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Hass im Klassenraum

Weil rechte Vorfälle an Schulen zunehmen, hat die Bundesschülerkonferenz einen Brandbrief geschrieben

Neonazis sind sichtbar in den Schulen geworden. Sie versuchen sehr unterschiedlich, auf Jugendliche einzuwirken.
Neonazis sind sichtbar in den Schulen geworden. Sie versuchen sehr unterschiedlich, auf Jugendliche einzuwirken.

Rechtsextreme Vorfälle haben zuletzt für Schlagzeilen gesorgt: Ein Jugendlicher zeigte in Auschwitz-Birkenau einen rechten Gruß, vermummte Neonazis lauerten in der Erzgebirgsstadt Oelsnitz einer Lehrerin auf und bedrohten sie, und an einer Schule in Duisburg kündigten Unbekannte »Säuberungen« an.

»Das sind keine Einzelfälle«, betont Fabian Schön von der Bundesschülerkonferenz gegenüber dem »nd«. Seiner Beobachtung nach gehören Hakenkreuze, Hitler-Vergleiche und fremdenfeindliche Hetze längst zum Alltag der Jugendlichen in Deutschland. Die Wochenzeitung »Die Zeit« hat die jüngsten Vorfälle zum Anlass genommen, bei den Innenministern der Länder nach rechtsextremen Tendenzen an Schulen nachzufragen. »Dabei hat sich herausgestellt, dass es insbesondere in Hessen erschreckend viele Fälle gegeben hat, aber auch in Sachsen-Anhalt und Brandenburg«, berichtet Schön. In Hessen haben sich die zur Anzeige gebrachten Vorfälle innerhalb eines Jahres mehr als verdreifacht. Das vergleichsweise dünn besiedelte Brandenburg meldete 336 solche Vorfälle, während Sachsen-Anhalt im Jahr 2024 einen Anstieg von 150 Prozent im Vergleich zum Vorjahr registrierte.

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Die Häufung der Delikte kommt für Nicole Broder nicht überraschend. »Die rechtsextreme Szene befindet sich seit einigen Jahren im Aufwind«, erläutert die Mitarbeiterin der Bildungsstätte gegenüber dem »nd«. »Rechte Gruppierungen haben ihre Tätigkeiten deutlich ausgeweitet. Wir beobachten eine zunehmende Radikalisierung unter Jugendlichen, die sich in Straßenprotesten, Kampfsportaktivitäten sowie der Anziehungskraft von Hooligan- und rechten Ultra-Gruppen manifestiert.« Nicole Broder fühlt sich in die Vergangenheit zurückversetzt – ähnliche Strukturen prägten bereits die 90er Jahre und die frühen 2000er.

»Eine weitere Eskalation der Situation dürfen wir nicht hinnehmen«, erklärt Fabian Schön entschlossen. »Das war für uns als Bundesschülerkonferenz klar. Wir haben uns gefragt, was wir tun können und waren uns einig, dass wir nicht auf lange Abstimmungsprozesse in den Schulbehörden und Ministerien warten wollten. Deshalb sind wir jetzt mit einem Appell an die Öffentlichkeit gegangen.«

Um diesem Rechtsruck entgegenzuwirken, seien gezielte Strategien erforderlich, heißt es in dem Brandbrief. »Die Schule muss ein sicherer Ort der Aufklärung, des demokratischen Lernens und der aktiven Auseinandersetzung mit Geschichte und Gegenwart sein.« Traditioneller Geschichtsunterricht allein reiche nicht mehr aus. »Es braucht Erleben, Begreifen, Mitfühlen. Deshalb fordern wir mindestens einen verpflichtenden Besuch einer KZ-Gedenkstätte während der weiterführenden Schulzeit.« Wichtig sei es, einen emotionalen Zugang zu dem Thema zu schaffen, meint Fabian Schön. Dann sei die Chance größer, dass das Thema nicht nach der Klausur gleich wieder vergessen werde.

Nicole Broder teilt diese Ansicht, ergänzt jedoch: »Wir brauchen vielschichtige Ansätze, um einem Wiedererstarken der extremen Rechten entgegenwirken zu können. Wir müssen lernen, wie die rechten Strukturen beschaffen sind, welche Strategien sie verfolgen, auf welche Weise sie Geschichtsrevisionismus betreiben, wie sie im Netz aktiv sind und Hass schüren. Rechte Akteure sprechen junge Leute oft emotional an. Das muss man wissen.«

»Wir benötigen mehr Fachkräfte an Schulen, die aufmerksam zuhören, problematische Entwicklungen frühzeitig erkennen und gezielt intervenieren.«

Bundesschülerkonferenz

Unter Lehrkräften herrsche jedoch erhebliches Unwissen über diese unheilvollen Dynamiken. »Viele beschäftigen sich beispielsweise nur wenig mit Tiktok«, so ihre Beobachtung. »Ihnen ist das Netzwerk fremd, sie sind aber mit Inhalten konfrontiert, die in den Klassen kursieren. Hier muss die Lehrkräftebildung dringend nachgeschärft werden.«

Die Bundesschülerkonferenz fordert, dass Heranwachsende lernen sollten, konstruktiv zu streiten und unterschiedliche Meinungen auszuhalten. Lehrkräfte müssten dabei als zentrale Begleitpersonen fungieren, betont Fabian Schön. Allerdings hat er beobachtet, dass viele Pädagogen mit dieser Aufgabe überfordert seien. »Sie scheuen sich davor, politische Diskussionen im Klassenraum zu moderieren, da sie zur Neutralität verpflichtet sind. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie sich vollständig zurückziehen können«, erklärt er. »Findet ein solcher Austausch nicht in der Schule statt, verlagert er sich in andere Bereiche – dort jedoch noch weniger auf Fakten basierend.«

Stefan Düll, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, sieht in der universitären Ausbildung den idealen Rahmen für die gezielte Qualifizierung angehender Lehrkräfte; gegebenenfalls müsste diese spätestens im Referendariat erfolgen. Gegenüber dem »nd« räumte er ein: »Für berufsbegleitende Weiterbildungen fehlt Lehrkräften häufig schlicht die Zeit.« Dabei verwies er auf die tagtäglichen Herausforderungen an Schulen. »Pädagogen sind bereits derart belastet und überfordert, dass für einschlägige Fortbildungen kaum Spielraum bleibt.«

Die Bundesschülerkonferenz weigert sich, die prekäre Situation an den Bildungseinrichtungen hinzunehmen. Sie bemüht sich, die Ursachen für die Radikalisierung von Jugendlichen zu ergründen. Nach ihrer Analyse bilden vor allem Ausgrenzungserfahrungen, Einsamkeit und Perspektivlosigkeit den Nährboden für rechtsextreme Tendenzen. Um Heranwachsenden in psychischen Krisen wirksam helfen zu können, fordert die Konferenz daher einen konsequenten Ausbau der Schulsozialarbeit. »Wir benötigen mehr Fachkräfte an Schulen, die aufmerksam zuhören, problematische Entwicklungen frühzeitig erkennen und gezielt intervenieren«, betont ihr Appell.

»Projekte wie ›Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage‹ oder ›Demokratie leben‹ leisten unverzichtbare Arbeit – doch sie brauchen finanzielle Sicherheit. Ihre Existenz darf nicht vom Engagement Einzelner abhängen. Deshalb fordern wir eine dauerhafte Bundesförderung dieser Initiativen und eine Aufstockung der Mittel für demokratiestärkende Programme im Bundeshaushalt.«

Düll gibt zu bedenken, dass der gesellschaftliche Rechtsruck ein komplexes Phänomen darstelle, »für das es keine schnellen Lösungen gibt, die ad hoc über die politischen Entscheidungsträger eingeleitet werden können«. Bildung und Erziehung sind langfristig angelegt; das gilt ebenso für Demokratiebildung. Diese Einschätzung teilt auch die Bundesschülerkonferenz. Dennoch besteht sie darauf, dass die Problemlage klar benannt und mit entschlossenen Gegenmaßnahmen bekämpft wird.

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