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Aufatmen in Rumänien

Proeuropäer schlägt faschistoiden Favoriten in der Stichwahl

  • Edmond Jäger
  • Lesedauer: 4 Min.
Siegreich: Der rumänische Präsidentschaftskandidat Nicusor Dan spricht nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse zu seinen Anhängern.
Siegreich: Der rumänische Präsidentschaftskandidat Nicusor Dan spricht nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse zu seinen Anhängern.

»Es ist der Sieg von Tausenden und Abertausenden von Menschen, die (…) daran glauben, dass Rumänien sich in die richtige Richtung entwickeln kann.« Mit diesen Worten richtete sich Rumäniens künftiger Präsident Nicusor Dan in der Wahlnacht an seine Anhänger, die »Europa« und »Russland, Russland – Rumänien gehört nicht euch« skandierten.

Im Mittelpunkt der Nachwahlanalyse steht indes der Verlierer. Der rechtsradikale Politiker George Simion mit Hooligan-Hintergrund hat überraschend die Stichwahl um die rumänische Präsidentschaft verloren. Das Endergebnis spricht ihm 46,4 Prozent der Stimmen zu, seinem liberalkonservativen Kontrahenten Nicusor Dan dagegen 53,6 Prozent. Simion hatte die erste Runde so deutlich gewonnen, dass ihn Beobachter im In- und Ausland zum Favoriten für die zweite Runde auserkoren hatten. Auch die Umfragen hatten in den Tagen nach dem ersten Wahlgang seinen Sieg vorausgesagt. Erst unmittelbar vor dem zweiten Wahlgang schien eine mögliche Niederlage Simions überhaupt denkbar. Wie Dan es geschafft hat, das Ruder herumzureißen, wird noch ausführlicher untersucht werden müssen, doch einige wichtige Hinweise liegen schon vor.

Dans Hochburgen liegen im Norden und Westen

Detaillierte Nachwahlbefragungen wie man sie aus Deutschland kennt, gibt es in Rumänien nicht. Aufschlussreich ist allerdings die regionale und internationale Verteilung der Stimmen. In Rumänien selbst waren die zwei wichtigsten Hochburgen von Nicusor Dan der Norden und der Westen des Landes, das heißt, im weiten Sinne die historische Region Siebenbürgen zum einen und die Hauptstadt Bukarest zum anderen. In Bukarest mit seinen vielen Niederlassungen internationaler Unternehmen schien Simions antiwestliche Rhetorik nicht zu verfangen. Außerdem ist Nicusor Dan amtierender Oberbürgermeister der Hauptstadt.

In Siebenbürgen wiederum hat Dan in den Kreisen mit einer großen Zahl ethnischer Ungarn erdrutschartig gewonnen. Im Kreis Covasna beispielsweise, wo sich circa drei Viertel der Bevölkerung zur ungarischen Minderheit bekennen, errang Dan 84 Prozent der Stimmen. Das ist angesichts der jahrelangen antiungarischen Propaganda und Aktionen, die die politische Karriere Simions begleiten, kein Wunder. Andererseits hatte der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán sich vor einigen Tagen in einer scheinbaren Neutralitätserklärung so unkritisch gegenüber Simion geäußert, dass dies allgemein als kaum verstellte Unterstützung betrachtet wurde. Die unter der ungarischen Minderheit sehr einflussreiche Demokratische Union der Ungarn in Rumänien (UDMR), ansonsten ein wichtiger Verbündeter Orbáns, folgte dem überraschenden Kurs Orbáns nicht. Sie rief zur Wahl Dans auf.

Eine weitere, dritte Schwachstelle Simions war die Republik Moldau. Viele Moldauer besitzen die rumänische Staatsbürgerschaft. Eine der ersten politischen Forderungen Simions war der Anschluss Moldaus an Rumänien, weswegen er von den moldauischen Behörden mit einem Einreiseverbot belegt wurde. Seine Vereinigungsrhetorik kam nun bei der Wahl bei lediglich 12 Prozent der dortigen Wähler an. Das ist insofern überraschend, als die Aufnahme der rumänischen Staatsbürgerschaft eher bei solchen Moldauern beliebt sein dürfte, die sich Rumänien verbunden fühlen. Aber auch unter ihnen ist Simions Brachialnationalismus am Sonntag durchgefallen. Verglichen mit Siebenbürgen und Bukarest ist die Zahl der Wähler in dem kleinen Land jedoch nicht so ausschlaggebend.

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Die Anhänger Simions finden sich in ländlichen Kreisen, vor allem im Süden und Osten des Landes und in der Diaspora. Unter den Rumänen im Ausland liegt Simion mit 55,9 Prozent deutlich vorne. Besonders groß ist sein Vorsprung in den Ländern, in die in den vergangenen Jahren sehr viele rumänische Menschen zum Arbeiten ausgewandert sind. In Deutschland ist Simions Ergebnis mit 68 Prozent das stärkste, gefolgt von Österreich und Italien mit jeweils 66 Prozent.

Quadratur des Kreises in fünf Jahren

Eine sozio-ökonomische Erklärung ist naheliegend. Viele Rumänen arbeiten in Deutschland in prekären Jobs wie Fleischereien oder als Paketdienstfahrer. Obwohl das Gehalt in Deutschland deutlich über dem in der Heimat liegt, drückt die Wahl eines Anti-System-Kandidaten die Wut darüber aus, dass auch nach 35 Jahren Transformation Armut und Korruption nach wie vor systematisch sind. Gleichzeitig berichten rumänische Gastarbeiter häufig von dem Gefühl, an ihrem Arbeitsplatz das letzte Glied der Nahrungskette zu sein. Simion konnte offensichtlich davon profitieren, wenngleich dies nicht für einen Sieg gereicht hat.

Nicusor Dan hat nun fünf Jahre Zeit, für substanzielle Verbesserungen zu sorgen. Allerdings ist die Gefahr der Enttäuschungen vorprogrammiert. Denn der Präsident hat in Rumänien vor allem in der Außenpolitik Gestaltungsspielräume. In der Innenpolitik bestimmen Parlament und Minister den Kurs. Die Regierungskoalition war jüngst nach der ersten Runde auseinandergefallen. Dans erste Aufgabe wird es nun sein, eine neue Koalition zu schmieden. Mit großen Schnittmengen zwischen den infrage kommenden Parteien kann er dabei bei seinem außenpolitischen Kurs rechnen. Doch innenpolitisch türmt sich mit 9 Prozent ein bedrohliches Haushaltsdefizit auf. Dieses abzubauen, ohne das schwache soziale Netz zu zerschneiden, gleicht einer Quadratur des Kreises.

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