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Ausstellung »Sonnensucher«: Speisen wie die Götter
Die Ausstellung »Sonnensucher!« in Zwickau zeigt sozialistische Kunst der Arbeit jenseits von Propaganda
Wenn es um Auftragskunst in der DDR geht, fällt schnell das abfällige Wort »Unkunst«. Das sagen meist jene, die nicht wissen, worüber sie reden, aber die dennoch viel zu sagen haben, etwa als Kuratoren großer Ausstellungen oder Lehrstuhlinhaber an Universitäten.
Paul Kaiser hat dem größten Kunstsammler und -mäzen in der DDR, der Wismut, bereits 2013 eine wichtige Ausstellung in der Neuen Sächsischen Galerie in Chemnitz gewidmet. Jetzt kuratierte er eine noch umfassendere in der alten Bauwollspinnerei in Zwickau. Die legendäre Kunstsammlung der Wismut zu zeigen, stößt jedoch auf vereinigungsbedingte Widrigkeiten: Sie war fast vollständig verschwunden! Was in Kantinen, Verwaltungsgebäuden, Ferienheimen oder Polikliniken hing, umfasste einst etwa 10 000 Werke.
Bei der Abwicklung der Wismut jedoch spielte die Kunst keine Rolle – oft wurden die Bilder einfach mit auf den Müll geworfen, wenn Gebäude geräumt wurden. Nur dem resoluten Einsatz einzelner Maler in den frühen 90er Jahren ist es zu verdanken, dass ein Teil gerettet wurde. Inzwischen geht man von einem gesicherten Bestand von 4200 Werken von 475 Künstlern aus, die heute zur Wismut Stiftung GmbH gehören. Was aus diesem immer noch riesigen Bestand werden soll, ist völlig offen. Für sachgemäße Lagerung, gar Restaurierung fehlt das Geld.
Da es auch zahlreiche Mal- und Grafikzirkel in der Wismut gab, waren die Urteile über Kunst bald auf hohem Niveau.
Warum ist diese Sammlung von so großer Bedeutung? Erstens, weil sie ein Spiegel der DDR-Geschichte ist, aus dem besonderen Blickwinkel der Wismut, dem Staat im Staate. Und zweitens, weil sich hier ein ästhetischer Wandel innerhalb der Darstellung der Arbeitswelt in der DDR in einem Zeitraum von über 40 Jahren zeigen lässt, der nicht Vorurteilsbelastete verblüfft. Es zeigt sich, dass es sich hier um einen geschützten Raum für vielfältigste Kunstformen handelte, nicht bloß um eingeforderte Produktionsbebilderung. Die gab es nur am Anfang, und auch da offenbarte sich bereits eine Vielzahl individueller Handschriften.
Die Nicht(be)achtung der Kunst der Wismut ist besonders fatal, weil die Geschichte der Wismut in der DDR immer etwas Geheimnisvolles hatte, man wenig darüber wusste – daran hat sich bis heute kaum etwas geändert. Die Verschleierung begann bereits mit dem Namen Wismut, einem chemischen Element, um das es hier jedoch nicht ging. Man förderte im Erzgebirge ab 1947 atomwaffenfähiges Uran, für das Atomwaffenprogramm der Sowjetunion – und das um jeden Preis.
Anfangs unterstand die Staatliche Aktiengesellschaft (SAG) Wismut dem sowjetischen Innenministerium, die Sowjets kontrollierten den streng von der Außenwelt abgeschirmten Uranabbau. Fast 60 Prozent des Urans für sowjetische Atomwaffen kamen aus dem Erzgebirge. Damit war die DDR neben den USA und Kanada der weltgrößte Uranförderer. Ende der 40er Jahre arbeitete hier fast eine halbe Million Menschen, oft wurden sie zwangsverpflichtet. 70 Arbeiter wurden bis 1953 wegen (vermeintlicher oder tatsächlicher) Sabotage oder Spionage von sowjetischen Militärtribunalen zum Tode verurteilt und hingerichtet. Die Wismut: ein Brennpunkt des atomaren Wettrüstens mit all seinen Begleiterscheinungen.
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1954 wurde die Wismut in eine Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft (SDAG) überführt, der Kurs moderater. Statt Zwangsarbeit lockte man nun mit hohen Gehältern und Sonderversorgung. 1989 arbeiteten hier immerhin noch 25 000 Beschäftigte. Offen dokumentieren konnte man die Arbeit im Hochsicherheitsbereich Uranbergbau bis zum Schluss nicht, das gibt der bildenden Kunst eine so besondere Bedeutung, wenn es um die Stellung der Wismut innerhalb der DDR-Gesellschaft geht. Konrad Wolf hatte 1958 bereits mit »Sonnensucher« eine filmische Annäherung an das Thema Uranbergbau gewagt, die dann prompt verboten wurde.
Nun also die gleichnamige Ausstellung »Sonnensucher« in Zwickau. Von Carl-Heinz Westenburger sehen wir die Federzeichnung »Schacht Johann Georgenstadt« aus dem Jahr 1956. Ein umzäuntes Areal, in dem in der Mitte ein provisorisch wirkender Turm emporragt – ein Förderturm, den man hier jedoch auch für den Wachturm eines Straflagers halten könnte. Da sind die bildnerischen Zeugnisse noch rar.
Mit dem Bitterfelder Weg ab 1959 wurden die Bilder dann nicht nur zahlreicher, sondern auch sehr schnell vielfältiger. Die Künstler standen tatsächlich im engen Kontakt mit den Arbeitern der Wismut. Man besuchte sich abwechselnd im Maleratelier oder im Bergwerk (ab 1970 durften Künstler auch mit in die Schächte einfahren); man war auf dem Laufenden über die Arbeit des jeweils anderen. Da es auch zahlreiche Mal- und Grafikzirkel in der Wismut gab, waren die Urteile über Kunst bald auf hohem Niveau.
Davon zeugt ein Dokumentarfilm über die Arbeit von Frank Ruddigkeit an seinem Triptychon »Arbeitstag eines Bergmanns« (1986 bis 1989). Jedes Klischee von sozialistischem Realismus wird hier wie mit Hammerschlägen zerstört. Da zeigt sich die Nähe zur Leipziger Schule mit den expressiv-symbolistischen Einflüssen von Willi Sitte, Bernhard Heisig oder Wolfgang Mattheuer. Die Arbeiter wirken bei Ruddigkeit wie aus der Tiefe des Berges ins gleißende Licht emporgerissen. Wo sind sie gelandet – im Schützengraben einer Schlacht? Ruddigkeit lässt die apokalyptische Drohung des Urans aufscheinen.
Zerstörung ist ein wichtiges Thema für die Maler, ebenso wie die Hoffnung auf Rettung. Ein typischer Wismut-Maler war Werner Petzold, der zum formalen Erneuerer des Arbeiterbildes wurde. Keine Heroen der Tiefe, geschwärzt im Kampf mit Erz und Staub, sondern Kybernektiker auf Expedition ins Reich der Zahlen und Formeln, so steht die »Brigade Rose« von 1970 hier vor uns. Petzold floh 1983 in den Westen, wo er sich dann als Altarbildmaler einen Namen machte.
Der hier zu besichtigende Wandel der Arbeiterporträts ist frappierend. Während Carl Kuhn 1965 den legendären Vorzeigearbeiter der Wismut Sepp Wenig noch in der Pose des Patriarchen malt, zeigt uns Siegfried Otto-Hüttengrund 1987 den Brigadier Günter Franke als verschlossenen, höchst skeptischen Menschen, der statt nach vorn nach unten schaut und eine Aura der Distanz verbreitet. Das ist aus dem Helden der Arbeit, wie ihn der Bitterfelder Weg einst propagierte, geworden, wenn auch aus dem gleichen Boden erwachsen: ein Antiheld, der sich allen Rollen, die er spielen soll, rigoros verweigert.
Diese umfangreiche Ausstellung ist eine Art barocke Wunderkammer. Man trifft auf immer neue Namen und Sujets. So malt der Russe Viktor Makajew 1985 »Die Pyramiden des 20. Jahrhunderts« – riesige Abraumkegel. Mehr ist nicht auf dem ins Dämmerlicht getauchten Bild. Von der 1948 in Sofia geborenen Alexandra Müller-Jontschewa (die zu einer der großen Entdeckungen dieser Ausstellung wird) kaufte die Wismut sogar 1979 ein Selbstbildnis an.
Müller-Jontschewa steigerte die Erzgebirge-Landschaft regelmäßig ins Surrealistische, eine dunkle Drohung, aus der es geradezu nach Erlösung schreit. Das religiöse Moment, das bei ihr immer mitschwingt, präsentiert sich dann ungeschützt ausgerechnet in einem Sportbild. In »Boxer in den Seilen« zeigt Müller-Jontschewa 1983 Jesus als Gekreuzigten – mit Boxhandschuhen. Das ist keineswegs ironisch gemeint, sondern porträtiert einen Geopferten, der bereits entrückt wirkt. Derartig überraschend erscheint bei den Wismut-Malern die Art, wie man mit bestimmen Sujets umgeht – und die Kunstverantwortlichen der Wismut müssen »ihren« Malern geradezu blind vertraut haben. Das macht es heute so interessant.
Vor den großen Wandbildern Kurt Hanfs stehe ich verblüfft. Nur einzelne Segmente des zwei Meter hohen und elf Meter breiten Bildes »Aus der Tiefe fördern wir die Sonne« von 1971 können hier gezeigt werden. Allein die Technik ist erstaunlich: Öl auf Aluminium! Kühl glänzt der Untergrund durch die Farben hindurch. Das Wandbild war ein Auftrag für den Speisesaal des Betriebskulturhauses Schmirchau. Klug ins Metaphorische gesteigerte Szenen, märchenhafte Collagen: eine Komposition, in der sich Leben und Arbeit auf freudvolle Weise verbinden. Die Utopie darin: So speisen die Götter – oder die Arbeiter im Sozialismus!
»Sonnensucher! Kunst und Bergbau der Wismut«, Historische Baumwollspinnerei, Pöblitzer Str. 9 in Zwickau, bis 10. August.
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