduziert, doch zu einem von der Hamas geforderten Waffenstillstand war man nicht bereit. Doch schon die Bombardierung des Nasser-Krankenhauses in Khan Junis am Dienstagmorgen zeigte, dass Netanjahu mehr denn je auf die Vertreibung der Zivilbevölkerung setzt. Einer der beiden Toten war der palästinensische Journalist Hassan Eslaih, mehrere Ärzte und Krankenschwestern wurden verletzt.
Die Bewohner von Gaza warten nun gespannt auf die Gespräche zwischen Donald Trump und dem saudischen Kronprinzen Mohammad Bin Salman. In Katar und den Vereinigten Arabischen Emirate will der US-Präsident seine Tour am Golf am Mittwoch fortsetzen. Neben Milliardeninvestitionen von Petrodollars in die US-amerikanische Tech-Industrie im Tausch für Sicherheitsgarantien für die Golf-Monarchien dürfte vor allem der Gaza-Krieg im Zentrum der Gespräche stehen.
»Während die Diplomaten über einen Waffenstillstand für das völlig zerstörte Gaza reden, werden im Westjordanland still und heimlich Siedlungen erweitert.«
Issa Amro Aktivist aus der Stadt Hebron
Israels Premierminister Netanjahu hatte in der Vorwoche zehntausende Reservisten einberufen lassen und droht mit der militärischen Besetzung des gesamten Gazastreifens. Man sei nur noch auf der Suche nach Drittländern, die Gazas Bevölkerung aufnehmen könnte, so Netanjahu während einer Sitzung des Sicherheitskabinetts. Eine Rückkehr der aus ihren Häusern vertriebenen Palästinenser sei vom Tisch.
Viele Beobachter in der Region sehen den Besuch Trumps am Golf als letzte Chance für ein neues Waffenstillstandsabkommen zwischen der Hamas und der israelischen Regierung, um die angekündigte ethnische Säuberung des Gazastreifens zu verhindern.
Hamas zeigt sich verhandlungsbereit
Mit der Freilassung der US-amerikanisch-israelischen Geisel zeigt sich die Hamas verhandlungsbereit. Netanjahus Koalitionspartner lehnen hingegen sogar das Wiederanfahren der Hilfslieferungen ab. Die nun über zwei Monate dauernden Blockade der humanitären Hilfe habe zu ersten Hungertoten geführt, klagen internationale Hilfsorganisationen und die Vereinten Nationen.
Netanjahu will nach der Kritik selbst enger Verbündeter nun zwar wieder Lebensmittel liefern, doch dies soll ohne die UNRWA-Mission der Vereinten Nationen oder NGOs geschehen: Israels Rechte wirft ihnen Kollaboration mit der Hamas vor, da sie angeblich Hilfslieferungen teilweise an ihre Kämpfer umgeleitet habe.
Trump übergeht Israel
Die Kritik an Netanjahus kriegsverlängernder Strategie ist international mittlerweile so groß, dass Trump davon absieht, eine Solidaritäts-Stippvisite in Jerusalem einzulegen. Auch über die von Katar vermittelten Waffenstillstandsverhandlungen schwieg er, wohl auch aus Furcht, dass Netanjahus Wille, die Zahl der Palästinenser in Gaza und der Westbank mit allen Mitteln zu reduzieren, seine Chancen auf lukrative Deals mit den Golfmonarchien deutlich vermindert.
In seiner ersten Amtszeit führte Trumps Nahost-Reise auch nach Jerusalem. Diplomatische Kreise in Washington berichten, dass der saudische Außenminister Prinz Faisal Bin Farhan bei seinem Besuch in Washington vor vier Wochen darauf bestanden habe, dass Trump diesmal auf einen Zwischenstopp in Israel verzichtet.
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