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Obdachlose in der Klimakrise: Hitze vor der Tür

Obdachlose leiden besonders unter der Klimakrise

Selbst im Schatten klettern die Temperaturen in deutschen Städten inzwischen regelmäßig in gesundheitsgefährdende Höhen.
Selbst im Schatten klettern die Temperaturen in deutschen Städten inzwischen regelmäßig in gesundheitsgefährdende Höhen.

»Wer 365 Tage im Jahr draußen ist, merkt ganz genau, dass der Klimawandel stattfindet«, sagt Hartmut Nölling. Er ist selbst »aktuell draußen«, derzeit in der Nähe von Rastatt in Baden-Württemberg. Nölling engagiert sich im Netzwerk Wohnungsloser Menschen Wohnungslosen_Stiftung. Manja Starke und Swen Huchatz, ebenfalls dort aktiv, stimmen ihm zu. Wohnungslosigkeit zur warmen Jahreszeit bedeute inzwischen nicht mehr »Sommer in Freiheit unter freiem Himmel«, sondern einen »täglichen Überlebenskampf«, so Starke.

Obdachlos sind Menschen, die kein Dach über dem Kopf haben. Wohnungslos sind jene, die eine vorübergehende Unterkunft, aber keine eigene Wohnung haben – und zum Beispiel auf dem Sofa von Bekannten übernachten. Schon für wohnungslose Menschen sind die klimakrisenbedingten Hitzesommer der letzten Jahre eine Herausforderung. Etwa wenn sie in Gemeinschaftsunterkünften übernachten, die oft eng und schlecht gelüftet sind, berichtet Huchatz. Kosteneinsparungen durch die »zunehmende Ökonomisierung der Obdach- und Wohnungslosenhilfe« würden das Problem verschärfen. Huchatz beschreibt sich so wie Starke als »wohnungslosigkeitserfahren«.

»Natürlich ist es in der Gefrierabteilung von Kaufland auch bei extremer Hitze kühl und da könnte man hingehen, aber das ist kein Konzept.«

Hartmut Nölling Wohnungslosen_Stiftung

Für obdachlose Menschen kann die Hitze sogar lebensbedrohlich werden. Besonders in Städten, weil sich diese enorm aufheizen und es kaum Rückzugsorte gebe, meint Nölling. »Natürlich ist es in der Gefrierabteilung von Kaufland auch bei extremer Hitze kühl und da könnte man hingehen, aber das ist kein Konzept.«

In den Jahren 2023 und 2024 legte der ehemalige Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) Bundesempfehlungen für Hitzeschutzpläne für Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen vor, außerdem Handlungsempfehlungen für besonders vulnerable Gruppen. Dazu gehören demnach unter anderem Kinder, Senior*innen und Wohnungslose.

In Deutschlands Nachbarländern gibt es bereits seit Jahren nationale Hitzekonzepte. So zum Beispiel seit 2017 in Österreich. Dort beschreibt das zuständige Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz darin Maßnahmen, die auf Bundesebene in Kooperation mit den Bundesländern und der GeoSphere Austria – einem geologischen und meteorologischen Dienst – im Fall von Hitze unternommen werden. Der Plan soll regelmäßig »unter Berücksichtigung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse evaluiert und erforderlichenfalls adaptiert« werden. Obdachlose werden darin als vulnerable Gruppe explizit angeführt.

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In der Bundesrepublik bleiben Hitzeschutzmaßnahmen dagegen in vielen Fällen Sache der Kommunen und in weiterer Folge jene sozialer Träger und Organisationen. Diese stehen damit vor Herausforderungen. Auch weil Budgetentscheidungen über Förderungen bei jahreszeitbedingten Projekten oft kurzfristig getroffen werden. Dabei sei Hitze längst ein ebenso großes Problem in der Obdachlosenbetreuung wie Kälte, sagt Janina Yeung, Referentin für Klimaschutz und Klimaanpassung des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, dem »nd«. »Aber das Bewusstsein dafür fehlt, trotz der vielen Hitzetoten jedes Jahr.«

Laut einer am Dienstag veröffentlichten Studie des Umweltbundesamts gab es in den Sommern 2023 und 2024 bundesweit jeweils etwa 3000 hitzebedingte Todesfälle. Betroffen waren vor allem Menschen über 75 Jahre mit Vorerkrankungen. Wie viele obdachlose Hitzetote es in den vergangenen Jahren gab, ist dagegen schwer nachzuweisen.

Eine Studie der schottischen University of Glasgow ergab, das 43-jährige Obdachlose einen vergleichbaren Grad der Multimorbidität wie Menschen im Alter von etwa 85 Jahren in der Allgemeinbevölkerung nachweisen. Sie leiden also ebenso häufig an mehreren chronischen Erkrankungen wie ältere Menschen und sind dementsprechend anfälliger für wärmebedingte Belastungen.

»Hitze ist teilweise sogar schlimmer als Kälte«, meint Tanja Schmidt im Gespräch mit »nd«. Sie ist Leiterin der Notübernachtung des »Straßenfeger e. V.« in Berlin und beobachtet, dass die Gesundheitsversorgung an warmen Tagen inzwischen aufwendiger wird als im Winter. »Im Sommer kommen die Menschen dehydriert zu uns, mit Kreislaufproblemen, Augenschmerzen, Entzündungen und diversen Hauterkrankungen, die sich in der Hitze verschlechtern.« Auch Überhitzung und Hitzeschläge würden sie immer häufiger betreuen.

Der Straßenfeger e. V. versorgt Menschen mit Sonnencreme, Schirmkappen und Brillen für den unmittelbaren Hitzeschutz, mit Wasser und Süßgetränken gegen Unterzuckerung und mit Pflastern und Desinfektionsmitteln, um Infektionen vorzubeugen. Außerdem bemüht sich der Verein, Ausgaben in kühleren Souterrain-Räumen zu organisieren. Besonders wichtig ist Schmidt, Frauen mit Hygieneprodukten zu versorgen. Wenn diese nicht ausreichend vorhanden seien, entwickeln sich bei mangelnden Waschgelegenheiten im Sommer im schlimmsten Fall Gebärmutterentzündungen.

»Insgesamt ist der öffentliche Raum aber eher auf Vertreibung ausgelegt, als darauf, Schutz zu kreieren.«

Janina Yeung Paritätischer Wohlfahrtsverband

In der Hauptstadt und in Stuttgart fahren inzwischen – angelehnt an das Konzept aufsuchender Sozialarbeit – Hitzebusse der Berliner Stadtmission und des Deutschen Roten Kreuzes ihre Runden. »Insgesamt ist der öffentliche Raum aber weiterhin eher auf Vertreibung ausgelegt, als darauf, Schutz zu kreieren«, kritisiert Yeung vom Paritätischen.

Am Hitzeaktionstag diesen Mittwoch versucht deshalb ein breites Bündnis, auf das »größte durch den Klimawandel bedingte Gesundheitsrisiko in Deutschland« aufmerksam zu machen. Es fordert unter anderem, den Plan des Bundesgesundheitsministeriums über den Gesundheits- und Pflegesektor hinaus sektorenübergreifend weiterzuentwickeln.

Im Koalitionsvertrag von CDU und SPD kommt das Wort Hitze kein einziges Mal vor. Obdachlosigkeit immerhin einmal, allerdings nicht im Zusammenhang mit Klimaschutzmaßnahmen. Laut Huchatz von der Wohnungslosen-Stiftung gibt es ohnehin nur eine Maßnahme, die Wohnungs- und Obdachlose vor Hitze schützen würde: »die Schaffung von Wohnraum und gleichwertige Angebote für tatsächlich alle Menschen ohne Wohnung«.

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