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Ein Kreisverkehr für den Castor
Hoch radioaktiver Atommüll soll noch in diesem Jahr quer durch Nordrhrhein-Westfalen rollen
Eine Baustelle an einem Kreisverkehr im münsterländischen Ahaus könnte das erste Zeichen sein, dass es jetzt wirklich ernst wird mit den 152 geplanten Castor-Transporten quer durch Nordrhein-Westfalen. 300 000 hoch radioaktive Brennelementekugeln aus dem 1988 abgeschalteten Forschungsreaktor Jülich sollen einmal quer durch NRW nach Ahaus transportiert werden.
In Jülich dürften die Castor-Behälter eigentlich schon seit 2013 nicht mehr stehen. Die Genehmigung für die Halle ist abgelaufen. Was mit dem Atommüll geschehen soll, darüber gibt es seit Langem Debatten. Eine Variante – der Bau eines Zwischenlageres in Jülich – scheint immer unwahrscheinlicher zu werden. Darauf weisen ebenjene am Montag begonnenen Bauarbeiten hin, die einen Kreisverkehr in Ahaus für die tonnenschweren Atommüll-Transporte ertüchtigen sollen.
Anti-Atom-Initiativen aus dem Münsterland nahmen die Bauarbeiten zum Anlass für ihren erneuten Protest gegen die Castor-Transporte. »152 Einzeltransporte mit enorm hohem Polizeiaufwand über die ohnehin maroden Autobahnen von NRW machen keinen Sinn. Sie gefährden nur die Öffentlichkeit und belasten die Polizei aufgrund der erheblichen Terror- und Sabotagegefahr noch stärker als bislang schon. Hoch radioaktiver Atommüll gehört nicht auf die Autobahn«, erklärte Marita Boslar vom Bündnis »Stop Westcastor«. Boslar hat eine klare Forderung, was statt der Transporte passieren soll: »Der Neubau eines modernen Zwischenlagers in Jülich ist die einzig vernünftige Option. Hier wurde
der hoch radioaktive Atommüll erzeugt. Nur hier können die Castor-Behälter im Bedarfsfall repariert werden. Eine Endlagermöglichkeit gibt es frühestens in einigen Jahrzehnten.«
Wie die Castor-Gegner*innen denken viele, das wurde auch am Montagabend im Ahauser Rathaus deutlich. Die bundeseigene BGZ (Gesellschaft für Zwischenlagerung), die das Atommüllzwischenlager in Ahaus betreibt, hatte zu einer Informationsveranstaltung eingeladen. Vertreter der BGZ stellten dabei das Lagerungskonzept vor. Von Guido Caspary von der Jülicher Entsorgungsgesellschaft für Nuklearanlagen (JEN) gab es klare Ansagen bezüglich der geplanten Castor-Transporte. Im Sommer rechne er mit der endgültigen Genehmigung. Dann gelte es nur noch, Absprachen mit der Polizei und anderen Beteiligten zu treffen. »Wir setzen alles daran, dass noch in diesem Jahr ein Transport stattfindet«, so Casparys Ansage. Bis 2027 wolle man dann mit allen Transporten fertig sein.
Gut eine Stunde stellten sich die Vertreter von BGZ und JEN dann noch den Fragen von Ratsmitgliedern und Bürger*innen aus Ahaus. Diese wollten etwa wissen, wie die Transporte gegen Terror abgesichert sind, ob die Zwischenlager Angriffe mit Kriegswaffen standhalten und wie lange die Brennelementekugeln schon in den Behältern lagern.
Auf die letzte Frage – teilweise seit 1993 –, gab es konkrete Antworten. Auf andere nicht. Auch Fragen nach einem Zwischenlagerbau in Jülich wurden immer wieder gestellt. Zum Ende der Veranstaltung antwortete JEN-Vertreter Guido Caspary dann emotional. Er beschäftige sich seit 2007 mit dem Thema und habe »so ’ne Krawatte«; in den Jahren seien »25 Mal die Pferde gewechselt« worden. Für ihn sei es kein Problem ein Zwischenlager zu bauen. Aber es sei nun mal anders entschieden worden. Bei den Transporten sehe er auch »kein Risiko«.
Was bei der Entscheidung für die Transporte und gegen den Neubau eines Zwischenlagers in Ahaus ausschlaggebend war: die Kosten. Neue Erkenntnisse liefert die Antwort auf eine Kleine Anfrage des Linke-Bundestagsabgeordneten Fabian Fahl. »Die Priorisierung der Ahaus-Option erfolgt offensichtlich aufgrund kurzfristiger Kostenrechnungen und politischer Motive«, kritisiert der Bundestagsabgeordnete. »Der Beschluss des Haushaltsausschusses des Bundestages, der die Bundesministerien anweist, den Abtransport nach Ahaus zu bevorzugen, ist der zentrale Punkt dieser Entwicklung.« Fahl verweist auf einen Beschluss des Haushaltsausschusses des Bundestags aus dem Jahr 2022. In der Antwort der Bundesregierung ist dabei ein Nebensatz brisant. Die Variante mit den Transporten nach Ahaus sei vorzuziehen, »falls das Land Nordrhein-Westfalen die Mehrkosten des Neubaus in Jülich nicht tragen möchte«.
Dieser Nebensatz lässt Nordrhein-Westfalens stellvertretende Ministerpräsidentin Mona Neubaur von den Grünen schlecht aussehen. Als Wirtschaftsministerin ist sie die oberste Atomaufseherin im Bundesland. Im Koalitionsvertrag zwischen CDU und Grünen wurde festgeschrieben, dass man Atomtransporte »vermeiden« wolle. In den vergangenen Monaten hat Neubaurs Ministerium allerdings nicht viel dafür getan, Castor-Transporte zu vermeiden. Das Ministerium verneinte, einen Einfluss auf die Transportgenehmigung zu haben. Dass man mit Landesmitteln dafür sorgen könnte, dass es gar keine Transporte geben wird, erwähnte man nicht. Die SPD im Düsseldorfer Landtag hat nun angekündigt, der Frage nachzugehen.
Auf Bundesebene kritisiert der Linke-Abgeordnete Fabian Fahl die Entscheidung des Haushaltsausschusses, nicht die nötigen Mittel für den Neubau in Jülich freigegeben zu haben. »Wir fordern die Aussetzung der Transporte nach Ahaus und die konsequente Weiterverfolgung der Neubauoption in Jülich«, bekräftigt Fahl. »Kurzfristig mag dies teurer erscheinen, aber langfristig ist es die sicherere und nachhaltigere Lösung.«
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