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Schauspiel Leipzig: Einmal nicht aufgepasst und schon Hitlergruß

Das politische Einmaleins an der Würstchenbude: »Drei Mal links ist rechts« am Schauspiel Leipzig

  • Lara Wenzel
  • Lesedauer: 5 Min.
Mit der Ideologie von vorgestern gegen die harmlosen Parolen von heute? »Drei Mal links ist rechts« am Schauspiel Leipzig
Mit der Ideologie von vorgestern gegen die harmlosen Parolen von heute? »Drei Mal links ist rechts« am Schauspiel Leipzig

»Die alte Welt liegt im Sterben, die neue ist noch nicht geboren: Es ist die Zeit der Monster«, verkündet Performerin Kristien de Proost pathetisch und lockt das Publikum aufs Glatteis. Nach dem Schlussapplaus tritt sie noch einmal auf die Bühne. Doch ihr Plädoyer für die Kunstfreiheit, das im berühmten Gramsci-Zitat kulminiert, kippt. Linksliberale Forderungen verwandeln sich in rechtslibertäre und plötzlich ist die Leipziger Residenz als Verhinderer der Kunstfreiheit abgeschafft. Statt der Performance-Bühne des Schauspiels Leipzig bleibt ein Artwurststand mit Blasmusik, an dem die Schauspieler*innen Bier ausschenken.

Obwohl de Proost Empathie für ihre Rolle schwerfiel, schlittert sie meisterhaft von links nach rechts und bringt das Publikum zum Wanken. Gemeinsam mit ihrem Partner, dem Schauspieler Josse de Pauw, performt sie ein ungleiches Paar, angelehnt an ein reales Vorbild. In der Ehe von Caroline Sommerfeld und Helmut Lethen trifft eine Aktivistin der Identitären Bewegung auf einen 36 Jahre älteren Kulturwissenschaftler, der als Maoist in den 70ern Berufsverbot in Deutschland erhielt. Die Beziehung zwischen dem Alt-Linken und der Neuen Rechten bildet Inspiration und Ausgangspunkt der Inszenierung von Julian Hetzel. Mit Zitaten von Sommerfeld, Alltagsmomenten und grotesken Bildern offenbaren sich im Familienporträt gesellschaftliche Risse und ideologische Verwandtschaften.

Weder ungewöhnlich noch unproblematisch beginnt die spannungsreiche Liebe als Flirt zwischen einer Doktorandin und einem Professor. In einer Vorlesung belehrt de Pauw das Publikum über die Mechanismen der Normalisierung: Wenn man von gewaltsamen Worten und Taten umgeben ist, gewöhnt man sich daran und trägt sie irgendwann mit. Im ersten Tableau fragt die Studentin noch interessiert nach der Rolle der Medien, später verwurstet sie die Ideen ihres Ehemanns. Denn was als Lektion gegen die Verrohung im Nationalsozialismus angedacht ist, taugt auch als Anleitung für rechte Metapolitik.

Für die Macht der Normalisierung findet die Inszenierung »Drei Mal links ist rechts« absurde und schmerzhafte Bilder. Voller Scham stellt die Figur von de Pauw nach einem Unfall fest, dass sein rechter eingegipster Arm nach oben gestreckt ist. Unangenehm intensiv bittet er das Publikum um Solidarität: Wenn wir alle den rechten Arm heben, ist es nicht mehr merkwürdig. Bei uns könnte es auch nur ein Unfall sein. Einmal nicht aufgepasst und schon Hitlergruß. Der Versuchsaufbau steckt voller ungeheurer Möglichkeiten. Während sich de Pauw beeindruckend abmüht, liegt Ungewissheit über der Zuschauertribüne: Hebt doch jemand den Arm?

Die Inszenierung führt das Publikum an ihre Scham- und Schmerzgrenze. Über eine LED-Wand flimmern zu Beginn minutenlang die zahlreichen Trigger-Punkte: Altersdiskriminierung, Stroboskoplicht, politisch korrekte Sprache, diskriminierende Sprache, Kannibalismus usw. Der Rahmen schärft den Zuschauer*innen eine kritische Haltung ein, vorbereiten kann er sie nicht. Denn die Verwurstung linker Ideen, die Aneignung von Gramscis Hegemonie-Theorie durch den Neuen Rechten Alain de Benoist etwa, wird hier wörtlich genommen. Gerade hatten sie noch Sex, dann leitet der Alt-Linke die Neue Rechte an, sein Fleisch zu verarbeiten. Blutfontänen spritzen auf den Slogan »Never again is now«, der im Hintergrund tapeziert wurde. Der »Schuldkult«, dem der Professor seiner Frau zufolge anhängt, wird bis auf die Eingeweide ausgeräumt. Zur Bratwurst verwertet die Rechts-Intellektuelle nur die nützlichen Teile. Gemeinsam mit Fleischbrocken dreht sie den Freiheitsbegriff der 68er durch den Wolf. Einmal von rechts verwurstet, bleibt von Liberalisierung und Emanzipation nur noch das Recht des Stärkeren übrig. Auf der Bühne in einen Darm gestopft und gebraten schmeckt die Bratwurst dem Ehepaar dennoch. Einträchtig verzehren sie das geteilte Fleisch.

Nicht nur die martialischen Darstellungen, auch die Bereitwilligkeit, mit der sich der Professor ausweiden lässt, tragen zum Schrecken der Szene bei. Es ist eine der wenigen Theatermomente, wo Blut und Gedärme nicht auf Effekt, sondern auf Ideologie zielen. Eine Handvoll Menschen verlassen den Saal, der Rest bleibt mit einem trostlosen Bild zurück. Im roten Licht ist das Blut und der Nie-wieder-Schriftzug ausgelöscht. Es bleibt ein schwarzer, geschichtsloser Rahmen, eine »rote Welt«, wie die Rechts-Intellektuelle spöttelnd sagt, in der weder Zukunft noch Vergangenheit greifbar sind.

Das Lichtdesign von Bahadir Hamdemir tritt hier wie die Musik von Frank Wienk als eigenständiger Akteur in der vom herausragenden Spiel getragenen Performance auf. In einer Roboterkolonne unterbricht eine Blaskapelle ohne Musiker*innen die Szenen und treibt mit seinem Beat die rassistische Rage der Rechts-Intellektuellen voran. Neben einer sich im Schleudergang zerlegenden Waschmaschine und flackerndem Neonlicht steigert sich ihre Angst vor Überfremdung und Islamisierung. Im Übertitel spalten sich wahre Absicht und was in der Debatte vertretbar klingt, auf, aus »Grenzen zu« wird »an der Grenze erschießen«. Emotionen gießen sich in ein rechtes Frame-Work und verschieben das Sag- und Denkbare.

»Drei Mal links ist rechts« zeigt, wie linke Ideen und Menschen nach rechts wandern können. Mit drastischen Bildern und scharfsinnigem Humor seziert die Inszenierung die ideologische Gemengelage, ohne falsche Hoffnung zu geben. Sogar die Verteidigung der Kunstfreiheit verdreht sich in die Abschaffung der Kultur, die de Proost in ihrer Rede fordert. An der Würstchenbude kaut man am eröffneten Zukunftsszenario. Schon heute stempeln rechte Kulturpolitiker Theateravantgarde und zeitgenössische Kunst als dekadent und elitär ab und fordern im Namen des Volkes den Mittelentzug. Die Artwurst, Hetzels provokative Antwort auf die Debatte, mag massentauglicher sein, aber die Entscheidung zwischen Ketchup und Senf ist keine ästhetische. Dafür braucht es den Grenzgang, der die alltägliche Erfahrung durch den Fleischwolf dreht.

www.schauspiel-leipzig.de

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