SPD-Abgeordnete brechen Schweigen zu Gaza – auch Merz meldet sich

Der Bundeskanzler sieht »einfach das humanitäre Völkerrecht jetzt wirklich verletzt«

Nach israelischen Angriffen trauern Angehörige am Sonntag im Al-Shifa-Krankenhaus.
Nach israelischen Angriffen trauern Angehörige am Sonntag im Al-Shifa-Krankenhaus.

Führende SPD-Politiker*innen üben zunehmend scharfe Kritik an Israels militärischem Vorgehen im Gazastreifen und fordern Konsequenzen für die deutschen Rüstungsexporte. »Deutsche Waffen dürfen nicht zur Verbreitung humanitärer Katastrophen und zum Bruch des Völkerrechts genutzt werden«, sagte der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Adis Ahmetovic, dem »Stern«. Er forderte Israel zur Bereitschaft für eine Waffenruhe und zur Rückkehr an den Verhandlungstisch auf.

Sein Fraktionskollege Ralf Stegner argumentierte ähnlich: »Die humanitäre Katastrophe für die palästinensische Zivilbevölkerung und der Bruch des Völkerrechts durch die Regierung Netanjahu müssen sofort beendet und dürfen nicht auch noch mit deutschen Waffen verlängert werden.«

Die SPD-Abgeordnete Isabel Cademartori warnte, durch Waffenlieferungen an Israel könnte sich die Bundesrepublik an Kriegsverbrechen beteiligen. »Dies könnte dazu führen, dass Deutschland selbst juristisch von internationalen Gerichten belangt wird«, erklärte sie dem »Stern«. Insbesondere Panzermunition und Ersatzteile dürften deshalb nicht mehr geliefert werden. Vergangene Woche hatte Cademartori bereits mit den Bundestagsabgeordneten Nicole Gohlke (Linke) und Kassem Taher Saleh (Grüne) in einem offenen Brief einen Stopp deutscher Waffenlieferungen nach Israel sowie die Anerkennung Palästinas als Staat gefordert.

Auch auf europäischer Ebene wächst der Druck: Die EU-Außenminister*innen beschlossen vor einer Woche, das Assoziierungsabkommen mit Israel einer Überprüfung zu unterziehen. Deutschland gehörte nicht zu den Befürwortenden, wie der SPD-Bundestagsabgeordnete Rolf Mützenich am Sonntag kritisierte. Die zweijährige Verlängerung eines EU-Israel-Aktionsplans zur Integration Israels in europäische Politiken und Programme steht ebenfalls auf der Kippe, nachdem Staaten wie die Niederlande ihre Zustimmung mit der Prüfung des Assoziierungsabkommens verknüpfen wollen.

Bei einem Spitzentreffen in Madrid am Sonntag forderten 20 arabische und europäische Länder im Konflikt zwischen Israel und Palästina eine Zweistaatenlösung. Spanien rief die teilnehmenden Länder neben Sanktionen auch zu Waffenembargos auf. »Wir können keine Waffen mehr an Israel verkaufen, denn das Letzte, was der Nahe Osten jetzt braucht, sind Waffen«, erklärte der sozialdemokratische Außenminister José Manuel Albares.

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Unterdessen setzt Israel mit schweren Luftangriffen und einer Bodenoffensive seine Operation »Gideons Streitwagen« fort, Hunderte Menschen wurden dabei am Wochenende getötet. Die humanitäre Situation der mehr als zwei Millionen Menschen in dem Küstengebiet ist katastrophal. In dieser Lage hat Israels Regierung nun angekündigt, nun drei Viertel des Gazastreifens militärisch besetzen zu wollen. Am Mittwoch hatte Benjamin Netanjahu bereits den Abzug der israelischen Verhandlungsdelegation zur Freilassung der 20 angeblich noch lebenden israelischen Hamas-Geiseln aus Katar angekündigt.

Die schwarz-rote Bundesregierung will von der wachsenden Israel-Kritik nichts wissen. Sie verteidigt auch das Assoziierungsabkommen als Forum, das man jedoch nutzen könne, »um auch kritische Fragen zu stellen«, sagte ein Außenamtssprecher in Berlin. Der designierte Außenminister Johann Wadephul (CDU) sieht in einem Stopp von Waffenlieferungen einen Verstoß gegen die deutsche »Staatsräson«, die aus seiner Sicht eine bedingungslose Unterstützung Israels bedeutet. Andere Unionsabgeordnete vertreten sogar die Position, Israel bei Waffenexporten mit einem Nato-Partner gleichzustellen und so die Lieferungen zu vereinfachen.

Am Montag meldete sich jedoch auch Bundeskanzler Friedrich Merz zu Wort. »Die Zivilbevölkerung derart in Mitleidenschaft zu nehmen, wie das in den letzten Tagen immer mehr der Fall gewesen ist, lässt sich nicht mehr mit einem Kampf gegen den Terrorismus der Hamas begründen«, sagte Merz beim »WDR Europaforum 2025« auf der Digitalkonferenz re:publica in Berlin. Deutschland müsse sich mit öffentlichen Ratschlägen an Israel aber so weit zurückhalten, wie kein zweites Land auf der Welt, fügte er hinzu. »Aber wenn Grenzen überschritten werden, wo einfach das humanitäre Völkerrecht jetzt wirklich verletzt wird, dann muss auch Deutschland, dann muss auch der deutsche Bundeskanzler dazu etwas sagen.« Über Rüstungsexporte sprach Merz aber nicht.

Der neue Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Armin Laschet (CDU), gab seinem Parteikollegen Merz indes Rückendeckung in der Frage, wie mit dem israelischen Regierungschef bei einem Besuch in Deutschland umzugehen sei – der wird vom Internationalen Strafgerichtshof wegen Kriegsverbrechen in Gaza per Haftbefehl gesucht. Sollte Netanjahu »zu irgendeiner Konferenz kommen, wird er auf deutschem Boden nicht verhaftet«, erklärte Laschet am Sonntag bei »Berlin direkt« im ZDF. So hatte es vor einigen Wochen auch Merz gesagt.

»Palästinenser auszuhungern und die humanitäre Lage vorsätzlich zu verschlimmern, kann nicht deutsche Staatsräson sein.«

Felix Klein Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung

Zwischen der scharfen SPD-Kritik an Waffenexporten nach Israel und der Gegenposition der CDU wollten Luise Amtsberg und Deborah Düring (Grüne) offenbar einen Mittelweg finden. Am Freitag sorgte ein Video der beiden Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses für Häme im Netz und Kritik – auch aus den eigenen Reihen. Amtsberg und Düring stellten sich mit schwerer Stimme hinter ein Selbstverteidigungsrecht Israels, forderten aber gleichzeitig die Wiederaufnahme von Hilfslieferungen sowie von Israel und der Hamas einen Waffenstillstand. Die frühere grüne Staatssekretärin Marjam Samadzade kommentierte das Video scharf: Sie sei »entlassen worden, weil ich mich von Anfang an für das Völkerrecht und Menschenrechte eingesetzt habe«. Samadzade warf den Grünen-Politikerinnen vor, mit ihrer Politik in der vorhergehenden Bundesregierung »eine Verantwortung für die aktuelle Lage in Gaza« zu tragen.

Diese Linie setzt sich fort: Am Montag sprach sich auch der Grünenvorsitzende Felix Banaszak gegen ein komplettes Ende der Waffenlieferungen an Israel aus.

Überraschende Töne kommen indes vom Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung, Felix Klein. Zwar lehnte er im rbb24 Inforadio die SPD-Forderung nach einem Stopp der Waffenlieferungen ebenfalls ab. In einem Interview mit der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« forderte er aber auch eine ehrlichere Debatte über den Begriff »Staatsräson«. »Wir müssen uns mit aller Kraft dafür einsetzen, die Sicherheit Israels und der Juden weltweit zu bewahren. Aber wir müssen auch klar sagen, dass das keine Rechtfertigung für alles ist«, sagte Klein. Die Palästinenser*innen auszuhungern und die humanitäre Lage vorsätzlich zu verschlimmern, habe nichts mit der Sicherung des Existenzrechts Israels zu tun. »Und es kann auch nicht deutsche Staatsräson sein.«  Mit Agenturen

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