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Deutscher Bauernkrieg: Günter Voglers opulenter Überblick
Im Ständestaat gab es viel mehr Widerstand als man meint – zeigt Günther Voglers neues, postumes Standardwerk
Bis kurz vor seinem Tod hat er den Druck seines letzten Buches begleitet. Dessen Erscheinen mitzuerleben, war ihm nicht mehr vergönnt. Günter Vogler starb am 19. Januar dieses Jahres. Das Vorwort hatte er bereits im Sommer vergangenen Jahres verfasst. Darin freut er sich über die Vielzahl der bereits zum 500. Jahrestag des Deutschen Bauernkrieges erschienenen Publikationen und eröffneten Ausstellungen. Zugleich mahnt der renommierte Professor für Frühe Neuzeit und international anerkannte Thomas-Müntzer-Biograf: »Es sollte vermieden werden, den Bauernkrieg isoliert zu betrachten.« Denn es gab eine Vielzahl von widerständigen Aktionen zuvor und im Anschluss, nicht nur in deutschen Landen, sondern europaweit. Dies belegt er in seiner nun posthum erschienenen, bereits jetzt als Standardwerk zu bezeichnenden Arbeit.
Vogler, Jahrgang 1933, der an der Humboldt-Universität zu Berlin studierte, promovierte und jahrzehntelang lehrte, zitiert eingangs Ernst Bruckmüller, Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte in Wien, dass es sich beim sogenannten Großen Deutschen Bauernkrieg »mitnichten um eine reichsweite Bewegung handelte: Militärisch waren es miteinander kaum oder gar nicht in Beziehung stehende ›Haufen‹ in Südwestdeutschland, in Franken und in Thüringen.« Warum spielte der Bauernkrieg dennoch im historischen Bewusstsein und in der Forschung eine derart prominente Rolle? Bruckmüller verweist auf die prominenten Interpreten, die er fand, beispielsweise Leopold von Ranke und Friedrich Engels. Deren Positionen konnten freilich kaum kontroverser sein.
Voglers Monografie füllt nun eine Lücke in Forschung und Publizistik, sie bietet erstmals einen Überblick über bäuerliche Revolten und Aufstände im »Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation« und in anderen europäischen Ländern, deren Zahl wesentlich größer als bisher angenommen war.
Zuerst betrachtet Vogler aber die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Bauern. Jedes Dorf wies verschiedene Siedlungsformen auf. Gemeinsam war allen Landsleuten, was der Humanist Johannes Böhm 1520 notierte: »Ihre Lage ist ziemlich bedauernswert und hart. Sie wohnen abgesondert voneinander, demütig, mit ihren Angehörigen und ihrem Viehbestand. Hütten aus Lehm und Holz, wenig über die Erde emporragend und mit Stroh gedeckt sind ihre Häuser. Geringes Brot, Haferbrei oder gekochtes Gemüse sind ihre Speise, Wasser und Molken ihr Getränk. Ein leinener Rock, ein Paar Stiefel, ein brauner Hut sind ihre Kleidung.«
Die Bauern stellten in der ständischen Ordnung die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung, je nach Region 60 bis 90 Prozent, so Vogler. Und von den drei Geißeln der Zeit, Pest, Hunger und Krieg, waren sie am stärksten betroffen. Zumeist waren sie von einem Grundherren abhängig. Das implizierte nicht nur wirtschaftliche Ausbeutung, sondern auch rechtliche Unfreiheit. Wenn die Willkür der weltlichen und geistlichen Obrigkeiten das Maß der Erträglichkeit überschritten, kam es zu Revolten, Aufständen und Bauernkriegen.
Der deutsche Bauernkrieg reiht sich ein in die Vielzahl der Bauernkriege in Europa und weist doch ein besonderes Profil auf.
Wenn wundert’s, dass eine der frühesten überlieferten Erhebungen im Sachsenland stattfand? 841/42 erhoben sich die »Stellinga«, was Gefährten oder auch Genossen bedeutet, nicht nur gegen die eigenen Adeligen, sondern auch gegen die damalige fränkische Fremdherrschaft. Danach herrschte erst mal Friedhofsruhe, bevor es im 12./13. Jahrhundert zu Erhebungen an der Nordseeküste kam, wo die Bauern »genossenschaftlich« zusammen lebten und arbeiteten, was den Landesherren missfiel. Selbst der Papst im fernen Rom mischte sich ein. Gregor IX., ein unnachsichtiger Gegner von Häresien, der auch gern mal selbst einem inquisitorischen Gericht vorstand, wetterte gegen den »Teufel im Bremer Sprengel«, gegen die »gewalttätigen und gottlosen Menschen, die man Stedinger nennt«. Der Heilige Vater hetzte die Kreuzfahrer gegen jene. Doch die Aufständischen errangen am 6. Juni 1233 einen famosen Sieg über die Gotteskrieger. Diese rückten dann aber mit Panzerreitern an. Die Stedinger wurden »von Lanzen durchbohrt, von Schwertern getroffen, von den Füßen der Pferde zertreten. Und so stark kam die Hand des Herrn über sie, dass in kurzer Zeit 6000 derselben zugrunde gingen«, heißt es in einem zeitgenössischen Rapport.
1336 bis 1339 lehrte der sogenannte Armlederaufstand den Herrschenden das Fürchten. In Franken ausgebrochen, weitete sich die Erhebung bis in den Elsass aus. Missernten und Hungersnöten entsprungen, wandte sie sich auch gegen die hohen Zinsen. »Der Aufstand belegt, welche Folgen die rasch anwachsende Geldwirtschaft nach sich zog«, schreibt Vogler, »und auf welche Weise sich diejenigen zur Wehr setzten, die darunter litten«. Schon damals wurden die Juden zum Feindbild erklärt: »Die führenden Schichten der Städte waren daran interessiert, dass sich der Unmut der Aufständischen ausschließlich gegen die jüdischen Geldverleiher richtete. Zumal sie hofften, sich deren Eigentum aneignen zu können.« In Göttingen kam es zu einem Massaker an Juden. Wer denkt da nicht an die NS-Zeit, die schamlose Beraubung der deportierten jüdischen Nachbarn?
Dann betritt in Böhmen Jan Hus die Bühne, Sohn eines Bauern. Seit 1402 charismatischer Prediger der Bethlehemskapelle in Prag, beeinflusst vom englischen Reformator John Wiclif, strebte er »nach einer gerechten Gesellschaft und gewann eine wachsende Zahl von Anhängern«. Auch dies ein großes Verdienst der Vogler’schen Darstellung: die gegenseitige ideelle Beeinflussung der Reformatoren und Revolutionäre zu veranschaulichen. Doch wie vielen »Aufrührern« und »Verschwörern« vor und nach ihm sollten auch Hus Verrat und Verderb ereilen. Ein von König Sigismund initiiertes und von Papst Johannes XXIII. nach Konstanz einberufenes Konzil sollte über seine Lehre befinden. Obwohl ihm freies Geleit zugesichert war, wurde Hus kurz nach seiner Ankunft in der Stadt am Bodensee in Ketten gelegt und zum Widerruf aufgefordert, den er verweigerte, um dann als Ketzer zum Feuertod verurteilt zu werden.
Die Empörung über diese herrschaftliche Niedertracht war groß. Die Hussitenkriege von 1419 bis 1434 blieben nicht auf Böhmen und Mähren begrenzt, griffen auch auf Nachbarregionen über. »Bemerkenswert« nennt es Vogler, dass »fünf Kreuzzüge fehlschlugen, ehe die Taboriten niedergeworfen werden konnten«. Jene hatten auf einer Anhöhe, die sie in Anlehnung an einen Berg in Galiläa Tabor tauften, eine Siedlung nach urchristlichem, man könnte auch sagen nach urkommunistischem Vorbild gegründet.
Die Agrarkrise im 14./15. Jahrhundert motivierte in verschiedenen europäischen Regionen erneut bäuerlichen Widerstand, so im heutigen Italien, in Spanien, der Schweiz, Flandern, Frankreich und England, Dänemark, Schweden und Finnland sowie Ungarn und Transsilvanien. In Ungarn erwuchs aus einem geplanten Kreuzzug gegen die Türken ein Aufstand gegen die dünkelhaften Magnaten des Landes. Er ging als Dózsa-Aufstand in die Annalen der Geschichte ein, benannt nach dem ungarischen Kleinadeligen und Anführer György Dózsa. Ein besonderes Merkmal hier: Dem Aufstand schlossen sich auch viele Geistliche an. Denn »jede widerständige Aktion, gleich in welcher Form sie uns begegnet, weist ihre Eigenart auf«, so Vogler.
In deutschen Landen ging es wieder los mit den Bundschuhverschwörungen. Zum ersten Mal wählten 1439 Bauern in Schliengen im Fürstbistum Basel den Bundschuh, die traditionelle bäuerliche Fußbekleidung, als Zeichen ihrer Rebellion. Die Artikel der Bundschuh-Bewegung verlangten die Abschaffung des »Kirchenzehnten« und anderer Zölle, die Beseitigung adeliger Vorrechte bei der Nutznießung der Wälder und Fischgründe. Die Losung der Verbündeten: »Gott grüß dich, Gesell! Was ist dir für ein Wesen?« Die Antwort hatte zu lauten: »Wir mögen von den Pfaffen und Adel nit genesen!«
1476 erweckte der Musikant und Laientheologe Hans Böhm, genannt der »Pfeifer von Niklashausen« die Aufmerksamkeit des Volkes wie der Obrigkeit. Ob ihrer Habgier prophezeite er Adel und Klerus »baldigen Untergang durch ein furchtbares Strafgericht Gottes«. Er forderte die Abschaffung aller Abgaben, Frondienste und Standesunterschiede. Jeder sollte seinen Lebensunterhalt mit eigener Hände Arbeit verdienen, Felder, Wiesen, Weiden, Wälder und Gewässer seien in die Allmende, Gemeinbesitz, zurückzuführen. Diese kommunistisch anmutenden Visionen begeisterten das Volk. Darum wurde Böhm verhaftet, verhört und auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Die Schriftstellerin Alex Wedding (Grete Weiskopf) hat diesem kühnen Mann ein Kinderbuch gewidmet, »Die Fahne des Pfeiferhänsleins«, das in der DDR sozialisierte Bürger und Bürgerinnen kennen dürften.
»Das Auftreten von Hans Böhm fiel in eine Zeit, in der Reformen im geistlichen und weltlichen Bereich überfällig waren«, konstatiert Vogler. Er erinnert an weitere herausragende Persönlichkeiten, so Joß Fritz, ein Leibeigener in Oberschwaben, begabt an Einfallsreichtum und Überzeugungskraft. Ihm setzte übrigens der westdeutsche Liedermacher Franz Josef Degenhardt mit einer Ballade ein Denkmal: »Und wieder auf den Straßen Joß Fritz, gejagt, gesucht, versteckt./ Und die ihn hören und berühren, sind aufgerührt und angesteckt./… Laßt nicht die roten Hähne flattern, ehe der Habicht schreit./ Laßt nicht die roten Hähne flattern vor der Zeit.«
Die Zeit scheint angebrochen 1524, angekündigt von Astronomen/Astrologen, darunter Leonhard Rynman: »Die pawern vnd daz gemayn volck von vil orten … sich zusammen thun vnd erheben vber vnd wider jre Köning, Fürsten vnd Herschaften gaistlicher vnd weltlicher Stend.« Für den marxistischen Historiker Günter Vogler war solche Entwicklung nicht überraschend, »denn seit Langem waren in verschiedenen Regionen des Reichs die soziale Lage und der rechtliche Status ländlicher Untertanen Eingriffen und Angriffen von Grund- und Landesherren ausgesetzt … Es war folglich nur eine Frage der Zeit, wann das Feuer sich entzünden würde.«
Nachdem Vogler die Ereignisse des deutschen Bauernkrieges skizziert und diskutiert hat, blickt er auf nachfolgende europäische Erhebungen und Aufstände, so den »Keulenkrieg« der finnischen Bauern und die Erhebungen in Russland unter Stepan Rasin 1670/71 und Jemeljan Pugatschow 1773/75. Wichtig ist Vogler aber vor allem die historische Einordnung und Deutung des deutschen Bauernkrieges, der von Ranke 1839 als Entladung von »Hass und Rachsucht« verurteilt wurde: »Und mit dieser Wut traf nun der Fanatismus der schwärmerischen Predigt zusammen, der … sich berufen glaubte, Blut zu vergießen.« Einige Jahre später legte Wilhelm Zimmermann mit seinem Werk »Allgemeine Geschichte des großen Bauernkrieges« erstmals eine quellenfundierte, den Ideen der Aufklärung und des Liberalismus verpflichtete Publikation vor. Der Bauernkrieg war für ihn Ausdruck eines lange währenden Ringens, um »dem Volke die Freiheit, dem Reich Gottes die Herrschaft auf Erden zu erkämpfen«, würdigt Vogler diesen protestantischen Theologen, Historiker und Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung von 1849, auf den sich ost- wie westdeutsche Historiker positiv beziehen. Friedrich Engels wiederum wollte mit seiner Schrift »Der deutsche Bauernkrieg« von 1850 nach der gerade niedergeschlagenen Revolution von 1848/49 zurückliegende revolutionäre Traditionen bewusst machen.
Interessant ist, wie Vogler die verschiedenen Begrifflichkeiten, auch im Englischen und Französischen, vergleicht und kommentiert: Wie soll man diese Auseinandersetzungen nennen? »Unruhen und Tumulte reflektieren einen Zustand der Unzufriedenheit, ohne dass sofort abzusehen ist, welche Folgen sich daraus ergeben werden. Rebellion und Revolten signalisieren den Übergang einer kleinen Gruppe beziehungsweise einer oder mehrere Gemeinden in einer Region oder einem kleinen Territorium zu offenem Widerstand, der sich gegen die unmittelbare Obrigkeit richtet. Aufstände und Bauernkriege erfassen ein größeres Territorium, in der eine große Zahl Aufständischer ihre unterschiedlich motivierten Interessen verfolgt.«
Die ehemalige Studentin, die des Professors Vorlesungen und Seminare an der Humboldt-Universität als spannend und lebhaft in bester Erinnerung hat, spürt, dass ihn vor allem definitorische Exaktheit umtreibt. Vielleicht auch ob seiner Mitherausgeberschaft bei der »Illustrierten Geschichte der deutschen frühbürgerlichen Revolution«, die er zu DDR-Zeiten mit Adolf Laube und Max Steinmetz innehatte.
Am Ende des sorgsam edierten, gediegen aufgemachten und mit zahlreichen historischen Stichen, Grafiken, Flugschriften, Gemälden und aktuellen Fotos von Stätten des Geschehens bereicherten Bands kehrt der Autor auf Bruckmüllers Zweifel am Nimbus der Einzigartigkeit des deutschen Bauernkrieges zurück. Günter Vogler schreibt: »Das Fazit könnte lauten: Der Bauernkrieg der Jahre 1524 bis 1526 reiht sich einerseits in die Zahl der Bauernkriege in Europa ein, mit denen er vieles gemeinsam hat. Er hebt sich andererseits von diesen ab, indem er angesichts des Zusammenfalls mit der Reformation und deren Einflüssen ein spezifisches Profil aufweist.«
Günter Vogler: »Als der Bauer aufstand im Land«. Bäuerlicher Widerstand als Kampf für Rechte und Freiheiten vom 9. bis zum 18. Jahrhundert. Gütersloher Verlagshaus, 320 S., geb., 79 €.
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