Werbung

Die Zukunft nach der Fichte

Soll der Wald Hitzewellen, Dürren und Stürmen standhalten, braucht er eine naturnähere Bewirtschaftung

  • Ingrid Wenzl
  • Lesedauer: 7 Min.
Ein widerstandsfähiger Wald besteht aus verschiedenen Baumarten und hat mehrere Etagen.
Ein widerstandsfähiger Wald besteht aus verschiedenen Baumarten und hat mehrere Etagen.

Wälder erfüllen viele wichtige Aufgaben. Doch in Zeiten der Erderwärmung werden sie neben ihrer Funktion als Wirtschaftsfaktor zunehmend darauf reduziert, Kohlenstoff speichern zu können. In Klimaschutzzielen und dem Europäischen Green Deal sind sie bereits fest eingeplant, um Treibhausgasemissionen anderer Sektoren auszugleichen.

Dabei krankt der Wald spätestens seit den schlimmen Hitze- und Dürrejahren ab 2018 so sehr wie seit den 80er Jahren nicht mehr, als große Flächen in Nord-, Mittel- und Osteuropa dem »sauren Regen« zum Opfer fielen. »Wir sehen, dass die Wälder immer noch schwer geschädigt sind. Auch wenn einzelne Jahre etwas feuchter sind, wie das letzte Jahr, dann sorgt das zwar für Erholung, aber Bäume sind langlebige Organismen, und die Schäden summieren sich auf«, sagt der Leiter der Arbeitsgruppe Wald- und Ökosystemresilienz am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Christopher Reyer. Laut der Waldzustandserhebung 2023 finden sich bei 40 Prozent der Bäume Kronenverlichtungen, nur noch 20 Prozent aller Bäume gelten als gesund. Am schlimmsten traf es die Fichten, die als Flachwurzler besonders unter der extremen Trockenheit litten und anschließend Windwurf und Borkenkäfern zum Opfer fielen.

Die letzte, im vergangenen Herbst erschienene Waldinventur zeigt, dass die hiesigen Wälder seit 2018 mehr Kohlenstoff abgeben als aufnehmen – einerseits weil inzwischen rund ein Sechstel des Fichtenbestands abgestorben ist, andererseits weil die Bäume wegen der Trockenheit weniger Kohlenstoff in ihrem Holz speichern.

Erfolgreiche Dauerwälder

Um den Wald widerstandsfähiger zu machen, befürwortet die EU-Forststrategie 2030 eine naturnähere Bewirtschaftung. Große Erfolge erzielt dabei die Arbeitsgemeinschaft naturgemäße Waldwirtschaft (ANW), deren Bundesverband diese Woche in Schwäbisch Hall sein 75-jähriges Bestehen feierte. »Wir haben inzwischen Satellitenbilder aus einigen Teilen Deutschlands ausgewertet. Fünf bis zehn Jahre nach unseren Grundsätzen bewirtschaftete Wälder erscheinen dort als grüne Inseln inmitten ihres in seiner Vitalität eingeschränkten Umfelds. Resistenz und Resilienz (Widerstands- und Anpassungsfähigkeit, Anm. d. Red.) gegenüber Trockenperioden und Hitze sind erkennbar besser«, berichtet der Bundesvorsitzende, Hans von der Goltz.

Zentral für das gute Abschneiden sogenannter Dauerwälder sind ihre gemischte Altersstruktur und die Mischung standortgerechter Baumarten. Denn Bäume kommen unterschiedlich gut mit den Herausforderungen des Klimawandels zurecht: Auch wenn einzelne Arten im Zuge eines oder mehrerer Hitzesommer sterben, bleibt der Wald in seiner Substanz erhalten.

Anders als im klassischen Altersklassenwald, in dem alle Bäume zur gleichen Zeit gepflanzt und gefällt werden, wachsen im Dauerwald Bäume verschiedenen Alters. Diese Schichtung schützt ihn vor Wind, auch die Feuchtigkeit bleibt besser erhalten. Damit liegen die Spitzentemperaturen bis zu fünf Grad unter denen eines Altersklassenwaldes. »Auch haben junge Bäume, die aus Naturverjüngung entstehen, die Chance, sich mit ihren Genen sofort an die geänderten Wasser- und Temperaturextreme anzupassen. Daher scheinen sie besser mit dem Klimawandel fertig zu werden als ihre Eltern«, sagt von der Goltz. Reiche das nicht aus, käme Saatgut heimischer Baumarten aus Regionen zum Einsatz, in denen sich die Bäume schon seit Jahrhunderten an Trockenheit und Hitze gewöhnt haben, wie etwa aus Bulgarien oder Rumänien.

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

Im schlimmsten Falle bestehe die Möglichkeit, bis zu 20 Prozent neuer Baumarten wie Baumhasel, Flaumeiche oder Zeder zwischen die heimischen zu pflanzen. »Die Mischung allein rettet den Wald jedoch nicht. Wir müssen mit einer naturnäheren, einfühlsameren Waldbewirtschaftung nicht mehr nur die Stabilität der Bäume, sondern mit der Integration ökologischer Elemente wie Totholz die Stabilität des gesamten Ökosystems Wald in den Blick nehmen«, so von der Goltz.

Noch viele ungeklärte Fragen

Auch in der Forstwissenschaft weiß man um die Problematik: »Der Waldumbau ist in der Lehre schon seit den 80er Jahren, als das Waldsterben richtig losging, ein Thema«, berichtet Christian Ammer, Inhaber des Lehrstuhls für Waldbau und Waldökologie der gemäßigten Zonen der Georg-August-Universität Göttingen. »Wir merkten damals, wenn wir mit dem Nadelholz so weitermachen, haben wir ein Problem. Mit dem Klimawandel hat die Forschung dann noch eine ganz andere Dynamik gewonnen.« So sei die Kombination von Arten günstig, die unterschiedlich tief wurzeln und zu unterschiedlichen Zeiten einen besonders hohen Wasserbedarf haben.

Viele Fragen seien noch ungeklärt: Wie viel Trockenheit hält eine Baumart aus? Oder wie finden wir Bäume, die den Spagat schaffen, heutzutage noch mit Frost umgehen zu können und gleichzeitig in 50 bis 70 Jahren mit den dann herrschenden Klimabedingungen klarzukommen? Diese Unsicherheit ist auch Thema in der Lehre selbst. »Wir sagen den Studierenden, der Waldumbau wird ihre gesamte Berufslaufbahn bestimmen«, erzählt Ammer.

Auch das Umweltbundesamt (UBA) propagiert in seiner Publikation »Netto-Null in 2045, Ausbau der Senken durch klimaresiliente Wälder und langlebige Holzprodukte«, »wenig diversifizierte und nicht standortgerechte (Rein-)Bestände aus Nadelhölzern in arten- und strukturreiche standortgerechte Laubmischwälder zu überführen«. Dabei lehnen sich die Autor*innen an das Dauerwaldkonzept an: Die Wälder sollen sich etwa in Alter, Kronenhöhe und -form sowie Licht- und Schattentoleranz unterscheiden. Baumarten aus anderen Orten der Welt anzusiedeln, betrachten Expert*innen des UBA dagegen mit Skepsis. Die ökologische Verträglichkeit für den Wasser- und Nährstoffhaushalt sowie die naturschutzfachliche Unbedenklichkeit fremdländischer Arten müsse zuerst sichergestellt werden.

»So ein Dauerwald entsteht nicht mit einem Fingerschnippen.«

Christian Ammer 
Professor für Waldbau und Waldökologie

»Damit der nachhaltige Waldumbau gelingt, geht es aber auch um notwendige Veränderungen in der Holznachfrage und der Holzverwendung. Im Endeffekt braucht es einen gesellschaftlichen Aushandlungsprozess zur multifunktionalen Waldwirtschaft, verlässliche politische Rahmenbedingungen sowie Bereitschaft und Mut seitens der relevanten Akteure«, erklärt Judith Voß-Stemping, wissenschaftliche Mitarbeiterin am UBA in der Fachgruppe Strategien und Szenarien zu Klimaschutz und Energie.

Tatsächlich begegnen die Waldbesitzer*innen Deutschlands den neuen Herausforderungen sehr unterschiedlich. »Die Landesforstverwaltungen tun viel, um den Waldumbau voranzubringen«, versichert der Waldbauexperte Ammer.

Im Privatwald sind die Strukturen heterogener: Es gibt kleine Waldbesitzer aber auch große Wirtschaftsbetriebe. Während einige durchaus im Sinne der Verwaltungen handelten, halten andere an ihrer bisherigen Bewirtschaftungsweise fest in der Hoffnung, es werde schon nicht so schlimm kommen. Finanzielle Anreize für einen Umbau bieten neuerdings Förderprogramme in allen Bundesländern. Damit wird die naturgemäße Bewirtschaftung vermutlich zunehmen. Die Kahlschlagwirtschaft, wie sie über die Jahrhunderte praktiziert wurde, ist in vielen Bundesländern nur noch mit Sondergenehmigung erlaubt.

Raus aus der Nische

Die Idee der Dauerwälder ist bereits rund 100 Jahre alt. In den vergangenen Jahren hat sie laut dem Göttinger Professor für Waldbau viel an Popularität gewonnen und ist damit aus der Nische herausgetreten. »Doch so ein Dauerwald entsteht nicht mit einem Fingerschnippen. Es dauert ein paar Jahrzehnte, bis aus einem einschichtigen Wald ein vertikal strukturierter entsteht«, sagt er.

Aber zwischen Kahlschlag und Dauerwald im strengen Sinne gibt es viele Schattierungen. So werden etwa im Schirmschlag vorsichtig einzelne Bäume entnommen, um das Kronendach zu öffnen. Damit fällt Sonnenlicht durch die Lücke, und jüngere Bäume haben eine Chance, dem Licht entgegenzuwachsen.

Schwierig wird es, wenn große Fichtenbestände durch Hitze, Sturm und Borkenkäferfraß komplett absterben und dort ein neuer Wald aufgebaut werden soll. Die jungen Bäume sind dann der prallen Sonne ausgesetzt. Gerade in regenarmen Jahren vertrocknet so manche Neupflanzung. »Es bestehen mehr Möglichkeiten, dem Wasserstress aus dem Weg zu gehen, wenn man unter bereits bestehenden Bäumen verjüngt«, sagt der PIK-Forscher Reyer. Vor allem wenn sich dort von selbst typische Pionierbaumarten ansiedeln, wie Birke, Espe (auch Aspe oder Zitterpappel genannt) oder Vogelbeere, können in ihrem Schutz kleinere Bäume herangezogen werden.

Eine große Gefahr für alle Bemühungen, durch Naturverjüngung und Zwischenpflanzung einen Dauerwald zu schaffen, ist der hohe Wildbestand. »Zurzeit werden bis zu 63 Prozent der seltenen Mischbaumarten von zu vielen Rehen aufgefressen. Die Jagd trägt für den erfolgreichen Waldumbau daher eine große Mitverantwortung«, mahnt von der Goltz, gerade wenn einzelne Jungbäume nicht eingezäunt werden.

Aber auch wenn der Waldumbau gelingt, halten Ammer und Reyer es für wesentlich, nicht zu viel von den zukünftigen Wäldern in puncto Kohlenstoffspeicherung zu erwarten. »Die Ambitionen sind sehr hoch. Andere Sektoren wie Verkehr und Gebäude erreichen ihre Ziele nicht und auch perspektivisch ist nicht klar, wie die Ziele erreicht werden sollen. Die Politik rechnet immer noch damit, dass der Wald eine Senke ist und wir das gegenrechnen können. Aber das erweist sich als sehr riskant«, sagt Reyer.

- Anzeige -

Wir sind käuflich.

Aber nur für unsere Leser*innen. Damit nd.bleibt.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen aufgreifen
→ marginalisierten Stimmen Raum geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten voranbringen

Werden Sie Teil unserer solidarischen Finanzierung und helfen Sie mit, unabhängigen Journalismus möglich zu machen.