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Wenn Mieten zu Schuldenfallen werden
Wohn- und Energiekosten erzeugen finanzielle Engpässe. Schuldnerberatungen fordern mehr Bildung
Die Anzahl unerwarteter Ereignisse, die das Budget von Haushalten belasten, ist laut dem Institut für Finanzdienstleitungen e.V. (iff) in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. So überholten 2023 erstmals Krankheit und Sucht Arbeitslosigkeit als Überschuldungsgründe. Zwei Faktoren sorgen dagegen absehbar vor allem in ärmeren Haushalten für finanzielle Schwierigkeiten: Wohn- und Energiekosten.
Dennoch gehen Schulden immer noch mit einem hohen Grad der Stigmatisierung einher. »Überschuldung ist nicht nur ein finanzielles, sondern auch ein soziales Problem«, stellt Sally Peters, Geschäftsführerin des »iff«, im Rahmen der zurzeit stattfindenden Aktionswoche der Schuldnerberatung fest. Überschuldung liegt vor, wenn Haushalte nicht mehr in der Lage sind, ihren Zahlungsverpflichtungen nachzugehen – weder durch erwartbares Einkommen noch durch Vermögen. Besonders gefährdet sind laut dem »iff« junge Erwachsene, Ältere und Alleinerziehende.
Konkret passieren Verschuldungen, so die Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände (AG SBV), inzwischen vor allem durch Online-Käufe und speziell durch sogenannte »Buy now, pay later«-Modelle (dt.: Jetzt kaufen, später bezahlen). Rechnungen können in Raten oder nach einem längeren Zeitraum beglichen werden, Direktzahlmöglichkeiten gibt es zum Teil nicht mehr und Verbraucher*innen verlieren dabei leicht den Überblick. Der Grund dafür, dass so viele Leute auf jene Modelle hereinfielen, sei vor allem fehlende Finanzbildung, so die AG SBV. Die AG SBV ist ein Zusammenschluss der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege und betreut insgesamt 1400 Beratungsstellen bundesweit.
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Laut einer aktuellen unter den Stellen durchgeführten Umfrage gaben 63 Prozent der teilnehmenden Einrichtungen an, dass die Nachfrage nach Schuldnerberatungen zuletzt deutlich gestiegen sei. Bei einem Drittel davon habe sich zudem die Nachfrage nach Angeboten der Finanzbildung vermehrt. 42 Prozent der Beratungsstellen bieten diese aber nicht an. Ihnen fehle es, laut eigenen Angaben, an personellen, zeitlichen und finanziellen Ressourcen. Die AG SBV fordert deshalb mehr finanzielles Engagement in der Finanzbildung und eine stärkere Regulierung der Anbieter. Finanzielle Bildung sei eine »demokratische Grundvoraussetzung«, so auch Peters.
»Massive Wohn- und Energiekosten führen dazu, dass Menschen oft auf Ratenkäufe und Buy now, pay later angewiesen sind.«
Roman Schlag
Arbeitsgemeinschaft der Schuldnerberatung der Verbände
Dass Menschen erst auf derlei Ratenkäufe wie Buy now, pay later eingehen, habe aber noch andere Gründe, sagt Roman Schlag, Sprecher der AG SBV, bei der Vorstellung der Zahlen: »Massive Wohn- und Energiekosten führen dazu, dass Menschen oft auf Ratenkäufe und Buy now, pay later angewiesen sind.«
Laut dem Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung verteilt sich die bundesweite Mietkostenbelastung immer ungleicher. Während Personen mit hohen Einkommen zwischen 1990 bis 2020 nur einen moderaten Anteil ihres Einkommens für Wohnen ausgeben mussten, nahm die Belastung bei Personen mit niedrigen Einkommen deutlich zu. Dem Deutschen Mieterbund zufolge sind inzwischen über ein Drittel aller deutschen Mieter*innen von Wohn- und Heizkosten überlastet.
Um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken, fordert unter anderem der Sozialwissenschaftler Andrej Holm einen bundesweiten Mietendeckel, der die Mietpreise begrenzt. Zum Bereich Energie finden sich im Koalitionsvertrag von SPD und CDU vor allem Maßnahmen, die Investitionen in den Sektor steigern sollen. Gegen die sogenannte »Energiearmut« haben Wissenschaftler*innen dagegen inzwischen zahlreiche Konzepte vorgelegt. Eine Option wäre eine Art Energie-Grundeinkommen, das über eine CO2-Steuer für klimaschädlichen Konsum finanziert werden und so die Demokratisierung der Energie und ihren Verbrauch zugleich regeln soll. Wie das funktionieren könnte, berechnete das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung bereits 2023.
Was die »Jetzt kaufen, später bezahlen«-Modelle betrifft, so muss bis November 2025 die EU-Verbraucherkreditlinie in deutsches Recht umgesetzt werden. Anbieter müssen demnach künftig ausführlich über Geschäfte und Risiken informieren und EU-Mitgliedstaaten einen verlässlichen Zugang zu Beratungen garantieren. Ab dann könnte der gesetzliche Rechtsanspruch auf kostenfreie Schuldner- und Insolvenzberatung, die die AG SBV derzeit fordert, also Pflicht werden.
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