Post an Daniela Klette: Ein entwendeter Brief

Was darf die Gefangene Daniela Klette in der JVA Vechta lesen und was nicht?

  • Jürgen Schneider
  • Lesedauer: 4 Min.
Erkennt ein Generalbundesanwalt das Individuelle? Daniela Klette am ersten Prozesstag vor dem Landgericht in Verden
Erkennt ein Generalbundesanwalt das Individuelle? Daniela Klette am ersten Prozesstag vor dem Landgericht in Verden

In seinem Werk »Die Postkarte – von Sokrates bis an Freud und jenseits« schreibt Jacques Derrida, wenn etwas »nie am Schickungsort ankommt, dann ist das für den Ofen«. Für den Ofen sein soll mein Brief vom 24. April 2025 an die in der JVA Vechta einsitzende Daniela Klette, die derzeit wegen diverser illegaler Geldbeschaffungsmaßnahmen vor Gericht steht. Jedenfalls dann, wenn es nach dem Willen des Generalbundesanwalts geht, der mit Schreiben vom 13. Mai 2025 bei der Ermittlungsrichterin des Bundesgerichtshofs nach »grober Durchsicht« beantragte, die Übergabe meines Briefes nicht zu genehmigen.

Die Bundesanwaltschaft erwägt einen weiteren Prozess gegen Daniela Klette wegen deren vermuteter Beteiligung an drei Anschlägen der Roten Armee Fraktion (RAF) und hat die Hoheit über Klettes Haft, obwohl das für den laufenden Prozess zuständige Landgericht Verden nicht müde wird zu beteuern, der Prozess habe mit der RAF rein gar nichts zu tun. Es ist jene Bundesanwaltschaft, die nach der Auflösung der RAF im Jahre 1998 nicht den Kontakt zu jenen suchte, die diese Auflösung erklärt hatten, um zu versuchen, mit von beiden Seiten akzeptierten Intermediären 30 Jahre bewaffneten Kampfes in einem aufklärerischen Diskurs zu bewältigen. Stattdessen setzte sie weiter auf intensive Fahndung und zwang so die in der Illegalität Lebenden, sich Geldmittel anders zu beschaffen als durch den Verkauf ihrer Arbeitskraft, wodurch sie sich – so heißt es sinngemäß im Marxschen »Kapital« – aus Freien in Sklaven, aus Warenbesitzern in Waren verwandelt hätten.

Den Brief, der Daniela Klette nicht ausgehändigt werden soll, schrieb ich unmittelbar nach meinem letzten Besuch in der JVA Vechta, der von drei BKA-Beamten und einer JVA-Bediensteten überwacht wurde. Daniela Klette eröffnete unser Gespräch mit dem Hinweis, dass sie meine Besprechung des Buches »Forest of Noise« des palästinensischen Dichters Abu Toha in der Tageszeitung »Junge Welt« gelesen habe. Meine Frage, ob sie auch meine ungefähr gleichzeitig im »nd« erschienene Rezension der Anthologie »Beirut« (Wieser Verlag) gelesen habe, verneinte sie. Ich versprach, sie ihr per Brief zu schicken.

Nach der Erörterung der Situation in Nahost kamen wir auf das bellizistische Gerede von Wehr- und Kriegstüchtigkeit sowie auf die Feiern zum Jahrestag der Befreiung vom Faschismus und auch auf den Russenhass zu sprechen. Ich erwähnte, dass es zu Stalingrad und der Sowjetunion eine Passage in meinem Text »C. (work in progress)« gebe, der in der »Neuen Berliner Illustrierten Zeitung« veröffentlicht worden sei, und den ich ihr ebenfalls per Brief schicken würde. Im Brief erläuterte ich: »›In progress‹ meint, es soll ein längerer Text werden, der als quasi-autobiografischer Text geplant ist, aber in alle Richtungen ausufert.«

Die administrative bundesanwaltschaftliche Banausie erkannte in meinem Brief keine »individuellen Kommunikationsinhalte«. Der Aushändigung des Briefes stünden Haftgründe entgegen, weil er nicht zuverlässig kontrolliert werden könne, heißt es in dem Antrag des Generalbundesanwalts Marcel Croissant. Wie individuell müssen Texte sein, damit der Herr das Individuelle erkennt? Und wahrnimmt, dass eine Autobiografie in der Identität zwischen dem schriftstellerischen Ich, Erzähler und Protagonisten besteht? Zudem: Daniela Klette darf das »nd« über die Anstalt beziehen, nicht aber einen Text, der ihr von einem Autor eben jener Tageszeitung persönlich und nahezu in der ursprünglichen Typografie per Brief geschickt wird.

Der Generalbundeswalt weiß, dass mit einem Brief Nähe über Distanz entsteht. Dies aber soll nicht sein. Das Aushändigungsverbot ist nicht gegen mich, den Absender, gerichtet, sondern gegen Daniela Klette, der jede fortgesetzte politische Auseinandersetzung verunmöglicht werden soll. À propos Kommunikation: Anders als einst die Gefangenen aus der RAF in Stammheim verfügt sie nicht einmal über eine funktionierende Schreibmaschine und Durchschlagpapier, um mit ihren Anwälten schriftlich zu kommunizieren, ein Faktum, dass auf die Waffenungleichheit in dem gegen sie laufenden Prozess verweist, der am 28. Mai in einer eigens umgebauten Reithalle in Verden-Eitze fortgesetzt wird. An Händen und Füßen gefesselt und mit einer Bleiweste beschwert, die bei ihr zu Kopfschmerzen und Konzentrationsschwierigkeiten führt, wird Daniela Klette wieder unter einem hohen Sicherheitsaufwand zum Verhandlungsort gefahren werden.

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