Bahn reduziert Bauprogramm für Strecke Berlin-Hamburg erneut

Leistungsfähigere Signaltechnik wird nur noch vorbereitet – kaum Kapazitätsgewinn

Hier in Hessen zeigten sich Probleme beim Einbau der Signaltechnik: Im Oktober auf der Riedbahn-Baustelle am Bahnhof Gernsheim
Hier in Hessen zeigten sich Probleme beim Einbau der Signaltechnik: Im Oktober auf der Riedbahn-Baustelle am Bahnhof Gernsheim

Noch etwas über zwei Monate, dann beginnt das Grauen für Pendlerinnen und Pendler entlang der Bahnstrecke Berlin-Hamburg. Ab 1. August wird die knapp 280 Kilometer lange Strecke für neun Monate gesperrt werden. Täglich rund 50 000 Fahrgäste im Nah- und Fernverkehr mit Start oder Ziel in Berlin und Brandenburg werden betroffen sein. Teilweise verdreifachen sich Fahrzeiten, weil auf vielen Verbindungen einzig Ersatzbusse zur Verfügung stehen werden.

Zuletzt gab es Sorgen, ob sich überhaupt Auftragnehmer für alle Baulose finden. Doch vor einigen Tagen meldete die Deutsche Bahn Vollzug. »Auch für den letzten Bauabschnitt zwischen Hamburg-Rothenburgsort und Büchen sind nun Firmen gebunden«, meldete der Staatskonzern. Im ersten Anlauf war das nicht gelungen.

Keine neue Signaltechnik

»Die Neuausschreibung im Herbst vergangenen Jahres hat für mehr Wettbewerb gesorgt und wir haben deutlich bessere Angebote von den Bauunternehmen erhalten«, erklärte Philipp Nagl, Chef der Bahn-Netztocher DB Infrago. Das Projekt sei voll im Zeit- und Kostenplan, erklärte er weiter. Der war schon ordentlich nach oben angepasst worden – von 1,7 auf inzwischen 2,2 Milliarden Euro.

Eine Erklärung dafür, dass die Kosten nicht noch weiter gestiegen sind, dürfte der vollständige Verzicht auf den Einbau des aktuellen europäischen Zugsicherungssystems ETCS sein. Ursprünglich hätte die komplette Strecke parallel mit den konventionellen Systemen PZB und LZB ausgerüstet werden sollen, sowie mit ETCS, für das keine Signale an der Strecke benötigt werden. Zuletzt war noch die Ausstattung von zusammengenommen 67 Kilometern zwischen Hamburg und Büchen sowie Berlin und Nauen geplant.

Bahn von Komplexität überfordert

Auch das ist gestrichen, womit der erhoffte Kapazitätsgewinn im dichten Umlandverkehr der beiden Metropolen vorerst nicht kommt. Die neu gebaute Technik werde auf ETCS vorbereitet, heißt es. »Beim Pilotprojekt Riedbahn hat sich gezeigt, wie komplex und zeitaufwändig die Montage und Abnahme der neuen Technik als Doppelausrüstung mit den konventionellen Sicherungssystemen ist«, wird als Begründung genannt. Die Riedbahn zwischen Frankfurt am Main und Mannheim war 2024 die erste Strecke, die die Generalsanierung durchlaufen hat. »Eine Ausrüstung mit ETCS wird in den frühen 2030er Jahren erfolgen«, so der Ausblick.

Auf Deutschlands meistbefahrener Städte-Direktverbindung Berlin-Hamburg erneuert die DB während der neunmonatigen Bauphase unter anderem mehr als 180 Kilometer Gleise und über 200 Weichen. Sechs neue sogenannte Überleitstellen, also Weichenverbindungen zwischen den Richtungsgleisen, sollen mehr Flexibilität unter anderem durch zusätzliche Überholmöglichkeiten von langsameren Zügen bieten. Das ist immerhin doppelt so viel, wie »nd« kürzlich mit Verweis auf interne Informationen berichtet hatte. Allerdings war ursprünglich der Bau von mindestens 20 neuen Weichenverbindungen vorgesehen.

Nachdem die Deutsche Bahn das »Bauvolumen der XXL-Sperre noch weiter reduziert« habe, sei dem Netzwerk Die Güterbahnen »schleierhaft«, wie die lange Sperrung von neun Monaten zu rechtfertigen sei, sagt in Reaktion darauf deren Geschäftsführer Peter Westenberger. »Für alle Eisenbahnen werden durch die Vollsperrung kommerzielle Schäden in Millionenhöhe entstehen, da dürfen wir eine solide Begründung erwarten«, unterstreicht er. Der teilweise über Köln und den Rhein umzuleitende Güterverkehr zwischen dem Hamburger Hafen und Tschechien solle ein Dreivierteljahr hunderte Umleitungskilometer fahren. Es fehle auch ein Konzept, wie der Verkehr gelenkt wird, wenn auf einer Umleitung ebenfalls ein Störfall eintritt.

»Unzählige Male haben wir mündlich wie schriftlich bei der DB Infrago um Auskunft zu diesen Unstimmigkeiten gebeten – erfolglos«, so Peter Westenberg weiter. Nun liege der Ball im Verkehrsministerium. »Die neue Regierung darf nicht das gleiche blinde Vertrauen in das DB-Konzept zur Sanierung mit Vollsperrungen setzen wie ihre Vorgänger«, sagt der Lobbyist der privaten Güterbahnen.

Erweiterte Instandhaltung statt Generalsanierung

»Nach dem derzeitigen Stand der Planung und der Investitionsvorbereitung wird keine Generalsanierung erfolgen, sondern nur eine erweiterte Instandhaltung mit vereinzelten Überleitstellen in abgemilderter Form«, urteilte kürzlich der Bauleiter eines Bahnbau-Unternehmens. Sein Name ist »nd« bekannt.

Dass bei der Signalausrüstung, den Gleisverbindungen und auch ursprünglich geplanten neuen Ausweichgleisen für bis zu 740 Meter lange Güterzüge das Programm so zusammengestrichen worden ist, liege an »fehlenden Kapazitäten« beim Lieferanten der Signaltechnik, unterstrich der Experte. »Damit ist die entscheidende Grundlage, um diese Strecke durch die Digitalisierung effizienter und zuverlässiger zu gestalten, nicht realisierbar«, so das Fazit. Erst 2035 soll demnach laut derzeitigem Stand die Aufrüstung realisiert werden.

Hohes Risiko macht das Bauen teuer

Der Experte berichtete auch von den Erfahrungen bei der Generalsanierung der Riedbahn. Planung und Bauvorbereitung der Deutschen Bahn seien aufgrund der kurzen Vorlaufzeit unzureichend gewesen. In der Folge seien noch Planungen nachgereicht worden, als der Bau bereits begonnen hatte. Das daraus resultierende hohe Risiko für die ausführenden Unternehmen habe sich »in den monetären Angeboten der Anbieter« widergespiegelt. Die Preise waren also sehr hoch.

Aufgrund der fehlenden Erfahrungen bei solch großen des von der Bahn eingesetzte Koordinierungs- und Bauleitbüros sei die Projektrealisierung nur durch die »lösungsorientierte Arbeitsweise« aller Beteiligten möglich gewesen.

Es fehlen Personal und Strukturen

Die Probleme sind eine Folge der Jahrzehnte währenden Unterfinanzierung der Eisenbahn-Infrastruktur. Ein »absoluter Irrtum« des Bahnkonzerns sei der radikale Abbau der ursprünglich vorhandenen eigenen Kapazitäten für die Planung und die Bauleitung, um sie auf dem Markt einzukaufen, so der Experte.

Die Branche habe sich »in den letzten Jahren wegen fehlender Auftragssicherheit und Planungssicherheit auf das reale Investitionsvolumen eingestellt«. Eine »schlagartige Vervielfachung der Kapazität« sei »personell und materiell in den meisten Fällen nicht möglich«. Zudem fehlten Planer, Planprüfer und Bauüberwacher zur Planung und Durchführung dieser Projektoffensive, so der Experte weiter. Sein Fazit: »Die Investitionspläne für die Infrastruktur scheitern trivial an den nicht vorhandenen personellen und materiellen Ressourcen.«

Horrende Preise

Derzeit erfolgten daher mehr Ausschreibungen durch die Bahn als Baufirmen realisieren können. Somit gebe es keinen effektiven Wettbewerb. Die Folge: »Immer öfter werden dadurch Bauvorhaben zu horrenden Preisen angeboten.«

Der Missstand ließe sich nur durch »mehrjährige Planungssicherheit« beheben. Dann würde die Branche tatsächlich Kapazitäten aufbauen. Das sei mit kurzfristigen Ausschreibungen nicht möglich.

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