Leipzig: Praktische Solidarität mit Palästinensern

Benefizkonzert und -diskussion für die Menschen in Gaza

  • Yaro Allisat
  • Lesedauer: 4 Min.
In Europa wächst die Empörung über Israels Kriegsverbrechen in Gaza. So protestierten am Sonntag in Den Haag Zehntausende gegen die Politik des niederländischen Kabinetts gegenüber Israel.
In Europa wächst die Empörung über Israels Kriegsverbrechen in Gaza. So protestierten am Sonntag in Den Haag Zehntausende gegen die Politik des niederländischen Kabinetts gegenüber Israel.

Während Israel seit Anfang März keine Hilfslieferungen nach Gaza lässt und in den vergangenen Tagen seine Militäroffensive massiv ausgeweitet hat, wollen Leipziger Organisationen Solidarität mit den Palästinensern zeigen. Die Partei Mera 25 hat am Sonntag gemeinsam mit anderen Gruppen ein Benefizevent im Leipziger Osten veranstaltet. Neben Konzerten von Künstler*innen aus der palästinensischen Diaspora und Infoständen fand auch eine Podiumsdiskussion mit den Aktiven der Gruppen Handala und Jüdisch-Israelischer Dissens (JID) statt.

Die Erlöse sollen an das »Muslims Around The World Project« gespendet werden, eine der wichtigsten humanitären Organisationen in Gaza. Gleichzeitig zeigte das Event eine sich wandelnde Stimmung in der linken Szene der sächsischen Metropole hin zu mehr Solidarität mit den Menschen in Gaza, von denen allein am vergangenen Wochenende Hunderte durch israelische Bombardements getötet worden waren.

Die Garage Ost in Leipzig ist voll, mehr als 300 Menschen sind gekommen. Unter ihnen ist Bissan Algalil (Name geändert). Sie ist Teil der in Leipzig aktiven propalästinensischen Gruppe Handala und eine der Podiumsteilnehmerinnen. Algalil kommt aus Gaza. Ihre Schilderungen wiegen schwer, wie die Bilder aus Gaza und der Westbank und die Nachrichten, dass Israel auch seine Bodenoffensive ausweitet, während es in der palästinensischen Enklave schon seit Monaten keine offiziell sicheren Zonen mehr gibt. Am Freitag, erzählt Algalil, sei einer ihrer Freunde getötet worden, während er Kaffee trank. Am Samstag, auf der Beerdigung dieses Freundes, seien zwei ihrer Cousins getötet worden. Doch sie will nicht, dass die Zuhörenden traurig sind – sondern wütend.

Auch Yuval Gal Cohen ist eine der Aktivistinnen, die sich in Leipzig seit Jahren für die Rechte der Palästinenser und gegen ihre Unterdrückung engagiert. Die israelische Staatsbürgerin und Jüdin verweigerte den Dienst in der israelischen Armee und war in der israelischen Linken aktiv. Nachdem sie vor fünf Jahren nach Leipzig gezogen war, gründete sie gemeinsam mit anderen Menschen die Gruppe Jüdisch-Israelischer Dissens.

»Wir dachten, die Linken hier wären unsere Verbündeten für Palästina, auf der Basis linker Werte wie Gerechtigkeit und Freiheit. Aber viele verbreiten die Propaganda des israelischen Staates.«

Yuval Gal Cohen Gruppe Jüdisch-Israelischer Dissens

Die strikt mit den Palästinensern solidarische Haltung des JID war gerade in Leipzig lange eine Minderheitenposition. Proisraelische, sich als antifaschistisch verstehende Gruppen dominierten den Diskurs, ihre Aktiven schüchterten mit den Palästinensern solidarische Menschen ein und besetzten den Großteil linker Räume. »Wir dachten, die Linken hier wären unsere Verbündeten für Palästina, auf einer Basis linker Werte wie Gerechtigkeit und Freiheit«, sagt Yuval Gal Cohen »nd«. Aber viele hörten den Aktiven von JID nicht zu oder versuchten gar, sie zum Schweigen zu bringen. »Sie verbreiten teils die Propaganda des israelischen Staates, gegen die ich als Linke in diesem Staat gekämpft habe.«

Die Aktivist*innen von Handala und JID, zumeist Frauen, sind in Leipzig die lautesten Stimmen der Palästina-Solidarität. Sei den brutalen Angriffen von Hamas- und anderen palästinensischen Milizionären auf Menschen in Israel am 7. Oktober 2023 und dem darauffolgenden Krieg Israels »gegen die Hamas«, durch den mindestens 55000 Menschen getötet wurden, wuchsen ihre Demonstrationen deutlich an.

Nahmen zu Beginn jeweils nur 100 bis 200 Menschen an ihnen Teil, so sind es aktuell bis zu 700. Das bewegt auch andere Gruppen: So hatte das feministische 8.-März-Kollektiv im vergangenen Jahr trotz Drucks proisraelischer Stimmen vor allem aus dem antifaschistischen Netzwerk »Leipzig nimmt Platz« und den Gewerkschaften Palästina-Solidarität zum Thema gemacht, ebenso dieses Jahr. Proisraelisch geprägte Gruppen und die Gewerkschaften veranstalteten eine eigene Demonstration.

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Vor rund zwei Jahren gründete sich in Leipzig die Gruppe Students for Palestine, die vornehmlich Bildungsveranstaltungen an der Universität Leipzig organisiert. Mit dem Wachsen der 2021 gegründeten Partei Mera 25 kommt ein weiterer propalästinensischer Akteur auch in Leipzig dazu.

Und auch in der Linkspartei lassen sich Veränderungen beobachten. »Unsere Sichtbarkeit wächst, doch die innerparteilichen Herausforderungen bleiben groß«, meint Tjark S., seit vielen Jahren Linke-Mitglied in der Stadt, zu »nd«. Über Jahre zeigte sich die Leipziger Linke strikt proisraelisch. Stadtrat Michael Neuhaus trug gar in der Öffentlichkeit ein T-Shirt mit den Symbolen der israelischen Streitkräfte, und Juliane Nagel, Landtagsabgeordnete und Stadträtin, kritisierte pro-palästinensische Gruppen immer wieder scharf und warf ihnen Antisemitismus vor.

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