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George Simion: Präsident der Neuen Rechten
Ultra-Nationalist und Fußball-Ultra – George Simion, der Sieger der ersten Runde der rumänischen Präsidentschaftswahl vereint beides
Wie einst Versailles sollte der Parlamentspalast sein. Nur größer. Weithin sichtbar thront er auf einem künstlich geschaffenen Hügel über der Hauptstadt Rumäniens. Das Monumentalbauwerk im Zentrum Bukarests ist das steingewordene Symbol des langjährigen national-kommunistischen Diktators Nicolae Ceauşescu, der seine Familiendynastie mit dem Kitsch neoklassizistischer, absolutistischer Architektur im Herzen der Hauptstadt krönen wollte. Ein Gebäude, das als Präsidentenpalast erbaut wurde, mittlerweile beide Parlamentskammern beherbergt und eines der größten Gebäude der Welt ist; erdacht für den Aufstieg als kommende Weltmacht, die Rumänien laut Ceauşescu mittels einer Verfünffachung der Bevölkerung werden sollte.
Der Palast ist seit 1989 nicht mehr Sitz des Präsidenten, auch um dessen Bedeutung zumindest symbolisch zu minimieren. Trotzdem passt der monumentale Bau zur Ideologie des derzeit aussichtsreichsten Präsidentschaftskandidaten. Nein, nicht als Sinnbild des Kommunismus, sondern des Balkanlandes als große Nation: Mit George Simion vertritt womöglich in Zukunft ein beinharter Nationalist Rumänien im Europäischen Rat, der von einem »Großrumänischen Reich« träumt. Er gilt als rechtsradikal und extrem temperamentvoll – und dürfte neuen Streit in den Rat tragen.
Von der Kurve in die Politik
Aufgewachsen im Bukarest der Folgewirren der rumänischen Revolution von 1989 zeichnete sich dessen Aufstieg nicht unbedingt ab. Straßenkinder und -hunde, Klebstoffschnüffelei und Bettler prägten das Bild der rumänischen Hauptstadt, die insbesondere rund um den Bahnhof Gara de Nord einem Drittweltland glich. Die Fassade der kommunistischen Diktatur war in sich zusammengefallen, eine Aufarbeitung fand nicht statt und wirtschaftlich kam das Land aufgrund allgegenwärtiger Korruption und eines schlechten Bildungsniveaus kaum in die Gänge. Für viele Menschen blieb Fußball der einzige Trost. Der junge, fleißige Simion tummelte sich in der Fankurve des einstigen Siegers des Europapokals der Landesmeister und Ceauşescu-Klubs Steaua Bukarest – und stieg schnell zu einem Führer der Ultras auf.
Die rumänischen Fankurven galten und gelten als Hort des Nationalismus. Simion nutzte seinen Einfluss früh für eine schlagkräftige Vernetzung zwischen ähnlich gesinnten Kräften – und trat zu Beginn seiner politischen Karriere als raubeiniger Straßenaktivist in Erscheinung. Kaum eine Demonstration, bei der es nicht zu Rangeleien mit Polizisten kam. Simion konnte sich dabei stets als Opfer inszenieren, das sich für die nationalen Interessen Rumäniens einsetze und vom Staat bekämpft werde – Weggefährten beschrieben ihn schon in jungen Jahren als charismatisch. Heute ist er in der rumänischen Politik für seinen aggressiven Stil bekannt und bedrängt immer wieder politische Gegner, wohl um ein Gefühl der Überlegenheit herzustellen.
Ideologischer Doppelpass mit Meloni
Der Nationalismus hatte in Rumänien im Gegensatz zu vielen Nachbarländern lange einen schweren Stand. Zu sehr wurde die Ideologie mit dem Vasallen Hitlers Ion Antonescu verbunden; auch Nicolae Ceauşescu bediente sich nationalistischer Rhetorik bei seinem Kurs der »Unabhängigkeit von der Sowjetunion«. Beide standen später für Chaos und Verfall, weshalb danach lange Zeit vor allem die Sozialdemokratische Partei und die Nationalliberale Partei die Geschicke der rumänischen Politik lenkten. Diese Parteien, von denen vor allem die postkommunistischen Sozialdemokraten immer wieder durch Korruptionsaffären auffielen, führten das Land 2008 in die Europäische Union – ein in den »Hungerjahren« der 90er noch ausgeschlossenes Unterfangen. Danach begann ein kometenhafter Aufstieg mit zweistelligem Wirtschaftswachstum und Modernisierung der Infrastruktur. Dies wird auch von einem Großteil der Bevölkerung so gesehen, während die alte nationalistische Großrumänien-Partei noch immer auf einen expliziten Anti-EU-Kurs setzte.
Diese Ausgangssituation nutzte Simion bei der Gründung seiner Allianz für die Union der Rumänen (AUR): Er wollte sowohl die pro-europäische Grundstimmung als auch den aufkeimenden Nationalismus nutzen. Das Logo der AUR kombiniert nicht umsonst die großrumänische Grenze inklusive der Gebiete, die heute im Süden der Ukraine oder in der Republik Moldau liegen, mit den Sternen der EU-Fahne. Auch wenn Simions Europaliebe taktischer Natur sein dürfte, konnte die AUR mit diesem Kurs seit Gründung des Bündnisses ihre Stimmenzahl verdreifachen.
Dass Simion nun die erste Runde der Präsidentschaftswahl gewann, hat auch mit dem demonstrativen Schulterschluss mit Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni zu tun. Beide Länder pflegen aufgrund der ähnlichen Sprache ein enges Verhältnis. Meloni gilt in der EU inzwischen als verlässliche Partnerin und wird von Kommission und Rat wegen ihrer prowestlichen und EU-freundlichen Haltung geschätzt.
Mit ihr teilt Simion die Ablehnung eines als »Kulturmarxismus« bezeichneten Menschenrechtskurses, der neben Religionsfreiheit auch die Wahrung von queeren Rechten und Freiheiten nationaler Minderheiten vorsieht. Simion und seine AUR pochen dagegen auf das patriarchale Familienmodell und den rumänisch-orthodoxen Glauben. Sie sehen Europa als »Bollwerk der christlichen Kultur« und stehen einer Einigung im Rahmen der bisherigen Institutionen zustimmend gegenüber.
Zusätzlich dazu ist Simion mit der unter Trump einflussreichen christlichen Rechten in den USA vernetzt und hat sich zuvor mehrfach zur Nato bekannt. Dies unterscheidet ihn vom ebenso rechten, einstigen Weggefährten Călin Georgescu, der die ursprüngliche erste Runde der Präsidentschaftswahl als unabhängiger Kandidat völlig überraschend gewonnen hatte und im Nachhinein von der Wiederholung der Wahl unter anderem wegen einer vermeintlichen Einmischung Russlands in seinen Wahlkampf ausgeschlossen wurde. Sein klarer Putin-Kurs war für ein Land, welches nach dem Zweiten Weltkrieg innerhalb des von der Sowjetunion dominierten Ostblocks schwer gelitten hatte, nicht tragbar. Simion kritisierte das Vorgehen gegen Georgescu scharf, war er doch in der Vergangenheit selbst unter Verdacht geraten, mit dem russischen Geheimdienst FSB in Kontakt zu stehen. So trat er am Sonntag beim Wahlvorgang demonstrativ zusammen mit Georgescu auf. Andererseits bezeichnete er sich selbst als »russophobsten Politiker Rumäniens« und bekannte sich zur Solidarität mit der Ukraine und den baltischen Staaten.
Probleme mit Ungarn und Moldau
Der widersprüchliche und temperamentvolle George Simion dürfte gewissermaßen ein Antipol zum vorherigen, liberal-konservativen Vorgänger Klaus Johannis sein und künftig deutlich lautstarker auftreten. Der deutschstämmige Johannis wurde wegen seiner verlässlichen und ruhigen Art international geschätzt, auch wenn er innenpolitisch als wenig vermittelnder Präsident galt und offen die Konfrontation mit dem politischen Gegner suchte. Beide eint jedoch der Konfrontationskurs mit Ungarn und seinem Präsidenten Viktor Orbán, der unter dem lautstarken Ultranationalisten Simion wohl noch zunehmen wird. So verlor Ungarn nach dem Ersten Weltkrieg etliche Gebiete, die heute auf rumänischem Territorium liegen und in die Orbán seit einigen Jahren viel Geld pumpt, um die dortige ungarische Minderheit stärker an ihr Mutterland zu binden und im Zweifel ein »großungarisches Reich« zu schaffen, wie er es in mehreren Reden ankündigte. Die beinahe traditionelle Abneigung zwischen beiden Ländern führte schon unter Johannis zur Aberkennung des höchsten rumänischen Staatsordens für den ungarischstämmigen Revolutionshelden László Tőkés und dürfte bei Simion nahtlos fortgeführt werden.
Dessen Hauptaugenmerk gilt vor allem der »Wiedervereinigung« mit der Republik Moldau. Der EU-Beitrittskandidat war als Bessarabien einst Teil Rumäniens, wurde im Zweiten Weltkrieg dann aber der Sowjetunion angegliedert. Moldaus liberale, pro-europäische Ministerpräsidentin Maia Sadu zeigt sich bisher wenig begeistert von Simions Wahlversprechen. Die Ablehnung seiner Pläne geht sogar so weit, dass der 38-Jährige Einreiseverbot im Nachbarland erhielt. Der Vorwurf: Simion könnte sich mit Putin verbünden, um die Republik Moldau zu zerstören. Denn der östliche Landesteil jenseits des Fluss Dnjestrs ist russischsprachig und als Transnistrien ein moskauhöriges De-Facto-Regime.
Auch wenn Simion nicht ideologiegetrieben, sondern eher erratisch-populistisch wirkt und die Moldau- und Ungarn-Frage am Ende von der Europäischen Union mit zahlreichen Geldgeschenken abmoderiert werden könnte, wäre sein unaufhaltsamer Aufstieg vom Rechtsaußen-Straßenkämpfer ins Präsidentenamt in nur fünf Jahren ein bemerkenswerter Sieg der politischen Rechten in einem Land, in dem sich diese traditionell schwertat. In jedem Fall würde die Wahl Simions die »pro-westliche Rechte« um Meloni stärken, die treu zu Trump und Nato steht und innenpolitischen einen harten Rechtskurs mit Verfolgung von Minderheiten wie Roma und queeren Menschen fährt. Hier scheint sich ein neuer Kurs innerhalb der Rechten abzuzeichnen, der die bisherigen westlichen Institutionen wie Nato und EU akzeptiert und für seine Zwecke einzuspannen weiß, während die vermeintlich dahinter liegenden ideellen Werte innenpolitisch mit Füßen getreten werden.
Allerdings: Als »Rechter« möchte George Simion nicht bezeichnet werden. Auf derartige Zuschreibungen reagiert er empfindlich – etwa mit dem Abbruch eines Interviews, wie kürzlich eine Journalistin des Wiener »Standard« erleben musste.
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