»Tanz der Titanen«: Süchtig nach Glückskeks

Die Satire »Tanz der Titanen« zeigt den Versuch der G7-Staatschefs, mitten im deutschen Mischwald eine Erklärung von Tragweite zu formulieren

Es gilt der alte Rockerspruch von Neil Young: Es ist besser auszubrennen als zu verblassen.
Es gilt der alte Rockerspruch von Neil Young: Es ist besser auszubrennen als zu verblassen.

Es hätte auch richtig schlecht werden können: »Tanz der Titanen«, eine Satire über den kläglichen Versuch der mächtigsten Staatschefs und -chefinnen der Welt, eine gemeinsame Erklärung während des G7-Gipfels zu verabschieden. Es hätte eine Aneinanderreihung von Klischees werden können, eine peinliche, weil absolut schablonenhafte Abrechnung mit »denen da oben«, die uns in einer Tour manipulieren, nur um die nächste Wahl zu gewinnen. Der französische Präsident hätte schlechte Witze über das noch schlechtere Essen der Briten gemacht, der Italiener wäre eine in Rotwein ertränkte Karikatur aus Gianluigi Buffon und Bud Spencer, und die Deutsche Kanzlerin würde 90 Minuten lang lasziv ihre Schäferhunde streicheln, die ihr beim gemeinsamen Abendessen zu Füßen sitzen. So sähe ein deutscher Film über das absurde Theater Politik wahrscheinlich aus, produziert von Constantin Film in Kooperation mit RTL+.

Die drei Filmemacher Evan Johnson, Galen Johnson und Guy Maddin, Letzterer vor allem bekannt für seine Stummfilmästhetik und die bizarr absurden Storys (»My Winnipeg«, »The Green Fog«), haben aus dem Setting eines G7-Gipfeltreffens aber eine Groteske gemacht, die vor allem von ihrer B-Horror-Atmosphäre lebt. Eigentlich ist es eher eine Horror-Seifenoper geworden, ein Genre, das erst erfunden werden musste, um es zu vermissen.

Eigentlich ist es eher eine Horror-Seifenoper geworden, ein Genre, das erst erfunden werden musste, um es zu vermissen.

Es geht schon gut los, wenn die Chefinnen und Chefs der wichtigsten Industrienationen nach dem Gruppenfoto vor Schloss Dankerode mitten im deutschen Wald, wo das Gipfeltreffen stattfindet, vor einer Grube stehen bleiben und dem Archäologen Doktor Buffelmann (allein dieser Name vom französischen Präsidenten ausgesprochen ist ein guter Witz) dabei zusehen, wie er eine Moorleiche freilegt. Der Ton ist gesetzt, hier geht etwas nicht mit rechten Dingen zu.

Die Musik, eigentlich permanent präsent, aber nie aufdringlich, was Filme selten schaffen, die derart von ihrem Score leben, changiert zwischen brutal-verstörender Weltuntergangssinfonie und der Hintergrundbesäuselung in billigen 80er-Jahre-Pornos. Auch die Hierarchieebenen werden subtil in diesem einigermaßen merkwürdigen Präludium klar: Der französische Präsident Sylvain Broulez (Denis Ménochet) fällt der deutschen Kanzlerin Hilda Ortmann (Cate Blanchett) ständig ins Wort, um mit seinem Wissen über Moorleichen zu prahlen, der japanische Premier (Takehiro Hira) steht in der zweiten Reihe und macht Fotos. Der Italiener stellt nur komische Fragen und ist ansonsten unwichtig, US-Präsident Edison Wolcott (Charles Dance) wirkt einigermaßen aus der Welt gebeamt und schläft gerne ein, wenn es wichtig wird (man vermisst plötzlich Joe Biden).

Als die sieben nach dem Abendessen in einem Pavillon am Waldrand endlich in medias res gehen, um ihre Abschlusserklärung zu formulieren, die sie wie eine Art Glückskeks in einer nicht näher definierten Krise unters Volk bringen wollen, bemerken sie, dass das komplette Anwesen leer ist. Die Bediensteten sind verschwunden, der Nebel des Grauens zieht auf, es gibt keinen Handyempfang (Deutschland, aber normal), die nächste Stadt ist 20 Kilometer entfernt.

Was bis hierhin noch nach einer etwas freakigen Satire aussah (die Arbeitsgruppen, die sie bilden, um die Erklärung zu formulieren, erinnern in ihrer Dynamik stark an grausige Schulzeiten, in denen man Glück oder Pech hatte mit den fitten Strebern oder den kiffenden Losern zusammengesetzt zu werden), wandelt sich nun in eine komplett bizarre Trash-Horror-Seifenoper. Der französische Präsident knickt im Wald auf der Flucht vor den wiederauferstandenen Moorleichen um und wird fortan vom Italiener in einer Schubkarre durch den Morast geschoben, der kanadische Premier (Roy Dupuis), der früher mal was mit der britischen Premierministerin hatte, verschwindet für einen Quickie mit der Kanzlerin im eigenartig pink angestrahlten Gebüsch.

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Der Wald, mal ausgeleuchtet wie kurz vor dem Besuch der Aliens, mal angemessen düster (Kameramann Stefan Ciupek hat schon die Bilder in Lars von Triers »Antichrist« geschaffen), wird zum Schauplatz einer extrem bekloppten Verfolgungsjagd zwischen Weltpolitiker*innen und Zombie-Moorleichen. Den besten Dialog haben dann die britische Premierministerin und der französische Präsident, der sich von der Komplett-gaga-Situation intellektuell herausgefordert fühlt und in allem eine Allegorie sieht (die Moorleichen waren früher Anführer ihres Stammes und wurden, als sie in Ungnade fielen, einfach in den Sumpf geworfen), in dem die Premierministerin trocken anmerkt: »Sylvain, es bedeutet einfach nichts.«

Das ist eine gute Bedienungsanleitung für den Film insgesamt. Zwar gibt es einige wirklich großartige Szenen, in denen klar wird, dass auch die mächtigsten Menschen der Welt nur kleine Würstchen mit Bedürfnissen und Ängsten sind und vor allem, dass kein normaler Mensch mit einer derartigen Verantwortung, die auf ihm lastet, wirklich angemessen umgehen kann. Aber alles in allem will der Film nichts von uns. Wir dürfen unsere vom Alltag zurechtgeschliffenen Seelen behalten, die diese Art von Macht niemals erfahren werden und auch froh darüber sind.

Nach dem Abspann dieses Films muss man sich schon im Fukuyama’schen Sinn nach dem Ende der Satire fragen. Wenn noch nicht mal mehr plötzlich auftauchende Riesengehirne im Wald, masturbierende Moorzombies und ein kanadischer Premierminister mit Man Bun bizarr wirken, wenn künstlerisch verfremdet in den Maschinenraum der Politik hineingefilmt wird, dann ist nicht klar, ob diese Welt überhaupt noch dazu taugt, irgendwas darin zu übertreiben. Wenn heute ein Taschentuch auf einem Tisch der politisch wichtigsten Männer der Welt zu einer Kokstüte umgedeutet wird und es keinen Unterschied mehr macht, ob das wahr ist oder nicht, dann sind wir wirklich verloren.

»Tanz der Titanen«, Kanada/Deutschland 2024. Regie und Drehbuch: Guy Maddin, Evan Johnson, Galen Johnson. Mit: Cate Blanchett, Roy Dupuis, Nikki Amuka-Bird. 104 Min. Start: 15.5.

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