- Politik
- Gespräche in Istanbul
Ukraine und Russland: Kriegsende weiter nicht in Sicht
Die zweite Verhandlungsrunde zwischen Russland und der Ukraine hat kaum Ergebnisse gebracht
Über zwei Stunden mussten Beobachter und Journalisten warten, bis die Delegationen Russlands und der Ukraine die angekündigten Gespräche in der türkischen Metropole Istanbul aufnahmen.
Vorher trafen sich die Ukrainer unter Leitung von Verteidigungsminister Rustem Umerow mit Vertretern mehrerer europäischer Staaten, darunter auch Deutschland. Gut möglich, dass Umerow den westlichen Unterstützern die Operation »Spinnennetz« erklären musste. Am Sonntag hatte die Ukraine in einer lang geplanten Aktion mit Drohnen mindestens vier russische Militärflugplätze tief im Landesinneren angegriffen und dabei mehrere strategische Bomber zerstört oder kampfunfähig gemacht.
Ziel der Operation »Spinnennetz« nicht klar
Vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj als »absolut brillanter Erfolg« gefeiert, wirft die Operation mehrere Fragen auf. Klar ist, dass Kiew, wie bei jedem größeren Angriff auf russisches Gebiet, auf ausländische Hilfe angewiesen war. Diese, so glauben ukrainische Medien, kam aus London. Europäer und US-Amerikaner sollen hingegen nicht informiert gewesen sein. Offizielle Statements gibt es nicht. Ähnlich wie beim Einmarsch in das Gebiet Kursk dürfte man in Berlin, Brüssel und Washington aber wenig erfreut sein.
Zumal das Ziel der Operation »Spinnennetz« nicht gänzlich ersichtlich wird. Wladimir Putin wird sich durch den Verlust mehrerer Bomber nicht von seinem Krieg abbringen lassen. Militärisch ist die Operation irrelevant, zumal Russland im Gebiet Sumy momentan unaufhörlich vordringt. Wie schon so oft in den vergangenen Wochen geht es darum zu zeigen, handlungsfähig zu sein, bei Gesprächen nicht als schwach dazustehen und ins Hintertreffen zu geraten. Selenskyj folgt dem Mantra, »aus der Position der Stärke« verhandeln zu wollen. Mit der Operationen »Spinnennetz« glaubt Selenskyj genau diese Position erreicht zu haben.
Erwartungen waren im Vorfeld schon getrübt
Zumindest hat die Ukraine einen Wirkungstreffer erzielt, wie das beharrliche Schweigen in Moskau zeigt. Aber der Kreml hat gelernt mit solchen Angriffen umzugehen. Eine kurzfristige Absage der Gespräche in Istanbul wäre ein Zeichen von Schuld und Schwäche gewesen.
Dabei waren die Erwartungen an das Istanbul-Treffen vorab nicht besonders groß. Anders als die Ukraine hatte die russische Seite nicht einmal ihre Forderungen präsentiert. Ein erstes Anzeichen, dass die Gespräche kein großer Schritt in Richtung Frieden werden. Dass man sich überhaupt getroffen hat, liegt vor allem daran, dass weder Moskau noch Kiew bei US-Präsident Donald Trump in Ungnade fallen will. Trump hatte zuletzt sowohl Russlands Präsident Wladimir Putin als auch den ukrainischen Staatschef Selenskyj öffentlich kritisiert und von beiden Zugeständnisse gefordert.
Solch ein Zugeständnis könnte der Kiewer Forderungskatalog tatsächlich enthalten haben, schreibt das Nachrichtenportal Strana. Neben Altbekanntem soll die Ukraine sich zu einem Waffenstillstand entlang der Frontlinie und damit zur Anerkennung der russisch kontrollierten Teile des Landes bereiterklärt haben, so Strana.
Neuer Gefangenenaustausch geplant
Von einem Waffenstillstand sind beide Seiten jedoch noch weit entfernt. Statt wie angekündigt die Grundlage für eine Feuerpause zu besprechen, reichte das knapp einstündige Gespräch nur zu kleinen Schritten. Man habe der russischen Seite eine Liste mit 339 entführten Kindern überreicht, die wieder an die Ukraine übergeben werden sollen, teilte die ukrainische Seite mit. Konkrete Schritte gab es lediglich bezüglich eines neuen Gefangenenaustauschs von Soldaten unter 25 Jahren und der Übergabe von jeweils 6000 Gefallenen. »Beide Seiten haben in Istanbul Meinungen ausgetauscht, und wir bereiten einen neuen Austausch von Kriegsgefangenen vor«, fasste Selenskyj das Treffen zusammen.
Die türkischen Gastgeber versuchten, das Beste aus dem Gespräch herauszuholen, und bezeichneten das Ergebnis mit den Worten eines Vertreters des Außenministeriums als »nicht negativ«. Eine neue Gesprächsrunde könnte nach ukrainischen Aussagen Ende Juni stattfinden.
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