Reifenabrieb: Von der Straße in den Salat

Chemikalien aus Autoreifen könnten die Fruchtbarkeit stören und Krebs auslösen

  • Eric Breitinger
  • Lesedauer: 4 Min.
Über Bewässerung und Düngung gelangen Substanzen aus Autoreifen in Gemüsekulturen.
Über Bewässerung und Düngung gelangen Substanzen aus Autoreifen in Gemüsekulturen.

Gemüse und Salate enthalten häufig chemische Substanzen aus dem Abrieb von Autoreifen. Das zeigt eine kürzlich veröffentlichte Studie aus der Schweiz. Bislang war aufgrund von Tests nur bekannt, dass Blattsalate die chemischen Stoffe aufnehmen.

Forscher der Eidgenössischen Polytechnischen Hochschule in Lausanne untersuchten im Auftrag des Schweizer Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit je zehn Proben von Kopfsalat, Spinat, Kohl, Karotten, Kartoffeln, Zwiebeln, Kürbissen, Zucchini, Tomaten und Peperoni auf die elf gängigsten chemischen Substanzen, die in Autoreifen vorkommen. In modernen Reifen stecken Hunderte solcher sogenannten Additive. Die Industrie mischt sie dem Gummi bei, um ihre Reifen beispielsweise weicher zu machen, vor Flammen oder gegen Alterung zu schützen. Die Reifenhersteller machen aus ihren Mischungen jedoch in der Regel ein Geheimnis.

Diese Substanzen gelangen durch Reifenabrieb in die Umwelt – und letztlich in die Nahrungskette, wie die Studie zeigt. Demnach enthielt rund ein Drittel der Proben chemische Substanzen aus dem Reifenabrieb. Außerdem gab es in Blattgemüse wie Spinat oder Salat tendenziell mehr Abriebstoffe als in Wurzel- oder Fruchtgemüse. Die größten Mengen dieser Substanzen nehmen Konsumenten pro Tag über Kartoffeln auf, da davon vergleichsweise viel gegessen wird. Es folgen Kürbisse, Karotten und Spinat.

Laut der Studie machte es keinen nennenswerten Unterschied, aus welchem Land und von welchem Händler das Gemüse kam – oder ob die Produkte aus konventionellem oder aus biologischem Anbau stammten. Die Forscher hatten ihre Proben in Supermärkten, auf Wochenmärkten und in kleinen Läden gekauft. Sie stammten aus der Schweiz, Italien, Spanien und Frankreich und dabei sowohl aus konventionellem wie aus Bio-Anbau.

Die Westschweizer Forscher untersuchten auch Milch und Käse. Ergebnis: In sieben der 17 analysierten Milchproben und in allen drei Käseproben fanden sich ebenfalls Substanzen aus dem Reifenabrieb.

Doch wie schädlich sind die Substanzen aus den Autoreifen in Lebensmitteln? Studien an Mäusen und Hamstern zeigen, dass die Aufnahme solcher Chemikalien die Fruchtbarkeit stören kann und das Krebsrisiko erhöhen könnte. Es brauche hier mehr Forschung.

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Die Studie aus der Schweiz bestätigt frühere Studien des Zentrums für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaft der Universität Wien. Die Wiener Forschenden hatten zum Beispiel 28 Blattsalate untersucht und in zwei Dritteln mindestens einen Reifen-Zusatzstoff entdeckt. Die aus den Reifen stammenden chemischen Substanzen gelangen demnach vor allem durch Bewässerung mit aufbereitetem Abwasser und durch Klärschlamm als Dünger in die Böden – und von dort über die Wurzeln in die Pflanzen. Das Schweizer Bundesamt für Lebensmittelsicherheit nahm die Ergebnisse der Universität Wien vor zwei Jahren zum Anlass, ihr Forschungsprojekt zu Chemikalien aus Autoreifen zu lancieren.

Das Umweltbundesamt mit Sitz in Dessau teilt auf Anfrage mit, keine Daten zum Reifenabrieb in Deutschland zu erheben. In neueren Studien wird die Menge dieser Emissionen in Deutschland auf 60 000 bis 130 000 Tonnen pro Jahr geschätzt. Tests des Automobilclubs ADAC an Sommer- und Winterreifen ergaben, dass je vier Reifen pro 1000 Kilometer durchschnittlich rund 120 Gramm an Gewicht verlieren.

Wie aber lässt sich die Menge der Chemikalien aus den Reifen reduzieren? Das Umweltbundesamt erklärt: »Man müsste dazu zuerst die Verbreitungspfade besser verstehen.« Ein Forschungsteam der Technischen Universität Berlin zum Reifenabrieb ist da schon weiter: Projektleiter Matthias Barjenbruch, Professor für Siedlungswasserwirtschaft, sagte gegenüber »nd«, die Mengen ließen sich verringern, etwa indem Kehrmaschinen öfter besonders belastete Stellen reinigen. In Tests auf Berliner Straßen erwiesen sich Kurven und Stellen vor Ampeln als besonders belastet. Die Eintragsmenge ließe sich weiter durch leichtere Autos, weniger Autoverkehr, geringere Höchstgeschwindigkeiten und durch einen ruhigen Fahrstil senken. In Städten könnten in Gullys eingebaute, spezielle Straßenablauffilter verhindern, dass Reifenabrieb ungehindert über die Kanalisation in Flüsse und Bäche gelangt. Die Berliner Forscher testen derzeit einen Filter in Kopenhagen.

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