Zukunftsweisende Niederlage

Gericht verschont RWE, bestätigt aber den Anspruch von Klimawandelopfern auf Schadenersatz

  • Knut Henkel
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Kläger vor dem Andensee Palcacocha
Der Kläger vor dem Andensee Palcacocha

Ein lachendes und ein weinendes Auge hat Saúl Luciano Lliuya, Bergführer und Kleinbauer aus der Stadt Huaraz in den Anden: »Ich bin froh, dass wir in diesem Prozess erreicht haben, dass große Verursacher des Klimawandels für die Folgen Ihres Tuns einstehen müssen, dass sie rechtlich haftbar gemacht werden können«, sagte der 45-Jährige nach der Urteilsverkündung am Mittwoch. Luciano Lliuya hatte 2015 eine zivilrechtliche Klage gegen RWE, den größten europäischen Emittenten von Treibhausgasen, erhoben. Der Konzern aus Essen solle sich an den Kosten für die Schutzmaßnahmen gegen eine mögliche Überflutung seines Hauses beteiligen – proportional zu seinem CO2-Ausstoß. In seiner Heimatstadt wird befürchtet, dass der höher gelegene Andensee Palcacocha wegen der klimawandelbedingten Gletscherschmelze überlaufen und eine Flutwelle auslösen könnte. RWE sei dafür mitverantwortlich, argumentierte Lliuya.

2015 wurde die Klage in erster Instanz vom Landgericht Essen abgelehnt, aber zwei Jahre später in der Revision am Oberlandesgericht Hamm dann doch zugelassen. Die Richter hielten die Klage für schlüssig und öffneten die Beweisaufnahme: ein erster Erfolg für Lliuya und seine Anwältin Roda Verheyen. Die Spezialistin für Umweltrecht wurde von der Nichtregierungsorganisation Germanwatch, die den peruanischen Kläger von Beginn an unterstützte, berufen. »Dieses Urteil ist ein Meilenstein, der weltweit Wirkung haben wird«, bewertete Verheyen schon damals. Das Gericht habe grundsätzlich anerkannt, dass große Emittenten für die Folgen des Klimawandels verantwortlich und haftbar sein können. In fünf internationalen Urteilen sei bereits auf diese Rechtsauffassung verwiesen worden – zuletzt in Neuseeland, so Verheyen vor einigen Wochen bei einer Veranstaltung in Hamburg.

Das Gericht bestätigte nun, dass sich ein Eigentümer gegen Störungen wehren und Unterlassung verlangen könne, und berief sich dabei auf Paragraf 1004 des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs. Im Urteil wird bekräftigt, dass eine Gefährdung des Eigentums eine solche Störung sein könne und dass ein Eigentümer auch auf Schutzmaßnahmen oder deren Bezahlung durch den Störer Anspruch habe. Im konkreten Fall könne ein Eigentümer in Peru durchaus gegen einen Störer wie RWE in Deutschland klagen, denn im Gesetz stehe nicht, dass dieser aus der »Nachbarschaft« kommen müsse, erläuterte Richter Rolf Meyer.

Nach seiner Auffassung liegt das Risiko, dass das Haus des Klägers durch eine potenzielle Gletscherflut zerstört werden könnte, allerdings nur bei rund ein Prozent. Und dies sei nicht ausreichend, um RWE an den Schutzmaßnahmen proportional zu seinen Emissionen zu beteiligen, heißt es im Urteil weiter. Für Saúl Luciano Lliyu ist dieser Passus enttäuschend. »Gletscherwissenschaftler, die die Gegend hier seit Jahrzehnten kennen, sehen das Risiko, trotzdem bekommen wir von RWE jetzt keine Hilfe beim Schutz vor dem Flutrisiko«, kritisiert er auf nd-Nachfrage. Er hatte sich mehr erhofft und alle juristischen Hebel in Bewegung gesetzt, um ein Urteil speziell gegen RWE zu erreichen. So stellte er über seine Anwältin vergeblich einen Befangenheitsantrag gegen den Gutachter und Statik-Experten Rolf Katzenbach, der im Verfahren keine Bedrohung des Hausgrundstücks des Klägers in den kommenden 30 Jahren erkennen wollte. Richter Meyer bezeichnete Katzenbach bei der Urteilsverkündung jedoch als »Koryphäe« und schloss eine Revision aus.

»Gletscherwissenschaftler sehen das Risiko, trotzdem bekommen wir von RWE keine Hilfe beim Schutz vor dem Flutrisiko.«

Kläger Saúl Luciano Lliuya

RWE sieht sich deshalb als Sieger des Prozesses. Es sei »den NGOs auch in der zweiten Instanz nicht gelungen, einen Präzedenzfall zu schaffen«, so die Anwälte des Unternehmens. Eine Haftung des Konzerns sei auch deshalb nicht gerechtfertigt, weil er sich immer an gesetzliche Vorgaben gehalten habe. RWE warnte vor unabsehbaren Folgen für den Industriestandort, wenn »gegen jedes deutsche Unternehmen Ansprüche aus Klimafolgeschäden irgendwo auf der Welt geltend gemacht werden könnten«.

Das sieht Richter Meyer deutlich anders: Einen Wettbewerbsnachteil Deutschlands sieht er nicht, denn auch in anderen Staaten gebe es derartige Klagen. Diese seien indes nur in Staaten mit einem funktionierenden Rechtsstaat möglich. In Peru ist das Justizsystem nur bedingt unabhängig, sagte Luciano Lliuya. Umweltklagen, die unbearbeitet archiviert werden, gebe es zuhauf. Genau deshalb bedankt er sich bei der deutschen Justiz, die im Mai 2022 sogar zur Ortsbesichtigung nach Peru kam. »Das hat hier in Huaraz dazu beigetragen, dass viele Menschen begriffen haben, wie alles zusammenhängt«, so Lliuya.

Für Germanwatch hat der Fall Luciano Lliuya gegen RWE Signalwirkung. Die Umwelt- und Entwicklungsorganisation erklärte, es handele sich um die weltweit einzige Klage auf unternehmerische Haftung für Klimarisiken, die es in die Beweisaufnahme geschafft habe. Dadurch sei Rechtsgeschichte geschrieben worden.

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